Weitsprung: Sebastian Bayer:Der perfekte Sprung

Sebastian Bayer springt bei der Hallen-EM in eine neue Welt: Mit 8,71 Meter kratzt er sogar den Weltrekord von Carl Lewis und weckt Hoffnungen für die WM in Berlin.

Es war gar nicht so klar, ob Sebastian Bayer das Finale im Weitsprung erreicht. Die Organisatoren der Hallen-Europameisterschaft in Turin hatten die Qualifikation auf 9.40 Uhr angesetzt - eine Uhrzeit, zu der Bayers Kreislauf normalerweise erst langsam auf Touren kommt. "Wenn er die übersteht", hatte sein Trainer Jens Ellrott gesagt, "traue ich ihm im Finale alles zu." Alles?

Weitsprung: Sebastian Bayer: "Dass ich so weit springen kann, hätte ich bis jetzt auch nicht gedacht." Sebastian Bayer nach seiner Landung bei 8,71 Meter.

"Dass ich so weit springen kann, hätte ich bis jetzt auch nicht gedacht." Sebastian Bayer nach seiner Landung bei 8,71 Meter.

(Foto: Foto: dpa)

Es war dann wohl sehr viel mehr als Ellrotts "alles", was der Weitspringer von der Bremer LT im Finale zeigte. Im ersten Versuch verbesserte der 22-Jährige gleich seine Bestmarke um zwölf Zentimeter auf 8,29 Meter. Anschließend warf er einen Trainingsanzug über und sah zu, wie sich die Konkurrenz an dieser Weite abarbeitete. Bayer ließ drei Sprünge aus und übertrat einmal. Als er dann schon Europameister war (sein Leverkusener Freund Nils Winter kam ihm mit 8,22 Metern noch am nächsten und gewann Silber), trat Bayer zum letzten Sprung an. "Es ist eine Ehre, diesen letzten Versuch zu springen", sagte Bayer später.

Dieser Sprung wird Wellen verursachen in der internationalen Leichtathletik-Welt. 8,71 Meter. Hallen-Europarekord, nach dem Weltrekord von Carl Lewis aus dem Jahr 1984 (8,79) die zweitbeste Weite, die je in der Halle gesprungen wurde. Die eigene Bestleistung an diesem Tag um sagenhafte 54 Zentimeter verbessert. Das alles erinnerte an den Fabelsprung von Bob Beamon 1968 in Mexiko auf die damalige Weltrekord-Marke 8,90 Meter.

"Das ist unfassbar für mich", kommentierte Bayer seinen Wundersprung. Der Internetplattform leichtathletik.de erzählte er: "Es hat sich perfekt angefühlt. Ich dachte es seien vielleicht mit viel, viel Glück 8,40 Meter, aber das ist einfach Wahnsinn. Ich habe gemerkt, dass ich ihn optimal getroffen habe, aber dass ich so weit springen kann, hätte ich bis jetzt auch nicht gedacht."

Die Freundin weint

Es ist der weiteste Sprung, den je ein Deutscher in den Sand gesetzt hat. Den deutschen Rekord im Freien hält Lutz Dombrowski, der 1980 bei den Olympischen Spielen in Moskau für die DDR 8,54 Meter gesprungen war. Sein früherer Trainer in Leverkusen Joachim Schulz, der bis heute Bayers Trainingspläne schreibt, fragte ihn danach, ob er "bekloppt" geworden sein. Seine Freundin, die Hürdensprinterin Carolin Nytra, rannte in den Innenraum: "Sie hat geweint und gesagt, dass ich verrückt bin."

Es folgte schnell die Frage nach den Gründen. Wie kann ein Springer seine Bestleitung derart außergewöhnlich steigern? Schon vor dem Wettkampf in Turin meldeten der Athlet und Ellrott, Bayer habe seine Anlaufgeschwindigkeit zuletzt markant erhöht und seine 60-Meter-Bestzeit über 60 Meter um zwei Zehntelsekunden verbessert.

Zudem lobte Bayer die Anlage im Turnier Oval Lingotto. Sie sei sehr, sehr gut, man habe da ein super Gefühl. "Die Anlage hat sehr viel hergegeben, wenn man wusste, sie zu nutzen." Nach dem Sprung auf 8,29 Meter, den Bayer selbst als "technisch schlecht" bezeichnete, hatte Bayer noch mit seinem Kollegen Nils Winter gescherzt und ihn gefragt, wo denn der Europarekord liege. Den hielt zu diesem Zeitpunkt noch der Spanier Yago Lamela mit 8,56 Meter. "Darauf habe ich gesagt, das sei ein bisschen zu weit und habe damit abgeschlossen."

Bekenntnis zum sauberen Sport

Da Bayer vor dem letzten Sprung bereits den Titel sicher hatte, fiel von ihm eine Menge Druck ab. "Als ich dann als Sieger feststand, bin ich einfach gesprungen", sagte der 22-Jährige. Und dann das Wichtigste: "Ja, ich glaube so fühlt sich der perfekte Sprung an."

Trotzdem wirft eine solche Leistungssteigerung auch unangenehme Fragen auf nach eventuellen leistungssteigernden Mitteln auf. Aber auch dazu äußerte sich Bayer gradlinig. "Ich bekenne mich auf jeden Fall zu einem absolut sauberen Sport. Ich habe immer gesagt, dass 8,50 Meter sauber zu springen möglich sind. Da muss ich mich jetzt korrigieren." Er nehme das Anti-Doping-Thema sehr, sehr ernst und hoffe nicht, dass jemand seine Leistung in Frage stellt.

Für die deutsche Leichtathletik könnte die Leistung Bayers im Hinblick auf die Weltmeisterschaft im August in Berlin eine Initialzündung darstellen. Insgesamt schafften die deutschen Athleten nach dem Debakel bei den Olympischen Spielen in Peking (mit nur einer Bronzemedaille) bemerkenswerte Ergebnisse. Zehn Medaillen und drei Titel (neben Bayer die Hochspringerin Ariane Friedrich und die Kugelstoßerin Petra Lammert) nahm der Deutsche Leichtathletik-Verband erleichtert zur Kenntnis. "Das Wichtigste ist, dass wir von der bedrückten Stimmung nach Peking weggekommen sind. Die Vorbereitung auf Berlin ist erst mal gut beschritten worden", sagte der neue Bundestrainer Herbert Czingon.

Sebastian Bayer wird im Hinblick auf Berlin damit zurechtkommen müssen, nun als neuer Hoffnungsträger zu gelten. Dabei dämpft er schon mal die Erwartungen: "Wenn ich da 40 Zentimeter weniger springe, habe ich mein Ziel schon erreicht", sagte er. Und sein Trainer Jens Ellrott wird wohl ankündigen, dass er froh wäre, wenn sein Springer die Qualifikation überstehe.

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