Wechsel zum FC Bayern:Sebastian Rudy kann auch laut

Sebastian Rudy TSG 1899 Hoffenheim gegen Timothy Chandler Eintracht Frankfurt 30 04 2017 TSG

Drei Spiele noch im blauen Trikot, dann wird er ein Roter: Sebastian Rudy, 27.

(Foto: Marc Schüler/imago)
  • Sebastian Rudy wechselt mit großen Ambitionen zum FC Bayern und will seine Klasse in München unter Beweis stellen.
  • Der Nationalspieler ist in Hoffenheim gesetzt und die zentrale Figur im System von TSG-Trainer Julian Nagelsmann.
  • Auf welcher Position der Neuzugang beim FC Bayern zum Einsatz kommen wird, ist jedoch noch offen.

Von Christof Kneer

Es ist ein dunkles Kapitel in Sebastian Rudys Vita, er kann sich heute selbst nicht mehr erklären, wie es dazu kommen konnte. Er war zehn Jahre alt, hatte eine intakte Familie, hatte Freunde, es gab eigentlich keinen Grund, auf die schiefe Bahn zu geraten. Aber es passierte: Sebastian Rudy, aufgewachsen im baden-württembergischen Kreis Rottweil, wurde Fan von Bayer Leverkusen. Erbliche Vorbelastungen gab es keine, seine Mutter hielt zu Kaiserslautern, sein Vater zu Gladbach, und in der Schule gab es Freiburg-, Stuttgart- und die üblichen Bayern-Fans. Leverkusen-Fans gab es, soweit bekannt, in der ganzen Gegend nur zwei: Sebastian Rudy und kurz darauf auch seinen jüngeren Bruder, den er offenbar angesteckt hatte.

Zweierlei kann man dazu anmerken, heute, 17 Jahre später. Erstens: Eine eigene Meinung hatte dieser stille Junge offenbar immer schon. Zweitens: Leverkusen-Fan konnte man damals guten Gewissens sein, es war die Elf mit Michael Ballack, Zé Roberto und dem sehr unvergessenen Bernd "Schnix" Schneider. Letzterer war Sebastian Rudys Lieblingsspieler, auch da gilt: Man kann es schlechter treffen.

Inzwischen ist Rudy selber so eine Art Schnix, auch abseits des Rasens, wo er wie das Leverkusener Original keinen Wert darauf legt, sich zu inszenieren. Wenn Rudy, 27, ein Café in seinem Wohnort Heidelberg betritt, fehlt ihm nur der Rucksack, um als Student durchzugehen. Die Leute lassen ihn seine Cranberry-Schorle bestellen und wollen keine Selfies und auch kein Statement zu seinem anstehenden Wechsel zum FC Bayern, und man weiß nicht genau, ob sie ihn nicht erkennen oder ob sie den stillen jungen Mann mit der eigenen Meinung halt einfach in Ruhe lassen.

Nach allem, was man so mitbekommt, ist es kein schlechter Lebensentwurf, Sebastian Rudy zu sein. Er zählt zu den feineren deutschen Fußballern, er ist Nationalspieler, und doch kommt er einigermaßen unbelästigt durchs Leben. Das aktuelle Wochenende ist ein typisches Sebastian-Rudy-Wochenende, so gesehen: Er führt den Champions-League-Kandidaten aus Hoffenheim als Kapitän zum Spitzenspiel in Dortmund aufs Feld, und doch sind die Schlagzeilen weitgehend rudyfrei. Taktik-Battle zwischen Tuchel und Nagelsmann! Paris-Interesse an Aubameyang! Um so was geht's. Sebastian Rudy? Ach, stimmt: Der spielt ja auch mit.

"Ich gehe nicht als Talent nach München, sondern als Nationalspieler"

Ausgerechnet jetzt, da er laut eigener Aussage "die mit Abstand beste Saison" seiner Karriere spielt, ist der zentrale Mittelfeldmann Sebastian Rudy an einem Punkt angekommen, an dem diese wunderbare Unaufdringlichkeit vom Luxus zum Problem zu werden droht. Er hört ja all die Flüstereien in der Branche: Okay, schlecht ist der Rudy nicht, aber was wollen die Bayern denn mit dem? Will der echt jahrelang auf der Bank versauern? Hat der Bursche nix gelernt aus dem Schicksal von Jan Kirchhoff und Sebastian Rode, für die der FC Bayern erkennbar zwei (Rode) bis drei (Kirchhoff) Etagen zu hoch war?

Sebastian Rudy, ein ehemaliger Leverkusen-Fan aus dem Kreis Rottweil, hat wieder mal eine eigene Meinung, er sagt: "Wenn ich nicht total überzeugt wäre, hätte ich den Schritt nicht gemacht. Ich gehe nicht als Talent nach München, sondern als Nationalspieler und Kapitän eines Champions-League-Kandidaten."

Er sagt: "Als das Bayern-Angebot kam, war ich selbstbewusst genug zu sagen: Das passt. Die haben sich da nicht geirrt." Und er sagt: "Die Leute sollten mich nicht unterschätzen. Ich bin im Angriffsmodus! Wir wollen mit Hoffenheim jetzt erst mal die beste Saison der Vereinsgeschichte spielen, und im Sommer will ich dann beim FC Bayern zeigen, dass ich auf höchstem Niveau spielen kann."

Rudys feiner Fuß hat nie zur Ruhe gefunden

Rudy sei "einer der am meisten unterschätzten deutschen Topspieler", sagt Michael Reschke, der Technische Direktor und Kaderplaner des FC Bayern. Zu Reschkes Jobprofil gehört es, die Dinge im Stillen vorzubereiten und nach erfolgter Realisierung genüsslich unkommentiert zu lassen, aber im Fall Rudy drängt es ihn aus den Kulissen nach vorne an die Rampe.

"Wir sind richtig glücklich, dass wir einen so interessanten und vielseitigen Spieler verpflichten konnten", sagt Reschke, "Sebastian hat in dieser Saison noch mal einen Riesenschritt gemacht und wird unseren Kader deutlich bereichern." In dem für alle Branchenmitglieder kostenfrei zugänglichen Sprachbaukasten liegt für ablösefreie Zugänge wie Rudy üblicherweise die Formulierung "sinnvoll ergänzen" griffbereit herum. "Deutlich bereichern" ist neu, die Formulierung soll dem Spieler demonstrieren, dass er seinen Kampf um Anerkennung nicht allein kämpfen muss.

Auf der Sechs ist Geschick gefragt

Rudy ist kein Spieler, wegen dem die Leute "Ruuuuudy" brüllen, aber in dieser Saison vermittelt er sehr deutlich den Eindruck, dass er die ganzen Vokale gar nicht braucht. Der kleine Rudy ist auf dem Weg zum großen Rudolf. "Das Entscheider-Gen" habe Rudy in dieser Saison entdeckt, sagt sein Trainer Julian Nagelsmann, der mit Leidenschaft sein Personal rotieren lässt, einen Spieler aber für unrotierbar erklärt hat: Rudy, seinen Kapitän, der immer auf der Sechs spielt - der prägenden Position im modernen Fußball, der sich an Typen wie Rudy erst gewöhnen musste.

"Heute muss ein Sechser kein Riesenathlet mehr sein, der überall seinen Körper rein wirft", sagt Rudy, "um Zweikämpfe zu gewinnen, brauche ich nicht unbedingt Masse. Zweikampfstärke bedeutet auch schnelles und geschicktes Handeln."

Sieben Jahre ist Rudy jetzt in Hoffenheim, er hatte neun Trainer in dieser Zeit, die einen wollten, dass er im Zentrum mehr grätscht, die anderen wollten ihn von rechts flanken sehen. In all dem Durcheinander hat sein feiner Fuß nie zur Ruhe gefunden, erst unter Nagelsmann fühlt er sich artgerecht besetzt. "Und meine Überzeugung ist", sagt Rudy, "dass meine Qualitäten in einer dominanten Elf mit viel Ballbesitz noch besser zur Geltung kommen." Das ist es, was ihn von den Rodes & Kirchhoffs unterscheidet: Er besitzt zumindest das technische Vermögen, das auch einen Spieler wie Thiago motivieren könnte, den Ball mal zu dem Neuen rüber zu schieben.

Erstes Ziel müsse sein, "zu den 13, 14 Stammspielern zu gehören", sagt Rudy, er könnte mal Thiago doubeln und mal Vidal, vielleicht wird er aber auch gleich rechts hinten auf dem Posten landen, den Philipp Lahm räumt. "Ich habe schon das Gefühl, dass Bayern zentral mit mir plant", sagt er, "aber über die Rechtsverteidiger-Position wurde auch gesprochen, das ist für den Anfang sicher auch eine Option. Denkbar wäre ja ein Weg wie bei der Nationalelf: Da habe ich auch rechts hinten angefangen und bin am Ende auf der Sechs gelandet."

Vielleicht sollte man den jungen Mann wirklich nicht unterschätzen. Leverkusen-Fan ist er übrigens nicht mehr.

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