Wales:Blond neben Bale

Der optisch bislang eher unscheinbare Aaron Ramsey fällt bei Wales nicht nur wegen seiner fürs Turnier gefärbten Haare auf.

Von Raphael Honigstein, Paris

Die Teamkollegen staunten erst gehörig, der übliche Kabinenspott (Fachbegriff: bants) ließ aber nicht lange auf sich warten. "Mit (Justin) Bieber fahren wir ins Trainingslager", schrieb Rechtsverteidiger Chris Gunter auf Twitter unter ein Foto, das ihn mit dem frisch erblondeten Kollegen Aaron Ramsey zeigte.

Ramseys pünktlich zur Europameisterschaft zugelegte neue Haarpracht erinnert wahrlich ein bisschen an die Frisur des kanadischen Popstars. Ob das vom Mittelfeldspieler des FC Arsenal so beabsichtigt war, sei dahingestellt. Interessant wird diese Fußnote aus dem Milieu der Waliser jedoch erst, wenn man weiß, dass Ramsey, Spitzname Rambo, in seinen acht Jahren als Profi in der Premier League zuvor nie mit modischen Mätzchen aufgefallen war. Der 25-Jährige ist, im Gegenteil, abseits des Platzes einer der ruhigsten, unauffälligsten Spieler in einer Liga, die ihre Kicker mit soviel Geld zuschüttet, dass viele schnell die Bodenhaftung verlieren. Er war nie in den Klatschspalten, nie wegen Indiskretionen in der Bredouille; er ist ein solider, leiser Typ, der sich im Urlaub für den Schutz von Elefanten einsetzt.

"Aaron hat kein Problem damit, im Hintergrund zu bleiben", hat Wales' Nationaltrainer Chris Coleman jüngst gesagt, als es mal wieder darum ging, dass Ramsey und seine Mitspieler in der Öffentlichkeit weitgehend als Zuarbeiter von Gareth Bale, dem Sprinter mit Superstar-Status von Real Madrid, gesehen werden. Beziehungsweise nicht gesehen werden, weil sie in Bales Schatten stehen. Coleman, ein gerissener Kerl, der 2007/08 als Trainer von Real Sociedad San Sebastián in Spanien schon mal eine defekte Waschmaschine für eine verpasste Pressekonferenz verantwortlich machte - in Wahrheit jedoch Flüssigkeitsprobleme der ganz anderen Art (Party bis fünf Uhr morgens) hatte -, ist aber lange genug im Geschäft, um zu verstehen, dass Ramsey Ende Mai wohl nicht zufällig zum Friseur ging. "Wer mit seinen Haaren schockiert, und das hat er, braucht viel Selbstbewusstsein, weil er damit im Rampenlicht stehen wird", sagte Coleman.

Wales: Flügelflitzer vom FC Arsenal: Aaron Ramsey, 25.

Flügelflitzer vom FC Arsenal: Aaron Ramsey, 25.

(Foto: Petr David Josek/AP)

Ramsey spielt in Frankreich nun sein übliches, von hohem Laufaufwand gekennzeichnetes Spiel, als wichtigste Hilfskraft von Bale in der Offensive. Aber er will dafür offensichtlich auch stärker wahrgenommen werden. Er habe sich das mit dem blonden Kopf lange überlegt, hat er gesagt; er hoffe aber, dass ihm die Leute mehr auf die Füße schauen.

Der Blick dorthin lohnt sich. Ramsey lieferte beim 3:0 gegen Russland im letzten Gruppenspiel im Verbund mit Bale eine hervorragende Leistung ab. Er erzielte den ersten Treffer und steht nach drei Partien bei zwei Torvorlagen. Der im Trabantenstädtchen Caerphilly zwölf Kilometer außerhalb von Cardiff aufgewachsene Leistungsträger (42 Länderspiele) verbindet kreative Momente mit unheimlich viel mannschaftsdienlicher Arbeit in der Defensive. Kein Mittelfeldspieler ging in Frankreich bislang häufiger in die Grätsche (27 Mal), keiner hat den Ball in der Zentrale häufiger gewonnen (16 Mal).

Ramsey galt früh als größtes Waliser Talent seit der Manchester-United-Ikone Ryan Giggs, mehrere Premier-League-Klubs boten seinem Verein Cardiff City eine Million Pfund für einen Transfer, als er erst 15 Jahre alt war. Mit 17 ging er zum FC Arsenal und wurde bald Stammspieler, bevor Stoke-City-Verteidiger Ryan Shawcross im Februar 2010 wie ein 80-kg-Klappmesser anrauschte und ihm einen Schien- und Wadenbeinbruch zufügte. Ramsey war neun Monate außer Gefecht, Shawcross' Entschuldigung nahm er nicht an. Seitdem singen die Fans im Britannia-Stadion bitterböse über "Aaron Ramsey mit dem Hinkebein", wenn die Gunners in Stoke zu Besuch sind.

Turnierbaum

Wales stand vor vier Jahren an 177. Stelle der Fifa-Weltrangliste, seitdem haben die "Red Dragons", die roten Drachen, nicht zuletzt dank Ramsey, dem zweiten, heimlicheren Spitzenkönner in der Mannschaft, einen "verrückten Sprung nach vorne gemacht", wie er sagt. Bei der Auslosung für die WM-Qualifikation waren sie bereits im Topf der Favoriten. Aktuell werden die Waliser auf Fifa-Platz 26 der weltbesten Teams geführt, einen Rang unterhalb der Nordiren, die an diesem Samstag im Prinzenpark von Paris der Achtelfinal-Gegner im kleinsten der "Battles of Britain" genannten Insel-Duelle sind.

Trainer Chris Coleman, 46, setzt auf die starke Abwehr sowie den pfeilschnellen Bale, und zwischen den beiden Abteilungen vor allem auf Aaron Ramsey, der nicht mehr wie früher ständig in Richtung Strafraum rennt, sondern "sich seiner Position und Verantwortung auf dem Platz viel bewusster ist", wie Coleman sagt. Laut dem Boulevardblatt The Sun ist ob der starken Vorführungen nun Manchester United an seiner Verpflichtung interessiert. Das könnte, kein Witz, auch an den Haaren liegen. In ihrem Buch "Warum England immer verliert" haben Simon Kuper und Stefan Szymanski nachgewiesen, dass Premier-League-Scouts blonde Spieler mehr bemerken und überdurchschnittlich gut bewerten.

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