Wettbetrug im Tennis:200 000 Dollar für ein Match

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Novak Djokovic berichtet von einem Kontakt mit Wettbetrügern - er ist nicht der einzige Spieler. Dass eine Wettfirma das Turnier in Melbourne sponsert, ist für die ATP trotzdem kein Problem.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Der Morgen danach fängt ohne besondere Vorkommnisse an. Die Turnierflaggen der Australian Open wehen bewährt von höchster Stelle im Sommerwind. Im Spielercafé trudeln die Profis ein, Ana Ivanovic, die Vertraute von Bastian Schweinsteiger, herzt einen japanischen Coach, während Roger Federer vorbeischlendert. Der Schweizer ist auf dem Weg zum Training, am Vortag hat er seinem Auftaktgegner, einem Georgier, nur fünf Spiele überlassen. Am Mittwoch ist er wieder dran, gegen den Ukrainer Alexandr Dolgopolow. Das erste Grand-Slam-Turnier der Saison ist nach den Ereignissen zum Wochenbeginn kein anderes geworden, aber ein Blick in die Zeitung The Age reicht, um zu erkennen: Der Schatten, den zwei Meldungen aus England und den USA am Montag aufwarfen, ist noch da.

Wettbetrug im Tennis, im großen Stil über zehn Jahre, an dem 16 Profis aus den Top 50 der Weltrangliste beteiligt gewesen sein sollen, das ist eine Dimension, die dieser Sport nicht kannte. "Match-Absprachen erschüttern Australian Open - Polizei von Victoria befragt Spieler und Trainer", lautete die Schlagzeile auf der Titelseite.

Die Befragung betraf zwar nicht am Turnier beteiligte Profis, doch sie hing mit dem düsteren Thema zusammen. Einheimische Ex-Spieler und Coaches waren vorab angehört worden - die Behörde hatte einen Tipp bekommen, dass die BBC und das US-Medium Buzzfeed Geschichten über Match-Absprachen publizieren würden. Man sorgte sich um die "saubere" Grand-Slam-Veranstaltung, zitiert The Age einen Informanten. Ob diese Hygienemaßnahme aber ausreicht?

Einer der Kernvorwürfe lautet, dass acht verdächtigte Spieler in Melbourne angetreten sind. Wettanbieter aus Russland und Italien sollen auch vor Betrügereien in Wimbledon nicht zurück geschreckt sein und willfährige Profis gefunden haben, die sich mit bis zu 100 000 Dollar dafür locken ließen, das zu tun, was ihnen aufgegeben wurde. Drei Spiele im All England Lawn Tennis Club sollen bei der Auswertung von Wettbewegungen Auffälligkeiten gezeigt haben. Nigel Willerton, der Chef der 2008 gegründeten Anti-Korruptions-Abteilung "Tennis Integrity Unit", wollte die Nachricht, dass bei den Australian Open womöglich Schummel-Kandidaten aufschlagen, am Montag nicht kommentieren. Zur Beruhigung trug das nicht bei, wie auch ATP-Chef Chris Kermode schwammig blieb in der Abwehr des Vorwurfs, die Tennis-Behörden hätten Beweise zurückgehalten oder nicht ernst genommen. Der Engländer sagte lediglich: "Die Tennis Integrity Unit ist dauerhaft am Prüfen und sucht immer nach Wegen, dieses Programm voranzutreiben."

Andy Murray, der am Dienstag den 18 Jahre alten Deutschen Alexander Zverev 6:1, 6:2, 6:3 bezwang, meinte, der Tennissport "sollte die Dinge besser erklären". Es wäre schön, solche Probleme nicht aus der Presse zu erfahren. "Ich würde gerne Namen hören", drehte Federer den Ansatz weiter, "dann wäre es wenigstens konkret und man könnte genau darüber diskutieren." Den Vorwurf, Grand-Slam-Sieger seien im Fokus, musste Federer persönlich nehmen, 13 seiner 17 Titel errang er ab 2005; die Vorwürfe der beiden internationalen Medien beziehen sich rückwirkend auf den Zeitraum bis dorthin.

Vermehrt tauchen auch Schilderungen auf, wer wo mal was von Wettbetrugs-Versuchen mitbekam. "Mir haben mal Jungs von der Akademie, wo ich trainierte, erzählt, dass Menschen aus anderen Ländern auf sie zukamen und Geld geboten haben", sagte die Darmstädterin Andrea Petkovic nach ihrem Erstrunden-Aus; sie bezog sich auf ihre Zeit in der Tennisschule von Alexander Waske und Rainer Schüttler in Offenbach. Petkovics Forderung: "Sie müssen entweder die Wetten auf den kleinen Turnieren unterbinden oder das Preisgeld so erhöhen, dass die Jungs davon leben können."

Unter der Bedingung, anonym zu bleiben, lassen sich auch Insider finden, die konkret berichten, wie die Ansprachen bei kleineren Turnieren laufen. Offenbar herrscht ein Klima der Angst, in dem auch Branchengrößen, die über ein gutes Einkommen verfügen, in den Betrugsstrudel geraten können.

Der Weltranglisten-Erste Novak Djokovic verriet in Melbourne, wie er vor zehn Jahren mit 200 000 Dollar für eine Absprache bei einem Erstrundenmatch in St. Petersburg gelockt wurde. Er sei "natürlich nicht darauf eingegangen", sagte der Serbe. Auch der Trainer eines Spielers, der bei den Australian Open im Hauptfeld steht, berichtete, vor Jahren als Profi ein unmoralisches Angebot erhalten zu haben.

Die Australian Open haben seit diesem Jahr einen Wettanbieter als Sponsor. "Darüber kann man diskutieren", meint Djokovic, "das ist eine Gratwanderung." Federer empfand es als eine "harte Frage", zu beantworten, wie er solche Partnerschaften finde. Murray antwortete klar: "Sie sind ein bisschen heuchlerisch." Maria Scharapowa, die 2008 in Melbourne gewann, schloss vielsagend für sich persönlich aus, für einen Wettanbieter zu werben. Und die Russin wirbt ja für vieles.

ATP-Chef Kermode wich dem Gedanken einer Interessenskollision natürlich aus und meinte: "Wettfirmen als Sponsoren sind ähnlich wie Alkoholfirmen als Sponsoren. Das ist Teil der kommerziellen Welt und nichts Unübliches. Eine Firma bei einer Sportanlage mit ihrer Marke werben zu lassen, ist doch etwas sehr anderes als Korruption." Melbournes Turnierchef Craig Tiley sieht in dem Schulterschluss sogar einen Vorteil: "Wettanbieter können uns helfen, illegale Aktivitäten aufzuspüren." So verschieden lässt sich jeder Aspekt deuten.

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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