Bundesliga:Nicht mal die Fans glauben an Werder

SF Lotte - Werder Bremen

Ernücherung in Lotte bei Lamine Sané (l) und Johannes Eggestein.

(Foto: dpa)

Ernüchternde Umfragen, witzelnde Journalisten: Ziemlich trostlos startet Werder Bremen beim FC Bayern in die Saison - natürlich inklusive einer Trainerdebatte.

Von Jörg Marwedel, Bremen

Das Hoch "Gerd" hat auch um Bremen keinen Bogen gemacht. 30 Grad, kaum eine Wolke. Doch in der Hansestadt passt die Stimmung derzeit nicht zum sonnigen Klima. Bürgermeister Carsten Sieling hat sich bei den Bremern gerade entschuldigt für den schlechten Service der Behörden. Und wer über den SV Werder spricht vor dem Bundesliga-Start an diesem Freitag beim Rekordmeister FC Bayern, der ist auf Schlimmes gefasst.

Ein Leser des Weser-Kurier hat gar gereimt in Anlehnung an Heinrich Heine: "Denk ich an Werder in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht." Bei einer Umfrage des Blattes über die Bremer Perspektiven haben fast 70 Prozent die Ränge 16 bis 18 genannt, also einen Abstiegsplatz.

"Wir hatten Angst", gab Mittelfeld-Mann Grillitsch zu

Das Stimmungstief hat Gründe. Da ist zum einen das Ausscheiden in der ersten Runde im DFB-Pokal gegen den Drittliga-Aufsteiger Sportfreunde Lotte (1:2). "Wir hatten Angst", gab Mittelfeldspieler Florian Grillitsch unumwunden zu. Hinzu kommt, dass der Angriff vorerst seiner besten Kräfte beraubt ist. Der ewig junge Claudio Pizarro, 37, kuriert noch einen Faserriss aus, der vom VfL Wolfsburg geholte Max Kruse wurde am Mittwoch wegen eines Außenbandrisses am Knie operiert und fällt bis zu drei Monate aus.

Damit ist der Mann, dessen Verpflichtung fast so viel Euphorie bei den Fans auslöste wie die Heimkehr von Pizarro 2015, vorerst nur Tribünengast. Und der am Mittwoch präsentierte Olympia-Fahrer Robert Bauer aus Ingolstadt ist kein Ersatz; er ist vorerst ein hochdekorierter Lehrling ("Was ich in Brasilien erlebt habe, kann ich später meinen Kindern erzählen"). Zudem ist Bauer kein Stürmer, sondern Defensivspezialist, der in Konkurrenz zum derzeit etwas ermatteten Theodor Gebre Selassie treten soll.

Die lokalen Journalisten machten sich derweil am Rande des Trainings einen Spaß, in dem sie gruselige Schlagzeilen komponierten. Zum Beispiel: "Wackel-Abwehr, Witz-Sturm, Trostlos-Trainer." Das Tief "Viktor" könnte tatsächlich auf die Bremer zukommen. Der Coach Viktor Skripnik, 46, den der Geschäftsführer Thomas Eichin entlassen wollte, bevor er selbst durch Frank Baumann abgelöst wurde, hat zwar vorerst die Rückendeckung durch die Chefs der Werder-Familie. Sein Vertrag wurde gar bis 2018 verlängert, auch um die Trainer-Debatte abzuwürgen.

Doch in Lotte war erneut kein klares System erkennbar. Zudem hat Skripnik bei der Zusammensetzung der neuen Abwehr noch kein Glück. Den in der Vorbereitung passablen Luca Caldirola (kam aus Darmstadt zurück) ließ er zugunsten der Zugänge Niklas Moisander (zu langsam) und Lamine Sané (zu fahrig) draußen. Der Defensiv-Verbund war löchriger als zuvor. 22 Torschüsse ließ man gegen den Drittligisten zu!

Die Sportfreunde aus Lotte sollen jetzt als Vorbild dienen

Baumann aber sagt: "Viktor hat gezeigt, dass er mit schwierigen Situationen umgehen kann." In diesem Fall hat Skripnik den freien Dienstag gestrichen und stattdessen eine ausführliche Videoanalyse von jenem Spiel angesetzt, in dem "alles, was man braucht, nicht auf dem Feld war", wie er es ausdrückte. Dann verordnete er ein Training, in dem jedem Spieler ein direkter Gegenspieler zugeteilt wurde. Quasi eine Manndeckung über den gesamten Platz. "Da bist du als Spieler immer im Fokus, da musst du liefern. Gewinnst du den Zweikampf, dann pusht dich das. So kommst du aus der Angst raus", behauptet Skripnik. Will er also gegen die Bayern mit totaler Manndeckung operieren?

Immerhin geht Skripnik, der vergangene Saison fast in jeder Pressekonferenz seine Fehden mit Berichterstattern austrug ("Die Journalisten sind unser 18. Gegner in der Bundesliga"), vorerst etwas gelassener mit der Kritik um als zu jener Zeit, in der er Eichins Loyalität vermisste. Baumann, der als Spieler schon Skripniks Kapitän war, hatte ihm ins Gewissen geredet, er solle keine Nebenschauplätze mehr aufbauen, die nicht nur ihm, sondern auch Werder schaden würden.

"Skripnik raus"-Rufe

"Ich weiß, dass ich ein Mann unter der Lupe bin", sagt Skripnik nun fatalistisch. Als Fans nach der Startpleite Gesprächsbedarf anmeldeten, kurbelte er sogar die Autoscheibe runter, um zu diskutieren. Gleichwohl hat der ukrainische Bremer bei den Anhängern wenig Bonus. "Skripnik raus"-Rufe waren in Lotte zu hören. Und nun muss Werder nach München, wo der Klub in den letzten fünf Auswärtsspielen 26 Tore schluckte.

Es werde noch etwas dauern, bis die neuen Spieler integriert sind, sagt Baumann. Sollte aber in den ersten Spielen eine Abwärtsspirale in Gang kommen, bekommt auch der neue Geschäftsführer Probleme. Bremen hat von den 26 Millionen Euro für die Transfers von Anthony Ujah (China) und Jannik Vestergaard (Gladbach) bislang 17 Millionen reinvestiert. Geht diese Personalpolitik nicht auf, drohen der Werder-Familie erneut wilde Turbulenzen. In München will sich der SV Werder nun die Sportfreunde aus Lotte zum Vorbild nehmen: "Man hat doch gesehen, was gar für einen Drittligisten möglich ist", sagt Clemens Fritz, der Kapitän.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: