Werder Bremen:Clemens Fritz: "Wir sind im Abstiegskampf und müssen uns wehren"

Clemens Fritz

Werder-Kapitän Clemens Fritz war nie ein Treter - trotzdem sammelte er in der Hinrunde gelbe Karten.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Warum kriegt ein fairer Fußballer plötzlich die meisten gelben Karten der Bundesliga? Bremens Kapitän Clemens Fritz spricht im SZ-Interview über Meckereien, die Kunst des "Zeichensetzens" und sein Karriereende.

Interview von Jonas Beckenkamp

SZ: In Bremen trifft Ihr angekündigtes Karriereende viele Fans hart - in München sagt man: "Ein bissl was geht immer". Geht denn wirklich nichts mehr?

Clemens Fritz: Ganz im Gegenteil, ich bin überzeugt, es geht noch sehr viel. Das war aber nicht die Frage, die ich zu klären hatte. Für mich war immer wichtig, dass ich in gutem körperlichen Zustand aufhöre - und das kann ich Ende Mai. Klar, die Wehwehchen werden mehr. Je älter man ist, desto schwieriger ist es, sich nach längerer Abstinenz wieder zurück zu kämpfen und sein bestes Niveau zu erreichen. Ich habe da einen sehr hohen Anspruch an mich. Wir sprechen über Hochleistungssport und der macht nur Spaß, wenn man 100 Prozent mithalten kann und diesen Spaß will ich bis zum letzten Tag haben. Außerdem bin ich kein Freund des Rumeierns. Die Entscheidung ist lange gereift, das kam jetzt nicht plötzlich aus dem Bauch heraus.

Aber Werder braucht einen erfahrenen Spieler wie Sie, der die Generationen verbindet. Claudio Pizarro kann es nicht allein richten.

Das stimmt und deswegen habe ich meine Entscheidung frühzeitig getroffen. So hat Werder Planungssicherheit für die Zukunft. Aber bis es so weit ist, wollen wir unbedingt den Klassenerhalt sichern. Der Zeitpunkt meiner Ankündigung hat jetzt gepasst. Ich wollte damit auch Fragen aus dem Weg gehen, wie es nun mit mir weitergeht. Die haben sich zuletzt gehäuft.

Von den Fans ist zu hören: Mensch, der alte Fritz - vielleicht einen Schritt langsamer, aber immer noch so wichtig.

Ist doch schöner, bei so einer Stimmung aufzuhören, als wenn die Leute sagen: Wird Zeit, dass er endlich mal seinen Hut nimmt. Aber wenn der Großteil der Zuschauer mich positiv sieht, freut mich das natürlich. Aus meiner Sicht habe ich physisch noch alle Voraussetzungen.

Sie fingen als Offensivspieler an, wurden dann als rechter Verteidiger Nationalspieler (22 Länderspiele, d. Red). Seit einiger Zeit tauchen Sie wieder öfter in der Mitte auf.

Ja, ich war früher sogar mal Stürmer, dann begann ich unter Klaus Augenthaler in Leverkusen außen zu spielen. In den vergangenen Jahren bin ich wieder mehr ins Zentrum gerückt. Dort fühle ich mich am wohlsten, denn da kann ich als Kapitän am meisten Verantwortung übernehmen. Die kommunikativen Wege sind aus der Zentrale viel einfacher. Auch taktische Elemente des Spiels kann ich so besser steuern.

Wer sich defensiv orientiert und dabei Leader sein will, muss mitunter "dazwischen hauen". Auch das geht im Getümmel der Zentrale leichter, oder?

Das spielt sicher eine Rolle. Wir sind eine junge Mannschaft, der manchmal noch die Erfahrung fehlt. Wenn ich mitkriege, dass ein taktisches Foul nötig ist, dann nehme ich mir die Freiheit dafür. Ich glaube aber, dass ich insgesamt ein fairer Spieler bin. Wenn ich mal einen Angriff unterbinde, dann sicher nicht, um jemanden zu verletzen.

Ist wahrscheinlich ohnehin schlauer, sich ohne Bösartigkeiten zu helfen. Was bringen kleine Zupfer oder Rempler im raumverengten Fußball der Gegenwart?

Das ist schon ein gängiges Mittel. Gerade im Umschaltspiel, wenn ich merke, wir laufen in einen Konter rein. Wenn du dann in einer zentralen Position spielst und den Gegner stoppst, kann das Team sich wieder formieren. Da geht es auch um kleine Zeitgewinne - ein sehr wichtiger Punkt im Fußball heutzutage.

Wo beginnt beim Zupfen und Rempeln der Graubereich des "Unfairen"?

Fies wird's bei groben, gemeinen Fouls, die dem Gegner weh tun. Aber wenn ich mich mal resolut dem Angreifer in den Weg stelle, hat das nichts mit Boshaftigkeit zu tun. Ich bin keiner, der wirklich hart attackiert oder von hinten in die Gelenke rein grätscht. Solche Fouls passieren mir nicht.

"Ich bin bestimmt mal übers Ziel hinausgeschossen"

Am Wochenende bestreiten Sie Ihr 300. Bundesligaspiel - da sind insgesamt 60 gelbe Karten kaum der Rede wert. Aber in der laufenden Saison führen Sie mit acht Verwarnungen die Liga an. Wie wird aus einem fairen Profi wie Ihnen der Gelbkönig der Liga?

Ich würde sagen, dass die überwiegende Anzahl der Karten durch kleine "Meinungsverschiedenheiten" mit dem Schiedsrichter zustande kam. Da wurde ich vielleicht das ein oder andere Mal "falsch verstanden". Aber das liegt dann ja nicht an mir (lacht). Ich finde, man muss als Kapitän auch mal seine Meinung sagen können und seine Mannschaftskollegen verteidigen. Da werden meiner Ansicht nach gelbe Karten zu schnell verteilt.

Wie viele Ihrer acht gelben Karten waren denn berechtigt?

Ich erinnere mich nicht mehr an jede einzelne Situation. Insgesamt habe ich in etwa die Hälfte der Verwarnungen wegen Meckerns erhalten und den Rest für taktische Fouls.

In Ihren vergangenen sechs Partien gab es für Sie jeweils Gelb. War wohl ein diskussionsfreudiger Herbst.

Wir sind mit Werder im Abstiegskampf und müssen uns wehren. Ist mir jetzt aber auch neu, dass ich sechsmal hintereinander Gelb gesehen habe, das wundert mich schon. Da sollte ich tatsächlich mehr aufpassen. Ich bin oft sehr emotional im Spiel, da kann es schon mal zu weit gehen.

Keine Sorge: In 13 Profijahren kassierten Sie im Schnitt nur 4,6 gelbe Karten pro Saison. Bei echten Tretern sieht das anders aus.

Dann bin ich ja statistisch gesehen nie gelb-gesperrt gewesen (ab der fünften Gelben setzen Bundesliga-Profis ein Spiel aus, d. Red.). Aber ich verhaue mir gerade meine Statistik. (lacht) Im Ernst: Wer mich kennt, weiß, dass ich kein Grobian bin und dass es mir nur darum geht, mit Werder die Klasse zu halten. Wenn da ein paar gelbe Karten dazu kommen, kann ich damit gut leben.

Der Fußballvolksmund spricht gerne von "Zeichen setzen", wenn einer Gelb kriegt. Inwiefern hängt Ihre Kartenakquise in der Hinrunde damit zusammen, dass Sie als Kapitän der wichtigste "Zeichensetzer" sind?

Das bedingt sich sicherlich. Wenn ich das Gefühl habe, dass wir als Team ungerecht behandelt werden, versuche ich das zum Ausdruck zu bringen. Bestimmt bin ich da auch mal übers Ziel hinausgeschossen, aber es geht mir nicht um mein Standing. Es geht mir darum, Wichtiges anzusprechen oder eben mal das Spiel zu unterbrechen, damit wir kein Gegentor bekommen. Das verstehe ich als Kapitän unter "Zeichen setzen".

Was macht eine Verwarnung mit einem Defensivspieler und seinem Zweikampfverhalten? Wie sehr hemmt einen die Angst vorm Feldverweis?

Das hängt davon ab, wann im Spiel die Verwarnung stattfindet. Wenn es zu einem frühen Zeitpunkt ist, bremst es einen schon. Gerade wenn man in der ersten Hälfte Gelb bekommt, behält man das immer im Hinterkopf. Da heißt es beim nächsten Zweikampf: Noch mehr aufpassen.

Das gelang Ihnen fast immer - nur nicht in Duellen mit dem HSV, gegen den Sie Ihre einzigen beiden Platzverweise bekamen - schöne Pointe für eine lange Werder-Karriere, oder?

Ja! Ich hoffe, es bleibt dabei und es kommt beim letzten Nordderby nicht noch einer dazu.

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