Wales:Perfekter Flatterschuss

Gareth Bale of Wales scores the opening goal during the UEFA European Championships 2016 group B m

Der entscheidende Moment: Gareth Bale lässt sein Schussbein nur minimal nachschwingen, sein Freistoß schlägt eine ungewohnte Flugbahn ein.

(Foto: imago)

Gareth Bale zeigt die Weiterentwicklung von Ronaldos Topspin-Technik. Beim Aufwärmen verletzt er damit leider auch einen Fan.

Von Johannes Kirchmeier

Ein fünf Tippelschritte langer krummer Anlauf, ein krummer Schuss - schon hatte Gareth Bale, 26, seinen Platz in der Geschichte des walisischen Fußballverbands untermauert. Der Offensiv-Virtuose von Real Madrid ist jetzt der erste Torschütze seines kleinen Landes bei einer EM. Nach dem Treffer gegen die Slowakei in der zehnten Minute rannte er mit offenen Armen zur Auswechselbank, während er seine Freude in den Abend von Bordeaux schrie. Von Aberaeron Today bis zu den Whitehaven News dürften alle Zeitungen von Wales dieses Jubelbild abgedruckt haben. Wales hatte im Anschluss als erstes britisches Team überhaupt ein Auftaktspiel bei einer Fußball-Europameisterschaft gewonnen, 2:1 gegen die Slowakei: "Ein herrlicher Augenblick für unser Land. Wir haben allen Grund zum Feiern", sagte Bale.

Das Kunstwerk an diesem Abend war allerdings nicht der Jubel nach dem 1:0, sondern das Tor, das ihm vorausging, das Bales Trainer Chris Coleman gelassen kommentierte: "Er weiß, was Wales braucht, und er liefert." Gareth Bale führte seinen 25-Meter-Freistoß mit jener Schusstechnik aus, für die sein Real-Kollege Cristiano Ronaldo berühmt geworden ist - er stellte sich vor der Ausführung auch genauso breitbeinig hin. Wie eine aus der Hand abgefeuerte Silvesterrakete zuckte die Kugel nach Bales Schuss dann durch die Luft, bevor sie wie ein Stein auf den Boden fiel und nach einer kurzen Rasenberührung in der Torwartecke landete. Seit er 2013 für nie präzise ermittelte 90 bis 100 Millionen Euro zu Real Madrid wechselte, übt Bale die Topspin-Freistöße gemeinsam mit Ronaldo im Training. Schon zuvor hatte er versucht, dessen Variante nachzuahmen.

Beim Aufwärmen bricht der Kunstschütze einem Fan die Nase

Doch wie schafft es Bale, den Ball derart zum Flattern zu bringen? Der Waliser nutzt dazu den Luftwiderstand. Seine Schusstechnik wird im Fußball immer gängiger - nicht nur Ronaldo, auch der verletzte deutsche Nationalspieler Marco Reus schießt so. Und Bale hat die Technik perfektioniert. Er läuft seitlich versetzt an, macht sich während des Anlaufs klein, bevor er den Ball zwischen Spann und Innenrist trifft. Dann wird es kompliziert: Wie man auch beim Tor gegen die Slowakei sieht, lässt Bale sein Schussbein nur minimal nachschwingen, streckt seinen Körper durch und packt maximale Energie in den Schuss. Der Effekt: Die Flugkurve ändert sich. Wie beim Topspin im Tennis oder im Tischtennis steigt sie zunächst an, Bales Schuss fliegt erst über die Mauer. Im Laufe des Fluges wird der Luftwiderstand für den Ball allerdings größer, die Kugel fällt ruckartig herunter. Was Bale anders als Ronaldo macht: Er trifft den Ball seitlich und gibt ihm damit noch Drall mit auf den Weg. Die Kugel rotierte nach links, und der slowakische Torhüter Matus Kozacik war so irritiert von Bales abstürzender Rakete, dass er hilflos am Ball vorbeipatschte.

Bale hat englischen Reportern einmal erklärt, wie er sich Ronaldos Variante beigebracht hat. Er feile seit Jahren am perfekten Schuss, sagte er. Zunächst habe er nur versucht, den Ball mit der besonderen Technik aufs Tor zu bringen, was anscheinend schwer genug war. Danach baute er sich zusätzliche Hindernisse auf. Und erst nach Wochen testete er den Schuss mit einem Torhüter im Tor: "Es ist eine Entwicklung, und es dauert eine ganze Weile, bis man es schafft!", sagte Bale.

"Der Typ ist weltklasse", würdigte ihn Mitspieler Joe Allen vom FC Liverpool. Bale, auch das ist ein Unterschied zum Kollegen Ronaldo, war das Lob scheinbar etwas unangenehm: "Es ist doch egal, wer die Tore macht", sagte er. Vielmehr freue er sich auf das innerbritannische Duell mit England an diesem Donnerstag (15 Uhr/ZDF). Wales führt nach seinem ersten EM-Sieg die Gruppe B überraschend an.

Den Topspin wird Bale dann wieder versuchen, doch er bleibt eine riskante Freistoßtechnik. Denn mindestens genauso oft wie Bales und Ronaldos Schüsse aufs Tor fliegen, landen sie auf der Zuschauertribüne. So passierte auch dem Kunstschützen Bale ein Malheur: Beim Aufwärmen schoss er einem Anhänger ins Gesicht und brach ihm die Nase. Weil aber in der zehnten Spielminute dann alles gepasst hat bei Bales Freistoß, wird ihm der Zuschauer nicht lange böse gewesen sein. Er ist Waliser.

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