Wahl des IOC-Präsidenten:Letzte Hoffnung der Abgeschlagenen

Thomas Bach gilt als großer Favorit für die Präsidentschaftswahl des IOC. Doch die brisanten Aussagen seines Unterstützers Ahmed Al-Sabah müssten eigentlich die Ethik-Kommission auf den Plan rufen. Die Hoffnung der Außenseiter richtet sich nun ganz auf das Gremium.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Die olympische Informationsbörse ist unter einer gewaltigen Glaskuppel zugange, zu Füßen einer riesigen Fernsehwand, die in der Lobby des Hilton-Hotels errichtet wurde. Unermüdlich werden hier neueste Wasserstandsmeldungen ausgetauscht. Am Dienstag wird der IOC-Thron neu besetzt, praktisch alle am Tagungsort sehen weiter Thomas Bach vorne. Diskutiert wird aber, dass es auch für ihn noch Gefahrenpotential gebe.

Seit Monaten hat sich der Wahlkampf auf ein überschaubares Szenario zugespitzt: Hier der deutsche Kandidat, mit seinem mächtigen Unterstützer Ahmed Al-Sabah, dort die übrigen fünf Thronbewerber. Einige von ihnen sollen darüber nachdenken, wie dem Favoriten noch beizukommen wäre. Der Druck hinter den Kulissen sei gewaltig, insbesondere den von Botengängern gestreuten Eindruck, die Wahl sei schon entschieden, beklagen manche als ungebührlich. Sogar das Gerücht geht um, zwei Kandidaten wollten sich am Sonntag zurückziehen.

Die Hoffnung der Außenseiter richtet sich nun auch auf ein neunköpfiges Gremium, das Bach in den Schlusstagen noch am ehesten zusetzen könnte: die IOC-Ethikkommission. Denn die Debattierzirkel im olympischen Familienhotel thematisieren Angelegenheiten, die "Ethik im Sport" tangieren - und auch Thomas Bach betreffen.

Die Kommission ist ein kompliziertes Gebilde. Gegründet wurde sie nach dem Korruptionsskandal um die Spielevergabe an Salt Lake City, einige IOC-Leute sitzen drin, in der Mehrheit externe Experten. Wann sie warum und wie tätig wird, ist nicht zu erfahren. Aber bisweilen hat sie nachdrücklich eingegriffen, obwohl sie Sanktionen nur vorschlägt und der IOC-Vorstand diese absegnen muss.

Das letzte Mal geriet das Gremium in den Fokus, als es sich Ende 2011 mit IOC-Mitgliedern beschäftigte, die von der 2001 bankrott gegangenen Sportrechteagentur ISL Gelder kassiert hatten. Der Senegalese Lamine Diack und der Kameruner Issa Hayatou erhielten eine Verwarnung beziehungsweise einen Verweis; der langjährige Fifa-Präsident Joao Havelange trat zurück, bevor der angekündigte Ausschluss formal beschlossen war. Damals erschienen die Strafen vielen als zu mild; immerhin aber war das IOC deutlich aktiver als etwa die Fifa.

Diese Herangehensweise ist Maßstab für die nun debattierten Fälle. Dabei geht es um den kuwaitischen Scheich Al-Sabah, IOC-Mitglied seit 1991 und so einflussreich, dass er als "Königsmacher" gilt. Seine Unterstützung dürfte ein zentraler Grund für Bachs gute Ausgangsposition sein.

Eine IOC-Sprecherin bestätigte auf Anfrage, Al-Sabah sei im Laufe des Wahlkampfes von der Ethik-Kommission einmal an die Regeln "erinnert" worden; wohl als Reaktion auf seine Pro-Bach-Aussagen gegenüber Journalisten Ende Mai in St. Petersburg. Laut Paragraph elf des Ethikcodes dürfen IOC-Leute nicht öffentlich erklären, wen sie unterstützen. Daran seien auch andere Kollegen schon "erinnert" worden, teilt das IOC mit; beispielsweise lieferte eine Äußerung des Italieners Pescante pro Bach eine Vorlage.

Vorwurf der Manipulation

Inzwischen dürfte sich die Bewertungsgrundlage geändert haben. Denn weitere Äußerungen des Scheichs wurden publik, die den Regeln widersprechen. In einem in der Vorwoche in der ARD ausgestrahlten Beitrag war ein Interview mit Al-Sabah zu sehen, das ebenfalls in St. Petersburg stattfand, inhaltlich aber deutlich weiter ging: Nicht in Eile zwischen Tür und Angel, sondern ruhig auf einem Sessel sitzend führt der Scheich seine Unterstützung für Bach aus, spricht von einer zwölf Jahren alten Abmachung - und ergänzt, dass es Bedingungen gebe, die Bach angeblich zu erfüllen habe. Trotz der Erinnerung durch die Ethiker fiele es dem Scheich schwer, seine Parteinahme für Bach einzudämmen. Zwar akzeptiere er die Regeln, "aber ich habe eine andere Meinung. Solche Regeln gibt es in meinen Organisationen nicht." Auch gegenüber einem Spiegel-Reporter pries Al-Sabah in Kuwait, wie es in dem Artikel heißt, ausführlich Bachs "Vorzüge".

Gäbe es die behauptete Abmachung, inklusive Bedingungen, dürfte dies ein weit gravierenderer Verstoß als eine einfache Wahlaussage sein. Die Sanktionsmöglichkeiten der IOC-Ethiker reichen von Rüge bis Ausschluss. Wie heikel die Causa offenbar ist, ergibt sich daraus, dass das IOC trotz mehrfacher Anfrage nicht mitteilt, wie es mit dem gesammelten Material umgeht. Umso heftiger bewegt die Flüsterrunde am Rio de la Plata, welche Aspekte der behauptete Deal umfassen könnte.

Eine erneute Golf-Bewerbung? Zweimal scheiterte Doha schon an der Ablehnung des scheidenden IOC-Chefs Jacques Rogge, der als Arzt Hitzeprobleme für die Athleten sah. Oder will der Scheich Bach an der IOC-Spitze beerben? Eine SZ-Anfrage an Bach, ob es eine Abmachung gebe wie vom Kuwaiter behauptet, beantwortete ein Sprecher: "Was Scheich Ahmad mit seiner Aussage ausdrücken wollte, ist uns nicht bekannt."

Dabei kennen Kuwaits Strippenzieher die Verhaltensregeln im Bedarfsfall perfekt. Ende April brauchte Asiens Fußballverband AFC einen neuen Chef, die Fifa hatte den lange Jahre regierenden Mohamed Bin Hammam (Katar) lebenslang gesperrt. Kuwaits Wunschkandidat war Scheich Salman, Angehöriger des Königshauses Bahrain, dem bei den gewaltsam niedergeschlagenen Aufständen im Land gar ein Vorgehen gegen Sportler angelastet wurde (was er bestritt).

Am 30. April nun meldete Al-Sabahs Vertrauter Husain Al-Mussalam der Fifa, die frühere Entourage Bin Hammams habe am Wahlort Kuala Lumpur "mit verschiedenen Mitgliedern der AFC-Familie geredet", er habe es selber gesehen - und das verstoße gegen die Regeln. Die Fifa reagierte am selben Tag, sie sandte Katars Verband eine scharfe Warnung. Salman wurde anderntags gewählt.

Zudem kursiert in Buenos Aires eine Episode, die sich auf Bachs aktive Zeit beziehen soll. Ein früherer Fechter hatte Bach in einem Fernsehbeitrag am Montag anonym beschuldigt, bei einem Kampf Anfang der Siebziger manipuliert zu haben. Bach habe bewusst einen nassen Handschuh benutzt - das kann die Elektrotechnik, die die Treffer misst, beeinflussen.

Der Sender teilte mit, der Zeitzeuge habe die Aussage per Eideserklärung bekräftigt. Zur Frage, ob der Vorwurf zutreffe, teilt Bachs Sprecher mit: "Die Unterstellung ist unlogisch, weil das Regelwerk (...) eine technische Überprüfung aller Gegenstände vor dem Gefecht und bei jedem Materialwechsel während des Gefechts vorsah und bis heute vorsieht." Der Schiedsrichter habe dies zu prüfen und bei wiederholtem technischen Defekt entsprechend mit einer Verwarnung zu ahnen. Bach habe niemals Handschuhe oder andere Ausrüstungsgegenstände manipuliert.

Eine Reaktion der Ethiker hat Bach hier nicht zu befürchten. Das IOC teilte mit, es sei nicht seine Sache, sich mit Fragen zu befassen, die vor mehr als 40 Jahren von zuständiger Stelle validiert worden seien. Auch im deutschen Sport ist der Vorwurf bisher kein Thema.

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