Wettbetrug im Fußball:Deutsche Beamte jagen Dan Tan

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Verschobene Spiele bis hin zur Champions Legaue, 600 manipulierte Partien: Um ein globales Bestechungssystem im Fußball aufzudecken, reisen deutsche Ermittler nach Singapur, wo sich die mutmaßlichen Drahtzieher aufhalten. Die internationale Strafverfolgung gestaltet sich allerdings schwierig.

Von Christopher Keil

Die Reise wurde lange vorbereitet und musste vom Bundesjustizministerium und vom nordrhein-westfälischen Innenministerium genehmigt werden. In der zweiten Mai-Woche flogen Staatsanwalt Andreas Bachmann und der Erste Hauptkommissar Friedhelm Althans nach Singapur. Im tropischen Inselstaat trafen die Beamten aus Bochum Kollegen der singapurischen Staatsanwaltschaft und Polizei, um über Kooperationen zu sprechen.

Jahrelang hat ein von Singapur aus aktives Syndikat weltweit Fußballspiele verschoben und Millionen Euro damit bewegt. Bisher unberührt blieb die Bundesliga. Trotzdem führten Spuren der asiatischen Wettmafia auch nach Deutschland. Ante Sapina, den Bachmann 2011 vor Gericht brachte, hat mit Komplizen mehr als 20 Partien frisiert. Den Boss der Singapur-Connection, Dan Tan Seet Eng, hat der Kroate Sapina möglicherweise im Sommer 2008 in Wien getroffen.

Dokumentiert sind 380 verschobene Spiele in 15 Staaten Europas

Bachmann bekämpft den organisierten Wettbetrug üblicherweise in der für Korruption zuständigen Bochumer Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft "Wirtschaftskriminalität". Mit Althans, der als Leiter des Bochumer Kommissariats 21 auf Bandenkriminalität spezialisiert ist, war er zwischen Juli 2011 und Januar 2013 in der von Europol eingesetzten Arbeitsgruppe "Veto" tätig. Deutsche, österreichische, finnische, ungarische und slowenische Fahnder trugen monatelang Ermittlungsergebnisse zusammen, Analysten von Europol werteten die Daten aus, die Umrisse eines globalen Bestechungssystems im Fußball wurden sichtbar.

Verwickelt sind Schiedsrichter, Funktionäre, Spieler, Verbands- wie Klub-Manager. Dokumentiert sind 380 verschobene Spiele in 15 Staaten Europas. Für 300 weitere, überwiegend aus Südamerika, Afrika und Asien, liegen Beweismittel vor. Betroffen sind zahlreiche Spitzenligen, aber auch Champions-League-, WM- und EM-Qualifikationsspiele sowie internationale Freundschaftsspiele. Nicht alles wird dem Singapur-Clan zugeschrieben.

Als Veto aufgelöst wurde, bekamen die Deutschen den Auftrag, die gesammelten Nachweise und Indizien auch der anderen vier Mitgliedsländer auszuwerten, Spiel für Spiel. Hoheitsrechte mussten übertragen werden, ein Aktionsplan wurde entworfen. Das sei "absolut unüblich", sagt ein hoher Justizbeamter. BKA und Bundesjustizministerium sind eingeschaltet.

Der Boss führt einen feudalen Lebensstil mit Wohung am Comer See

In Singapur hatten Bachmann und Althans gehofft, mit Dan Tan sprechen zu können. Doch der, erfuhren sie, wollte nicht. Obwohl er in der Vergangenheit regelmäßig nach Bulgarien, in die Schweiz, nach Slowenien, Kroatien und Italien gejettet war, ist über den Clan-Chef wenig bekannt. Fotos gibt es kaum. Neulich duellierten sich seine frühere und seine heutige Ehefrau - im Lokalblatt The New Paper. Die eine verteufelte ihn, die andere erklärte: Sein feudaler Lebensstil - zwei Appartements in Singapur, angeblich eine Wohnung am Comer See - sei aus dem Erbe ihrer chinesischen Familie finanziert.

Das glaubt auch in Singapur niemand. Dort bewegt sich Dan Tan allerdings immer noch frei, obwohl in Italien seit Ende 2011 ein internationaler Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde. Dem fast 50-Jährigen Singapurer chinesischer Abstammung wird vorgeworfen, seit 2009 mindestens 30 Begegnungen in der Serie A und der Serie B manipuliert zu haben. Frühere "Geschäftspartner" haben inzwischen detailliert gegen ihn ausgesagt und beschrieben, wie der Betrug aufgezogen wurde. Weil es wohl kein entsprechendes Abkommen zwischen Italien und Singapur gibt, wurde Dan Tan, die "Nummer 1", bisher nicht ausgeliefert. Vergeblich hatte ein Staatsanwalt aus der norditalienischen Stadt Cremona um Rechtshilfe ersucht.

Mit singapurischen Anklägern und Polizisten erörterten Bachmann und Althans im Mai die Beweislage und versuchten zu klären, inwieweit ein eigenes Ermittlungsverfahren eröffnet werden könne. Doch so einfach die Syndikate ihren schwerkriminellen Zockerhandel international arrangieren, so leicht sie nach Europa einfliegen, so kompliziert gestaltet sich die internationale Strafverfolgung. "Das Problem", äußerte Bachmann vor wenigen Monaten, "ist, dass wir nicht eben mal so auf anderen Kontinenten ermitteln können."

Immerhin arbeitet die in Bochum ansässige Sonderkommission "Flankengott", die den größten deutschen Wettskandal aufrollte, unter der Leitung von Althans nun jene 300 Spiele auf, für die nach der Veto-Erhebung Betrugsverdacht besteht. Für jedes verschobene Match wird ein Aktenordner angelegt: Beteiligte, Bestochene, ihre Aussagen, die Anträge. Am Ende wird der aufgefächerte Fall der zuständigen Behörde überstellt.

Im Herbst will Staatsanwalt Bachmann erste Erkenntnisse der Auswertung bekanntgeben. Im Oktober wird zudem das Revisionsverfahren im Fall Ante Sapina beginnen, der 2011 zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war. "Flankengott", sagt ein wichtiger Ermittler, bleibe wohl auch 2014 dienstbereit. Die fünf Beamte der Soko verrichten auf einer Polizeisonderdienststelle in Bochum ihren Dienst. Mit den Betrügern, sagte Bachmann gerade, "sind wir überhaupt nicht auf Augenhöhe".

© SZ vom 16.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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