Werder Bremen:Grüne Herzluftballons

***BESTPIX*** Werder Bremen v VfL Wolfsburg - Bundesliga

Es muss Liebe sein: Wann immer Claudio Pizarro nach Bremen kam, ganz gleich in welchem Trikot, wurde er vom Anhang mit Zuneigung überschüttet.

(Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Die Bremer inszenieren das 3:2 gegen Wolfsburg als Fest einer Werder-Familie, die tapfer zusammenhält. Die Bundesliga-Zugehörigkeit wird wieder wahrscheinlicher.

Von Jörg Marwedel, Bremen

Vielleicht hat der angeheiratete Cousin mal wieder etwas gelernt vom Umgang miteinander in seinem seit gut drei Jahren neuen Zuhause. Thomas Eichin ist ja ein Mann, der gern Entscheidungen trifft und dabei - wenn es ihm nötig erscheint - auch geschätzte Familienmitglieder wie einst Thomas Schaaf nicht verschont. Vergangene Woche hätte der Geschäftsführer von Werder Bremen nach dem 1:2 gegen Augsburg wohl am liebsten noch einmal den Trainer gewechselt, er hatte die Debatte darüber massiv angeheizt.

Dass Viktor Skripnik weiterhin Coach der Bremer ist, hat er eher nicht Eichin zu verdanken, sondern vor allem Leuten wie dem Aufsichtsratsvorsitzenden Marco Bode, der immer noch versucht, den berühmten Begriff der Werder-Familie mit Leben zu füllen. Auch die Mannschaft hatte sich für den authentischen, aber nach Niederlagen oft schwer getroffen wirkenden Skripnik ausgesprochen. Selbst Fans, die dem Cheftrainer zunehmend skeptisch gegenüber standen, haben mit der Aktion #greenwhitewonderwall und dem herzlichen Empfang des Mannschaftsbusses - mehr als 3000 Menschen, viele mit grünen Herzluftballons, feuerten das Team an - dazu beigetragen, dass mit einem verdienten 3:2 gegen den VfL Wolfsburg die weitere Bundesliga-Zugehörigkeit wieder etwas wahrscheinlicher geworden ist.

"Wir sind Werder Bremen - diese Familie", entfuhr es dem von den letzten Tagen erkennbar erschöpften Skripnik, der seit inzwischen 20 Jahren zur Sippe gehört und natürlich auch schon die Anti-Abstiegskampf-Kampagne ALLEzGRÜN im Jahr 2013 miterlebte. "Das war Gänsehaut pur", sagte Mittelfeldspieler Fin Bartels aufgewühlt, Verteidiger Theodor Gebre Selassie verglich die Atmosphäre im Weserstadion gar mit der aufgeheizten Anfield Road in Liverpool. Eichin, der die Profis zuletzt von den Medien abschottete, meinte: "Wir haben gezeigt, dass wir dem Druck mit Hilfe der Fans standhalten können."

102 Tore: Pizarro löst Bode als Werder-Rekordschützen ab

Dieter Hecking wiederum, der Wolfsburger Trainer, hätte auch als Mitglied der Werder-Familie durchgehen können, als er sagte: "Das war eine kribbelige Woche, die zeigt, dass Kontinuität und Zusammenhalt wichtig sind in solchen Situationen." Dass Hecking, der mit seiner Mannschaft vor einem Jahr noch Zweitbester hinter dem FC Bayern war und den DFB-Pokal gewann, nun ähnlich kribbelige Wochen bevorstehen, darf angenommen werden. Denn die teure VW-Mannschaft steht vor einer Saison ohne internationalen Wett- bewerb. Das empfindet nicht nur Weltmeister André Schürrle als "Katastrophe". Doch das interessierte in Bremen nach dem erst dritten Werder-Heimsieg in dieser Saison natürlich niemanden. Und als der frühere Werder-Macher und heutige Wolfsburger Geschäftsführer Klaus Allofs von der Trainerbank auf die Tribüne verwiesen wurde, weil er den vierten Offiziellen bei dessen Auseinandersetzung mit Dieter Hecking kurz am Arm packte, war das nur eine kleine Anekdote, bei der Allofs, immerhin ja ehemaliges Familienmitglied, nur wenig Spott hinnehmen musste.

Begeistert waren die Bremer vor allem von einem plötzlich wieder gut strukturierten Team, das sich etliche Chancen erspielte - auch, weil die Wolfsburger nach den Champions-League-Strapazen gegen Real Madrid "noch etwas müde waren und schwere Beine hatten", wie Werders Fin Bartels feststellte. Das nutzte vor allem Zlatko Junuzovic, der alle drei Treffer einleitete. Aber Idol Nummer eins war nach dem Spiel natürlich Claudio Pizarro, der mit seinem erst gegen den Innenpfosten prallenden Elfmeter nach einer guten halben Stunde das 1:0 erzielte, nachdem Junuzovic von Vierinha gefoult wurde. Es war Pizarros 102. Treffer für Werder, weshalb er nun Familienoberhaupt Marco Bode (101) als Rekordtorschütze ablöste.

Erst nach Pizarro konnte dann Fin Bartels gefeiert werden, der nach einem klugen Junuzovic-Pass in der 64. Minute seine vierte Torchance endlich cool nutzte; Bartels machte damit den vor der Pause durch Joshua Guilavogui erzielten VfL-Ausgleich wieder hinfällig. Sieben Minuten vor Schluss stellte dann Sambou Yatabaré mit seinem ersten Treffer für Werder den Sieg sicher, Wolfsburgs Mittelstürmer Bas Dost verkürzte per Kopf nur noch zum 3:2. Der Franzose Yatabaré gab dem Schuss von Junuzovic ein paar Zentimeter vor der Linie noch die entscheidende Richtungsänderung und durfte sich nachher Lob vom Geschäftsführer abholen; Yatabaré sei eine "Maschine", meinte Eichin.

Derweil kommt schon die nächste kribbelige Woche auf Werder zu. Am Dienstag wartet die "Mammutaufgabe" (Eichin) im Halbfinale des DFB-Pokals beim FC Bayern, am Freitag kommt der Abstiegskrimi beim Hamburger SV. Es sieht aber nicht mehr so aus, als werde jemand aus der Familie ausgeschlossen.

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