Werder gewinnt 2:1:Dank dem Tänzer

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Bremens Aufholjagd zeigt das Potenzial des Teams und die Verdienste von Trainer Nouri. Bekommt er noch eine Chance?

Von Javier Cáceres, Bremen

"Drei Mal ist Bremer Recht", heißt es in der Hansestadt. Doch wenn es am Samstag vor dem fünften Spieltag der Bundesliga an der Weser einen Konsens gab, dann darüber, dass ein Mann keine dritte Chance bekommen würde: Alexander Nouri. Der Interimstrainer, der nach der Bremer Niederlage in Mönchengladbach eine orientierungslose Mannschaft aufrichten musste, sollte lediglich für zwei Spiele die Verantwortung tragen. Am Mittwoch ging die erste Partie unter seiner Regie gegen Mainz 05 mit 1:2 verloren.

Am Samstagabend nun, da tanzte jener Mann vor Glück über den Rasen des Weserstadions, in Trippelschritten sprang er rückwärts, riss die Arme nach oben, riss die Augen auf und schrie. Es war das Bild des Abends: Nouri, 37, hatte mit dem SV Werder dank einer dramatischen Aufholjagd in den Schlussminuten den VfL Wolfsburg mit 2:1 geschlagen. Zu seiner dritten Chance sagte er später, noch immer außer Atem vor Aufregung, in die TV-Kameras: "Ich bin nicht wichtig. Heute sind die Menschen wichtig. Es ist gut, dass wir ihnen eine Freude bereiten konnten."

Dabei muss es nachweislich ja Nouri gewesen sein, der Werders Mannschaft lebenswichtige Parameter zurückgegeben hat. "Wir als Mannschaft haben einen guten Draht zu ihm", sagte Kapitän Clemens Fritz. Der Beweis war der couragierte Auftritt gegen Wolfsburg. Den Rückstand hatten die Bremer auf äußerst tragische Weise hinnehmen müssen: In der 69. Minute hatte Wolfsburgs Johannes Horn auf der linken Außenbahn frei flanken können. Es war zwar nicht richtig auszumachen, dass er den Ball zielgerichtet in den Strafraum schlug. Doch der bis dahin solide agierende Bremer Verteidiger Robert Bauer jagte den Ball aus vier Metern ins eigene Netz. In der 86. Minute konnte Lennart Thy dann mit einem trockenen Linksschuss den Ausgleich erzielen, und in der Nachspielzeit sorgte Theodor Gebre Selassie mit einem Kopfball nach einer Ecke für den umjubelten Sieg.

Bremer Ekstase: Trainer Alexander Nouri (r.) bejubelt des Sieg gegen Wolfsburg. (Foto: Oliver Hardt/Getty Images)

Die Wolfsburger agieren erschreckend blutarm

Plötzlich flippte ganz Bremen aus, so ein Comeback hatte kaum mehr einer erwartet. Werder verlässt mit diesem Hauruck-Erfolg den letzten Tabellenplatz. Und Nouri? Verlässt er seinen Platz auch?

Das Spiel hatte für den Trainer, der vor einer Wochen noch für die Bremer Reserve verantwortlich war, unter denkbar ungünstigen Vorzeichen begonnen. Der Bremer Coach hatte eigentlich auf Experimente verzichten wollen. Doch unmittelbar vor der Partie schmerzte dem schon vom Stadionsprecher in der Startelf angekündigten Innenverteidiger Lamine Sané das Knie. Für ihn rückte Milos Veljkovic ins Team. VfL-Trainer Dieter Hecking wiederum hatte gegenüber dem 1:5 gegen Dortmund vom Dienstag gleich zwei Veränderungen vorgenommen. Statt Ricardo Rodríguez und Bruno Henrique spielten Jannes Horn und Paul Seguin.

Es entwickelte sich eine Partie, die zunächst keines der beiden Teams wirklich in Besitz zu nehmen vermochte. Doch gemessen an der Einfallslosigkeit der Wolfsburger wirkten die bis zum Samstag punktlosen Werderaner schon bald etwas reicher an Eingebungen. Vor allem waren sie weit weniger blutarm als die Niedersachsen, die ein Schatten der Mannschaft sind, die noch vor gut einem Jahr die Saison 2014/15 als Vizemeister beendet hatten.

Allein der Drang, den Werders Kapitän Clemens Fritz von der ersten Minute an den Tag legte, überwog den Willen der gesamten Wolfsburger Elf. Fritz stand stellvertretend für ein Team, das handlungsschneller und zielstrebiger als die Wolfsburger war. Vielleicht, weil man ihnen vor der Partie so etwas wie ein Ziel mitgeteilt hatte: das gegnerische Tor, das vor allem dem starken Olympia-Fahrer Serge Gnabry zur erfrischenden Obsession gereicht.

"Er ist sicher ein Kandidat", sagt Werder-Chef Filbry über Gisdol

Gemessen am bisherigen Saisonverlauf (vier Spiele, null Punkte, 3:14 Tore) und den nervösen Debatten um den künftigen Vorgesetzten agierten die Bremer couragiert und hatten auch mehr Chancen als die Wolfsburger. Nach dem Seitenwechsel schien der VfL zunächst besser ins Spiel zu kommen, doch Mitte der zweiten Halbzeit erwachte der Bremer Siegeswillen erneut: Gnabry versprühte Gefahr nach Belieben, aber ohne Fortune im Abschluss, bis schließlich die aus Bremer Sicht unheilvolle 69. Minute anbrach, die das 0:1 brachte. Werder-Coach Nouri brachte Lennart Thy und Niklas Schmidt für Manneh und Fritz. Und am Ende reklamierter jener Thy gemeinsam mit dem Siegtorschützen Gebre Selassie die Heldenrollen für sich.

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(Foto: Oliver Hardt/Getty Images)

Die erste Halbzeit zwischen Bremen und Wolfsburg ist umkämpft - hier Ousman Manneh (l.) und Paul Seguin im Duell: Werder ist das bessere Team.

Doch das erste Tor macht Wolfsburg - naja, fast: Bauer (am Boden) trifft ins eigene Tor, der VfL führt.

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(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Trainer Dieter Hecking ist dennoch unzufrieden: Seine Mannschaft spielt inkonsequent und unkonzentriert.

Und so kommt es, wie es so oft kommt: Bremen trifft durch Lennart Thy (nicht im Bild) und ist zurück im Spiel.

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(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Bremens Partystarter: Nach einer Ecke gelingt Theodor Gebre Selassie (3.v.l.) sogar kurz vor Schluss noch der Siegtreffer.

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(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Das Weserstadion bebt: Bremen feiert drei wichtige Punkte gegen den Abstieg und einen psychologisch wichtigen Erfolg in der Krise.

Und die Trainerfrage? Sie bleibt vorerst ungelöst. Mit dem HSV konkurriert Werder Bremen um die Gunst von Markus Gisdol (ehemals Hoffenheim). "Er ist sicher ein Kandidat", sagte Werder-Chef Klaus Filbry. An der Weser werden auch noch immer André Breitenreiter und Andreas Herzog gehandelt, doch vielleicht erhält nach dem Abend am Samstag, nach seinem denkwürdigen Tanz, auch Alexander Nouri noch mindestens eine Chance. "Die Chance, dass Alex auch gegen Darmstadt auf der Bank sitzt, ist da", sagte der Aufsichtsratsvorsitzende Marco Bode. Und Sportgeschäftsführer Frank Baumann sprach davon, "keinen Zeitdruck" zu haben.

Wer auch immer das Amt langfristig übernehmen wird, Werders Leistung am Samstag lässt ahnen, dass der Bremer Kader besser ist, als die Leistungen unter Viktor Skripnik vermuten ließen. Und das ist vor allem das Verdienst des Tänzers.

© SZ vom 25.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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