Leichathletik:Das amtliche Totalversagen eines Sportverbandes

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Wer läuft noch sauber? Die internationale Leichtathletik steckt in einer tiefen Vertrauenskrise. (Foto: Christian Escobar Mora/dpa)
  • Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada wirft dem Welt-Leichtathletikverband IAAF komplettes Versagen bei der Bekämpfung von Korruption und Doping vor.
  • Trotzdem nimmt Wada-Chef Richard Pound seltsamerweise IAAF-Präsident Sebastian Coe in Schutz.
  • Der Report enthüllt außerdem, dass die Vergabe der olympischen Spiele nach Tokio 2020 manipuliert gewesen sein könnte.

Von Thomas Kistner

Eine Pressekonferenz voller Paukenschläge war angekündigt für Donnerstagnachmittag in München, zum Systemdoping in Russland und zu dessen fachmännischer Verschleierung durch den Leichtathletik-Weltverband IAAF. 100 Berichterstatter reisten aus aller Welt an, um dem Kanadier Richard Pound und seiner unabhängigen Wada-Kommission zu lauschen. Doch dann gab es vor allem: Widersprüchlichkeiten. Und Pound, Gründungspräsident der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, geriet selbst unter Druck. Neues zum Pharmabetrug präsentierte er kaum, die Kernteile des Berichts waren bereits vorab publik geworden; die einzige wirklich heiße Spur führt zur Olympia-Vergabe 2020 nach Tokio. Dafür wirkten Pounds Versuche bizarr, sich schützend vor den englischen Funktionärskollegen Sebastian Coe an der IAAF-Spitze zu werfen.

Für Pound, der vor Tagen im Hinblick auf die Übeltäter an der IAAF-Spitze noch von "Drecksäcken" gesprochen hatte, war nun plötzlich klar: Der Brite Coe ist der Mann, der die IAAF aus der Existenzkrise führen könne. Was nicht nur daran lag, dass Coe persönlich ins Unterschleißheimer Hotel geeilt war und demonstrativ im Presseauditorium saß. Ob Coe als langjähriger Spitzenfunktionär nicht zuvorderst jenem IAAF-Council zuzurechnen sei, dem sein Gremium gerade den "kompletten Zusammenbruch der Führungsstruktur" bescheinigt hat? I wo, aus Fehlern lerne man. Und Coes tiefe Loyalität zu Vorgänger Lamine Diack, den Frankreichs Justiz seit Herbst festhält, war für Pound nur Gefälligkeit: "Man spricht als neuer Chef nicht schlecht über den Vorgänger."

Das Image der IAAF ist runiniert

Ein Funktionärszirkel um Diack und seine im Geschäftsumfeld der IAAF implementierten Söhne hatte geholfen, auffällige Blutwerte russischer Athleten zu vertuschen - gegen Schmiergeld. Das soll ermöglicht haben, dass die Sportler trotz positiver Tests bei den London-Spielen 2012 und der WM 2013 in Moskau starteten. Ein Vertuschungsversuch für die türkische 1500-Meter-Olympiasiegerin Asil Alptekin schlug zwar fehl, Pound vermutet nun aber, dass die bisherigen Funde ohnehin "nur die Spitze des Eisbergs" sind.

Das Image der IAAF ist ruiniert. Die Wada-Kommission attestierte dem Weltverband ein Totalversagen, hauptverantwortlich für die "Organisation und Ermöglichung der Verschwörung" sei der langjährige Boss aus dem Senegal, Lamine Diack. "Gravierend" gewesen sei der Mangel an politischem Willen, Russland mit "dem vollen Ausmaß seiner bekannten Dopingaktivitäten zu konfrontieren" - und ebenso inakzeptabel die Reaktion der IAAF-Spitze auf Korruption.

Denn befürchtet wird auch, dass hohe IAAF-Vertreter von Beschlüssen profitierten, Weltmeisterschaften an bestimmte Städte zu vergeben. Auch Olympia habe diese Korruption betroffen: Aus Mitschriften gehe hervor, dass die Türkei Diacks diskrete Hilfe im Bewerbungsprozess um die Spiele 2020 verloren habe, nachdem sie sich weigerte, einen Sponsorbetrag "von vier bis fünf Millionen Dollar" für die Diamond League oder die IAAF durchzureichen. Das Geld habe laut Gesprächsprotokollen dann Japan gezahlt. Tokio erhielt den Zuschlag für die Sommerspiele 2020.

Solche Erkenntnisse berühren massiv das Internationale Olympische Komitee (IOC), dessen Kernsportart die Leichtathletik ist. Da wird dann auch schon mal eine als unabhängig titulierte Wada-Untersuchung zum Spielball. Wird Coe, der noch im August angesichts der Enthüllungen von einer "Kriegserklärung" der Medien gegen seinen Sport gesprochen hatte, jetzt von der Branche um den Preis der eigenen Glaubwürdigkeit geschützt? Der Brite soll bei der nächsten IOC-Session in den Ringe-Zirkel aufrücken - wo Pound seit 38 Jahren seine sportliche Heimat hat, und bis zuletzt um Ämter rang.

Interpol fahndet nach Diacks Sohn

Präsidenten im Fokus

Lamine Diack

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(Foto: Yuri Kochetkov/dpa)

Der langjährige IAAF-Präsident (1999 bis 2015) aus dem Senegal steht im Zentrum des Skandals. Unter anderem mit Hilfe seiner Söhne soll er von positiv getesteten Sportlern Bestechungsgelder eingetrieben haben. In Frankreich wird gegen den 82-Jährigen wegen Korruption und Geldwäsche ermittelt, er ist nur gegen Zahlung von 500 000 Euro Kaution auf freiem Fuß. Das Land darf er nicht verlassen.

Präsidenten im Fokus

Sebastian Coe

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(Foto: dpa)

Der 1500-Meter-Olympiasieger von 1980 und '84 und Organisations-Chef der London-Spiele 2012 war von 2007 an Diacks Stellvertreter im IAAF-Council. Seit August 2015 ist der 59-jährige Brite sein Nachfolger. Diack bezeichnete er als "meinen spirituellen Präsidenten" - von dessen Treiben hat Coe angeblich nie etwas mitbekommen. Auch deshalb gerät er in der Causa selbst zunehmend unter Druck.

"Ich kann mir keinen Besseren als Lord Coe vorstellen", erzählte Pound nun brav in München. "Wir alle drücken ihm die Daumen." Besonders pikant: Bliebe Coe im Amt, wäre er derjenige, der die Olympia-Hinweise zu prüfen hätte - anhand von Unterlagen, die der Kommission gar nicht vorlagen. Pounds Stab, dem auch Landsmann Richard McLaren und der deutsche Kriminalbeamte Günter Younger angehören, hatte im Herbst 2015 einen ersten Report vorgelegt.

Darin wurde nachgewiesen, dass es in der russischen Leichtathletik systematisches, staatlich gefördertes Doping gab. Die IAAF suspendierte Russlands Verband, der sich seither kaum einsichtig zeigt. Trotzdem hielt Pound auch den Russen in München alle Türen für die Olympiateilnahme im Sommer in Rio offen; die Aufräumarbeit sei bis dahin zu schaffen. Derweil fahndet Interpol weltweit nach Diacks Sohn. Papa Massata wird Beihilfe zur Bestechlichkeit, Bestechung und Geldwäsche vorgeworfen.

© SZ vom 15.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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