West Ham United:Artistisch und dreckig

Der frühere Bundesligaprofi Slaven Bilic hat die "Hammers" zu einem Favoritenschreck geformt. Das bekommt in einem turbulenten Spiel am Samstag auch der FC Arsenal zu spüren.

Von Sven Haist, London

Die gebückte Haltung und der unrunde Gang von Slaven Bilic sind Überbleibsel seiner Spielerkarriere. Sie erinnern an die unzählbaren körperlichen Auseinandersetzungen, die er mit seinen Gegenspielern auf dem Spielfeld geführt hat, unter anderem als Verteidiger des Karlsruher SC. Bilic spielte in einem Zeitalter, in dem Verteidiger noch keine Spielgestalter waren und vorwiegend ihre Körper einsetzen mussten, um Tore zu verhindern. Die Anstrengungen von damals sind ihm noch heute in seinen Bewegungen anzusehen. Was der Kroate Bilic, 47, seit Sommer Trainer von West Ham United, hingegen nicht macht während eines Spiels, ist sitzen.

Nach dem turbulenten 3:3 gegen den Londoner Nachbarn FC Arsenal am Samstag konnte Bilic in der Pressekonferenz aber nicht anders, er musste ja sitzen. Er sprach leise, fast wie ein Philosoph. Wer etwas zu den drei Toren von Andy Carroll oder zu den begeisterten Fans im Upton Park hören wollte, der musste seine Ohren fast an die Lippen von Bilic legen.

Das Unentschieden war ein Feuerwerk gewesen, ein Spiegelbild der Stärke von West Ham United in dieser Saison, einerseits. Doch es war trotzdem zu wenig, um die Träume von der Champions League am Leben zu halten, deshalb klang Bilic enttäuscht. Im Sommer ziehen die Hammers vom Upton Park ins Londoner Olympiastadion um, zu gerne würden sie nach 112 Jahren dieses einmalige Abschiedsgeschenk organisieren. Die Europa League, immerhin, ist noch drin. Ob das ein Erfolg wäre, da sind sie sich allerdings noch nicht sicher.

Der Upton Park ist bei den Gegnern gefürchtet

Seit Bilic' Debüt im Sommer, einem 2:0-Sieg gegen Arsenal, sind die Hammers im Sog der Gipfelstürmer von Leicester City. Wie der Tabellenführer hat sich auch West Ham als Favoritenschreck Verdienste erworben. Der Upton Park ist bei Gastmannschaften gefürchtet für seine schlechte Platzbeschaffenheit und die Nähe der Zuschauer zu den Akteuren, sie sitzen fast auf dem Spielfeld. Die Fans der Hammers blasen nicht nur vor jedem Spiel zu den Klängen von "I'm Forever Blowing Bubbles" Seifenblasen in die Luft - sie machen auch ziemlichen Lärm. Der setzte am Samstag auch Mesut Özil und dem FC Arsenal erneut zu, deren Meisterschaftsambitionen am Samstag endgültig austrockneten. Die Gunners verspielten ein 2:0 kurz vor der Halbzeit: Andy Carroll traf doppelt binnen drei Minuten, einmal gar artistisch per Seitfallzieher.

Auch wenn es sich ein wenig wie eine Niederlage anfühlte: Arsenal kam mit dem 3:3 sogar noch besser weg als die meisten frustrierten Großklubs: Der FC Chelsea, Manchester City, der FC Liverpool und Tottenham, sie alle verloren im Upton Park.

Bilic gilt als versierter Analytiker: Er erforscht den Stil seiner Gegner, um ein passendes Gegenmittel zu finden. Mit einer Fünferabwehrkette überraschte er am Samstag Arsène Wenger. In der Defensive verfügt Bilic über kampferprobte Spieler, die sich nicht zu schade sind, sich für den Erfolg dreckig zu machen. Die letzte Reihe kommandiert der Neuseeländer Winston Reid, dessen Umsicht und Stellungsspiel sich hervorragend mit der Körperlichkeit seiner wechselnden Nebenleute ergänzt. Die feinen Geister, die mit Dimitri Payet und Manuel Lanzini weiter vorne lauern, sind auf eine kluge Entscheidung der Eigentürmer David Gold und David Sullivan zurückzuführen, die vor anderthalb Jahren Tony Henry, den Kaderplaner des FC Everton, in die englische Hauptstadt lotsten.

Bilic vermeidet die Fehler seines Vorgängers Allardyce

Henrys Einkäufe haben West Ham bereits in der Vorsaison bis zur Weihnachtszeit in der Spitzengruppe gehalten, bevor Bilic' Vorgänger Sam Allardyce ein Fehler unterlief. Allardyce schickte am Boxing Day eine Reserveelf zum damaligen Tabellenführer Chelsea, um seine besten Spieler zwei Tage später gegen Arsenal ausgeruht zur Verfügung zu haben. Statt eines Angriffs auf die Tabellenspitze sollte die Qualifikation für die Champions League gesichert werden. West Ham verlor beide Spiele, die Statik des Teams geriet aus der Balance, am Ende qualifizierte sich West Ham für die Europa League - immerhin.

West Ham, das könnte eine schöne Außenseitergeschichte sein, die vom Aufsteiger 2012, der sich in der Spitzengruppe hält. Wäre da nicht Leicester, das den Hammers die Schlagzeilen raubt. Und wäre da nicht die Schwäche gegen die kleinen Teams, wenn klar wird, dass es dem Team an Kreativität und technischer Fertigkeit im Spielaufbau mangelt. West Ham hat gegen Watford verloren und gegen Abstiegskandidat Newcastle sowie gegen Schlusslicht Aston Villa nur 1:1 gespielt. Unnötige Punktverluste, die dafür sorgen, dass sich West Ham in der Tabelle nicht direkt hinter den Brüdern im Geiste aus Leicester einreihen kann. Doch Slaven Bilic, der alte Kämpfer, ist in West Ham ja noch lange nicht fertig.

Am Mittwoch spielen die Hammers im Viertelfinale des FA-Cups ein Wiederholungsspiel gegen Manchester United. Im Fall eines Weiterkommens wäre West Ham der schillerndste Klub in einem Halbfinale, das ohne die üblichen Spitzenvertreter auskommen muss. Seit 36 Jahren haben die Hammers keinen Pokal mehr gewonnen. Vielleicht gibt es ja doch noch ein Abschiedsgeschenk für den Upton Park. Auch wenn das Finale im Wembley-Stadion ausgetragen wird - gefeiert würde wohl daheim, im Seifenblasenregen.

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