Werder Bremen:Hundert Mal Claudio Pizarro

Werder Bremen v Hannover 96 - Bundesliga

Hundertstes Tor für Werder: Claudio Pizarro.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Frank Hellmann, Bremen

Es ist nun wahrlich nicht zu behaupten, dass das Weserstadion zuletzt als Stimmungstempel taugte. Zu wenig freudvoll die Auftritte des SV Werder, zu leidvoll die Ergebnisse in der einstigen Hochburg des schönen Fußballs. Insofern ist allzu verständlich, dass diejenigen unter den 42.100 Zuschauern, die mit den Grün-Weißen sympathisieren, aus dem Heimspiel gegen Hannover 96 eine einzige Feierstunde machten. Weit bevor das verdiente 4:1 (2:1) für die Hausherren feststand, ertönte nach einer Stunde bereits der Evergreen: "Oh, wie ist das schön. So was hat man lange nicht gesehen."

Und als Zlatko Junuzovic mit dem vierten Volltreffer nach 67 Minuten den Schlusspunkt gesetzt hatte, schnappte sich der Österreicher einen Ball, stülpte ihn unters Trikot und führte den Daumen in den Mund. Seine Frau ist im vierten Monat schwanger, "und wenn alles passt, kann man das ja verraten", befand der 28-Jährige hinterher.

Untergangsszenarien sind plötzlich passé

Zwei 4:1-Erfolge binnen vier Tagen - am Mittwoch dasselbe Ergebnis in Leverkusen - haben aus einem Klub als Sorgenkind wieder einen Verein der Hoffnung gemacht. Die düsteren Untergangsszenarien, in der Vorwoche nach dem 2:2 gegen den SV Darmstadt 98 entworfen, sind an diesem Standort plötzlich passé.

"Wir wollten ein Zeichen setzen, das haben wir geschafft. Es war unglaublich wichtig, dass wir mutig geblieben sind. Das hat Spaß gemacht", meinte Kapitän Clemens Fritz, der in seiner letzten Saison mit 35 Jahren als kämpferisches Vorbild vorangeht. Gleichwohl: Als Symbolfigur und Liebling, Matchwinner und Torheld taugte einmal mehr ein anderer. Eine beinahe hymnische Verehrung erfuhr erneut Claudio Pizarro, der sich auf der Zielgeraden der Karriere in beeindruckender Verfassung präsentiert.

SZ Sport am Wochenende Bild

Nachdem Fin Bartels - nach einem von Pizarro mit eingeleiteten Spielzug - das 1:0 erzielt hatte (16.), sollte das 2:0 des Altmeisters bereits das Highlight sein (26.). Wie das peruanische Schlitzohr den Ball mit der Stiefelspitze aus der Luft pflückte, dann halb Hannover mit einer Körperdrehung ins Leere laufen ließ und den Ball per Dropkick mit links unter die Latte jagte, löste einen orkanartigen Jubel an der Weser aus. Wenn eine Szene für die Befreiung taugte, dann das zwölfte Tor im elften Pflichtspiel, zugleich der 100. Treffer des Torgaranten im Werder-Dress. "Ein Tor fehlt noch zu Marco Bode, das schaffe ich auch noch", kündigte der 37-Jährige noch an, weil er natürlich Werders Rekordtorschütze werden will.

Ein Tor fehlt Pizarro noch zu Bode

Sein Erfolgsgeheimnis? Er könne verraten, dass er tatsächlich professioneller als früher lebe. "Ich esse anders. Dinkel-Pasta, Reis, Nudeln, dafür kein Weizenmehl mehr. Und keine Fanta, Cola." Auch kein Alkohol? Da lachte er wieder. "Ab und zu einen Rotwein..."

Auch als Werder nach dem Anschlusstreffer von Kenan Karaman (45.) kurzzeitig in Bedrängnis kam, brauchte es nur einen Pizarro-Einfall, um das Problem zu lösen: Nicht viele leiten das Spielgerät so elegant wie effektiv mit dem Außenrist im Strafraum weiter wie dieser Angreifer, der damit Rechtsverteidiger Theodor Gebre Selassie das vorentscheidende 3:1 ermöglichte (56.).

Schema & Statistik

Alle Daten und Fakten zum Spiel stehen hier.

Auch Viktor Skripnik empfand den erst zweiten Heimsieg nach dem 2:1 gegen Borussia Mönchengladbach am dritten Spieltag als Wegweiser. "Wir haben zu Hause fast immer gepatzt, wenn wir auswärts ein gutes Spiel gemacht haben. Ich bin hochzufrieden, dass wir dem Druck standgehalten haben", sagte der Werder-Trainer erleichtert. "Ein paar Tage dürfen die Spieler das genießen, dann bereiten wir uns auf Bayern München vor."

Bremer Gelbsucht: "Es war abgesprochen, das gebe ich zu"

In München fehlen dem Werder-Trainer allerdings zwei Leistungsträger. Dauerläufer Junuzovic handelte sich wie Wortführer Fritz in der Schlussphase eine gelbe Karte mit Folgen ein - beide sind nun für den kommenden Samstagabend gesperrt. "Es war abgesprochen, das gebe ich zu. Aber ganz ehrlich: Es ist besser, ich mache es so, als wenn ich jemandem absichtlich weh tue", erklärte Junuzovic am Sky-Mikrofon entwaffnend ehrlich. Er hatte eine Freistoßausführung so lange verzögert, bis Schiedsrichter Felix Zwayer die Verwarnung aussprach.

Fritz blieb lieber im Allgemeinen. "Wir haben noch einige sehr wichtige Spiele vor uns gegen Mannschaften, wo es ein bisschen knapper werden könnte." Den optimalen Zeitpunkt gebe es nie. "Nun findet doch nicht das Haar in der Suppe", meinte Fritz hernach in der Interviewzone, als er darauf angesprochen wurde, ob das Darmstädter Beispiel Schule machen würde, sich eine Auszeit für das ohnehin recht ausweglose Auswärtsspiel in München abzuholen.

Geschäftsführer Thomas Eichin reagierte mit ironischem Unterton auf diesen Vorwurf: "Jeder Spieler muss selber wissen, was er tut. Ich habe die Szenen nicht so genau gesehen." Immerhin war Eichin kürzlich so klug, die Gelbsucht beim Abstiegskonkurrenten Darmstadt nicht öffentlich anzuprangern; eine derartige Aussage wäre ihm jetzt nämlich prompt auf die Füße gefallen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: