Vor der 47. Bundesliga-Saison:Der Rotwein wartet

Der Mann, der ein Magnet-Pin war, ein von Bayern unterwanderter Klub und eine unsterbliche Mischung aus Mut, Wahnsinn und Gottvertrauen: Auf Spurensuche bei den Bundesligisten.

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Witzbolde aufgepasst, in Wolfsburg läuft das jetzt so: Findet der Trainer einen Spieler gut, setzt er sich, hihi, mit dem Manager zusammen, die beiden sind sich rasch einig und müssen dann bloß noch, kicher, den Geschäftsführer überzeugen ... Wer hat hier gerade "Nicht witzig!" gerufen? Tja, woran liegt das bloß, dass, seit Armin Veh (im Bild) beim Meister als Trainer, Manager und Geschäftsführer fungiert, die bewährten Dreifaltigkeits-Gags nicht mehr zünden? Woran liegt es, dass man Magaths Allmacht mindestens für perfides, nur durch Klamauk zu ertragendes Despotentum hielt, während man nun Veh unterstellt, dass er all das, wofür er formal zuständig ist, im Zweifel bestimmt nicht alleine macht? Vielleicht daran, dass Magath beim VfL immer mit Krawatte geschmückt im Chefzimmer saß, während Veh am liebsten lässig gekleidet im Trainerbüro arbeitet, unten im Keller, wohin sich Magath nur zum Lachen zurückzog. Die Verträge von Dzeko, Grafite, Josué und Misimovic, alle einst wegen Magath gekommen, hat der lässige Herr Veh trotzdem knallhart managermäßig verlängert.

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Frau Potthoff ist noch da, das ist immerhin ein Zeichen. Viel mehr Gewissheit besitzt ja ansonsten niemand über die Zukunft des mal wieder turmhoch favorisierten FC Bayern, der aber zum zweiten Mal binnen zwölf Monaten eine radikale Neuorientierung versucht. Einige Konstanten sind geblieben, Paul Breitner etwa, der zwar nicht mehr Vorstandsflüsterer ist und zugleich Scout, sondern nur noch Scout; und eben Frau Potthoff, die Sekretärin des Managers, der bald aufhört und Aufsichtsrat wird. Uli Hoeneß, 57, wird diese Saison nicht mehr, wie die 30 Jahre zuvor, auf der Bank sitzen. Sondern auf der Tribüne, zumindest das sei gewiss, heißt es von der Säbener Straße. Aber wird er auch freitags im Trainingslager fehlen, wenn unten in der Hotelbar der Rotwein auf ihn wartet, wie 30 Jahre lang? Frau Potthoff sagt: "Ich weiß es nicht, ob er Freitag mitfliegt oder Samstag mit Herrn Hopfner nachfährt." Sie weiß es nicht! Und Christian Nerlinger, der neue Sportchef, ruft aus dem Hintergrund: "Kommt auf seine Stimmung an." Tja, Hoeneß' Stimmung. Wenn man das nur wüsste, vor der Saison.

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Rainer Widmayer (im Bild rechts) war schon mal im Sportstudio, am 19. Dezember 1998. Eine Weile hielt eine Kamera voll auf ihn drauf, aber man kann sich nicht mehr erinnern, welches Gesicht er machte. Wahrscheinlicher ist, dass er gar kein Gesicht machte. Er hing nur so rum, wurde hin und her geschoben, und nach einer Weile wurde er weggepackt. Rainer Widmayer war ein Magnet-Pin an diesem Abend, und man darf sagen, dass Deutschland dank Widmayer ein wenig klüger wurde. Widmayer war Teil jener legendären Ulmer Viererkette, deren Funktionsweise der damalige Ulmer Trainer Rangnick mittels Taktiktafel einer erstaunten Öffentlichkeit näherbrachte. Der Stuttgarter Co-Trainer Widmayer, 42, ist also eine sporthistorische, nun ja, Figur, was ihm gewiss Respekt verschafft bei den Profis des VfB, die er neuerdings montags bis mittwochs alleinverantwortlich unterweist. Sein Chef, Markus Babbel, muss noch bis März zum Trainerlehrgang nach Köln, aber er kann ganz beruhigt auf Reisen gehen. Er kann sich darauf verlassen, dass die Viererkette des VfB auch ohne ihn funktioniert.

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Vielleicht ist Lucien Favre die Eingebung beim DVD-Studium mit leerem Magen gekommen, welchem er frühmorgens so rituell nachkommt wie ein Mönch dem Fünf-Uhr-Gebet. Jedenfalls ist es ein recht asketischer Ansatz: Woraus soll Hertha BSC - angesichts leerer Kassen - neue Stärke ziehen? Favres Antwort: aus dem Verzicht! Zum Beispiel gab es da in Berlin diesen großspurigen Burschen, Typ Mittelstürmer, der sich immer in den Vordergrund ... - wie hieß er gleich? Ja, richtig: Dieter Hoeneß. 19 Jahre geballte Manager-Erfahrung, auf die Favre nun gerne verzichtet, für etwas mehr Harmonie im Betriebsklima. Außerdem verzichtet der Hertha-Trainer auf Andrej Woronin und Marko Pantelic, seinen Vorjahres-Sturm, und als "bestandene Gesellenprüfung" des Hoeneß-Nachfolgers Michael Preetz gilt in Berlin nicht etwa die Heimholung von Artur Wichniarek. Sondern der Transfer von Joe Simunic. Wobei es sich genau genommen um einen mit sieben Millionen Euro entlohnten Verzicht auf Simunic handelt. Wer ihn und die anderen ersetzen soll? Es ist wohl auch eine Frage des Glaubens.

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Von Bruno Labbadia weiß man, dass er ehrgeizig ist. Im vergangenen Jahr hat man das in Leverkusen gesehen. Als Bayer-Trainer peitschte er das Team in der Hinrunde derart nach vorn, dass es neben Hoffenheim den schönsten Fußball der Bundesliga spielte. Man weiß aber auch, wie es ausging: In der Rückrunde konnten die Profis sein Tempo nicht mehr halten. Es kriselte zwischen Coach und Mannschaft. Und am Ende legte es Labbadia darauf an, weg zu kommen von dem Verein, der offenbar keine neuen Wege gehen wollte. Nun ist er beim Hamburger SV. Auch hier legt seine neue Mannschaft los wie eine Gruppe Abenteurer, die einen Achttausender erklimmen will. Glaubt man HSV-Chef Bernd Hoffmann, wird der neue Coach jene Begeisterung herauskitzeln, die den Profis bislang noch fehlte, um einen Titel zu gewinnen. Das aber wird nur gelingen, wenn Labbadia aus seinen Leverkusener Fehlern gelernt hat. Eine Klassemannschaft muss auch einmal auf die Bremse treten, um Kraft zu sparen. Sonst könnte es dem Hamburger SV genau so ergehen wie Bayer Leverkusen.

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Erstmal waren sie überrascht in Dortmund, dass der FC Bayern eingewilligt hatte: Für 4,5 Millionen Euro durfte der BVB in der vergangenen Saison Innenverteidiger Mats Hummels (im Bild rechts) erwerben. Ein großes Talent, ach was, ein Riesentalent, es war klar, dass dieser Mann der Dortmunder Defensive auf Jahre hinaus die Stabilität einer Betonwand verleihen würde. Kürzlich ist Hummels sogar U21-Europameister geworden, im Finale zeigte er ein großes Spiel - wenn auch als Abräumer vor der Abwehr. Jetzt aber haben sie gemerkt, dass sich für Hummels kein Platz in der Mannschaft findet. In der Innenverteidigung spielen Neven Subotic und Felipe Santana. Und im Mittelfeld ist das Angebot an Spielern so groß, dass zuletzt selbst Florian Kringe nicht im Kader stand. Wohin also mit Hummels? Als witzige Fußnote erscheint dabei, dass der FC Bayern nach dem Weggang von Lúcio einen guten Innenverteidiger durchaus gebrauchen könnte. Ob die Dortmunder Hummels für einen guten Preis ziehen ließen? Natürlich nicht, er ist viel zu gut. Es wird sich schon noch ein Plätzchen für ihn finden.

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Auch 1899 Hoffenheim vertreibt inzwischen allerlei Fanartikel, von der Brotdose bis zu Kreolen für das Frauenohr. Manche Produkte tragen Schriftzüge wie hoffenherzig oder hoffensiv, und wer für 69,95 das neue Heimspieldress erwirbt, ist schon jetzt deutscher Meister. Genauer: deutscher Trikotmeister 2009/10. Eine Jury der Mediadesign Hochschule Berlin kürte die Hemden der Dorfkicker zu den modischsten der Liga. "Toll geschnitten", heißt es, die Spieler "wirken wie schmucke Matrosen in himmelblau". Bereits in der Vorsaison erfreuten sich Schöngeister an der Ästhetik des Hoffenheimer Spiels und am vermeintlichen Anderssein der Matrosen, die sich statt zum Training auch mal beim Mühlenbäcker in Zuzenhausen zum Apfelkuchenessen trafen. Bis sie - wie normale Fußballer - in die Krise kamen. Nun suchen sie nach Hochs und Tiefs eine Leistungsmitte für vier Jahreszeiten. Gekauft wurden: ein erfahrener Lotse für hinten (Simunic, im Bild), ein junger Maradona-Liebling für die Mitte (Zuculini) und Hoffensivleute. Alle alten Matrosen sind geblieben, die Ambitionen sind: nach oben hoffen.

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Jahrelang hieß es über Schalke 04, dass der Verein auch in der niederländischen Ehrendivision mitspielen könnte, da er sowieso von dort das Gros seines Personals bezieht. Männer wie Stevens, Eijkelkamp, van Hoogdalem, Mulder, Kamphuis oder de Kock prägten eine Epoche. Im Zuge dieser Beziehung entstand in Kerken am Niederrhein ein Verein mit dem unglaublichen Namen "holländisch-deutsche Freundschaft", der in den zweisprachig verfassten Statuten Schalkes "sportliche und moralische Unterstützung" zum Ziel setzt. Nachdem aber Generalintendant Magath angetreten ist, die Spuren seines Vorgängers Rutten zu löschen, fehlt der bilateralen Geselligkeit die Basis: Mulder und Engelaar sind weg, dem Peruaner Farfan droht die Bank - er hatte früher in Eindhoven gespielt. Statt von Niederländern wird Schalke jetzt von Bayern unterwandert: Dem Unterfranken Magath assistieren der Mittelfranke Hollerbach und der Niederbayer Leuthard, Torwarttrainer Dreher kommt gar vom FC Bayern. Ein bayrisch-westfälischer Freundschaftsverein ist bisher aber nicht aktenkundig.

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Bayer Leverkusen lebt seit Jahren in dem Ruf, an einer genetischen Fehldisposition zu kranken. Bei der Gründung des Werksklubs wurde nach Ansicht der Experten vergessen, das Sieger-Gen in den Genpool einzuspeisen. Dieses Versäumnis fällt im Alltag nicht unbedingt auf, macht sich jedoch in Situationen bemerkbar, in denen das Sieger-Gen dringend erforderlich ist. Den Bayer-Spielern geht es da ähnlich wie jenen Völkern Asiens, die keine Kuhmilch vertragen, weil ihnen das Enzym Lactase fehlt. Solange man ihnen nicht abverlangt, Kuhmilchprodukte zu konsumieren, kommen diese Asiaten prima durchs Leben, und das lässt sich auch über die Bayer-Profis sagen - es sei denn, sie sollen entscheidende Spiele oder gar Titel gewinnen. Die populärwissenschaftliche These vom fehlenden Sieger-Gen ruft bei den Klubchefs allergische Reaktionen hervor, beim Sportdirektor Rudi Völler zum Beispiel das sogen. Reykjavik-Syndrom, aber es hilft ja nichts. Sowie der neue Trainer Jupp Heynckes seinen Dienst begann, befand er: "Hier fehlte bisher das Nicht-Verlieren-Können, das Sieger-Gen."

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Erst wer beim FC Bayern München gespielt hat, weiß irgendwann Bremen zu schätzen. Den unaufgeregteren Tagesablauf und vor allem: den immer gleichen Trainer. Torsten Frings nahm 2005 nach nur einem Jahr Reißaus beim FC Bayern und wollte die Idylle wiederhaben. Einschließlich Thomas Schaaf, obwohl der Coach ja auch nicht immer gleich gut gelaunt ist. Im vergangenen Jahr kam Claudio Pizarro (sechs Jahre FC Bayern) zurück. Auch er erinnerte sich gern daran, wie er in Bremen die ersten Schritte als Bundesliga-Profi gemacht hatte, und möchte, wenn sein derzeitiger Arbeitgeber FC Chelsea es zulässt, weiter für Werder spielen. Tim Borowski (im Bild) wiederum kann froh sein, dass es einen mitfühlenden Bayern-Manager Uli Hoeneß gibt. Der gab ihn für eine kleine Ablöse frei und Borowski selbst verzichtete auf einen Teil seines Bayern-Gehaltes, nur um wieder daheim zu sein. Eine gute Basis für die neue Saison, zumal Thomas Schaaf (seit 1999 Chefcoach) wohl bis 2012 verlängern wird. Vermutlich wird der zu Juventus abgewanderte Diego bald der nächste Rückkehrer sein.

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Gern wird vor jeder Saison die unsägliche Wette "Welcher Trainer fliegt als erster?" angeboten. Es gibt Spötter, die sagen, nicht einmal damit könne man mit Dieter Hecking noch etwas gewinnen. Weil ja die erste Entlassung noch vor dem Punktspielstart den Kollegen Jörn Andersen in Mainz traf. Dennoch spricht viel dafür, dass der Coach von Hannover 96 trotz der aktuellen Treueschwüre des 96-Chefs Martin Kind die Spielzeit mehr im Fernsehsessel als auf der Trainerbank erlebt. Denn schon vergangene Saison steckten die Profis dem Boss, wie zerrüttet das Verhältnis zum Übungsleiter sei - und das bekam durch das Aus im DFB-Pokal beim Viertligisten Eintracht Trier (im Bild eine Spielszene aus diesem Duell) weiteres Gewicht. Das Schlimmste aber ist: Die Mannschaft von Hannover 96 ist offenbar derart brav und leblos, dass Dieter Hecking die Spieler während des Trainingslagers angeblich sogar anstiftete, einmal ein Trinkgelage zu veranstalten. Zumindest Mario Basler, der Trainer von Eintracht Trier, würde über so einen Haufen sagen: Mit so freudlosen Fußballern kann man ja auch nichts gewinnen.

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Spätestens seit Buffy Ettmayer ist bekannt, dass die Dicken die besseren Fuß-baller sind. Der Wiener (1,72 m groß, 85 Kilo) zauberte einst für den VfB und den HSV, und noch heute sieht man ihn in Prominentenspielen, wo er sich als Spielball zur Verfügung stellt. Buffy, die Mutter aller Wonneproppen, hat später zahlreiche, wenn auch nicht ganz so begabte Nachfolger gefunden, Diego Maradona etwa oder die brasilianische Nationalelf bei der WM 2006. Buffys jüngster Nachfahr spielt in Frankfurt: Der Brasilianer Caio ist ein Kugelblitz wie Ailton, nur ohne Blitz. Seine Stärken sind Steilpässe sowie das Abbrechen von Laktattests. Der technisch brillante Caio, unter dem alten Trainer Funkel nur Ersatz, trägt schwer an den Sehnsüchten der Fans. Er soll Uwe Bein sein, dessen Verlust die Stadt nie verkraftet hat, und vermutlich kann nur Caio den Klub aus der Bankenstadt vor der Finanzkrise retten. Die Logen verkaufen sich schlecht, sie haben genug von dünnem Fußball, weshalb der neue Trainer Skibbe auf Caio setzt. Er weiß: Wer schönen Fußball spielen will, braucht Übergewicht im Mittelfeld.

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Vorige Woche, Besuch bei einem ganz normalen Vormittagstraining des 1. FC Köln: Zvonimir Soldo, der neue Trainer, lässt seine Leute auf zwei Spielfeldern Kurzpässe üben und Steigerungsläufe bestreiten. Aber die härtesten Prüfungen von allen muss Lukas Podolski bestehen. Denn auf der kurzen Strecke zwischen den beiden Trainingsplätzen warten seine Fans, und sobald er über die Barriere steigt, ergeht es ihm wie einem Stück Weißbrot, das in den Teich geworfen wird: Dann fallen in Schwärmen die Kinder über Podolski her, als ob sich tausend kleine Fische um Krümel balgen, und die Rufe nach "Poldiiiii" sind so laut, dass die Scheiben des Geißbockheims zittern. Seitdem er wieder in Köln ist, gibt es für Podolski kein normales Vormittagstraining mehr, der Rummel ist seine Normalität. Sein Status entspricht ungefähr dem des mittelalterlichen Einsiedlers und Mönchs Famian - er ist ein Ortsheiliger. Noch ziert sich das Erzbistum, aber es ist sicher, dass bald Straßen und Schulen nach Podolski benannt werden. Darüber hinaus besitzt der Begriff Geheimtraining eine neue Legitimität in Köln.

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Vor der vergangenen Saison hat Bochums Trainer Marcel Koller (im Bild) einen Fehler begangen. Er hätte nichts sagen können, er hätte die Erwartungen dämpfen können - was man eben klugerweise so macht in Bochum. Koller aber sagte, dass der VfL über den besten Kader seit Jahren verfüge. In der Folge spielte der VfL aber furchtbaren Fußball, die Fans waren sauer, und dann beging Koller einen zweiten Fehler: Er sortierte Thomas Zdebel aus. Nun waren die Fans richtig sauer, denn sie liebten Thomas Zdebel. Sie verehrten ihn. Koller hingegen hatten sie immer schon mit kritischer Distanz betrachtet; jetzt lehnten sie ihn rundweg ab. Dass er den Klassenerhalt schaffte, verbesserte ihre Laune kaum. Sie kauften vor dieser Saison lediglich 7700 Dauerkarten. Kein Klub in der Bundesliga hat weniger verkauft. Schlecht gelaunt und geduldig warten die Fans nun auf einen neuen Fehler von Koller. Startet die Mannschaft schlecht, werden sie umgehend seinen Rauswurf fordern. Dass der VfL vielen Experten als erster Abstiegskandidat gilt: Sie wissen es. Marcel Koller hat gelernt: Er schweigt.

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Die schönste Zeit für Fußballfans ist die Zeit der Illusionen vor dem Start in die Saison. Es ist wie beim Pokern: Man mag bittere Niederlagen erlebt haben, aber mit dem nächsten Blatt erwartet man garantiert die Wende. So fühlen sich derzeit die Fans in Mönchengladbach. Bei der solide finanzierten Borussia ist genügend Spielgeld vorhanden, doch seit Jahren fehlen die Asse im Kader, obwohl man ihn zu jeder Runde neu gemischt hat. Und sobald sich ein Bube anschickt, König zu werden, greift die Konkurrenz zu. Die Verluste von Marcell Jansen und Marko Marin füllten aber immerhin die Kasse, so dass sich Borussia aus der edlen Primera Division den Mittelfeldspieler Juan Arango (im Bild) leisten konnte. Dessen erste Auftritte lassen das Volk jubeln: endlich keine Ecken mehr, die am nächsten Verteidiger-Schienbein enden; Freistöße, die tatsächlich das Tor erreichen; perfekte Steilpässe und knallharte Fernschüsse - Arango animierte sogar zu Vergleichen mit den uralten Königen Günter Netzer und Rainer Bonhof. Borussias Illusionen haben diesmal historisches Ausmaß. Das macht sie noch schöner.

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fußball bundesliga julian schuster

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In Vorarlberg, nahe dem Örtchen Partenen, steht der Schrecken aller Trainingslageristen: die Europatreppe. Wo einst ein Schrägaufzug die Gerätschaften für den Bau großer Stauseen zu Berge schaffte, führen heute 4000 Stufen die Silvretta hinauf. 700 Höhenmeter sind zu überwinden, an der steilsten Stelle beträgt die Steigung 86 Prozent. Die Fußballer von Aufsteiger SC Freiburg (Stufen auf den Münsterturm: 333) haben sich jüngst dieses Treppenmonster hinaufgequält. Freiwillig, nach einstimmigem Beschluss in der Teamsitzung. Als Ergebnis ist zu vermelden: Mittelfeldmann Julian Schuster war der Schnellste in 27:40 Minuten, was der Schaffner der nahen Seilbahn als "absolute Weltklasse" einstufte. Wer Letzter wurde, ist nicht überliefert. Angesichts der Teilnehmer ist aber zu vermuten, dass es sich beim Schlusslicht nicht um einen Fußballer handelte, denn auch Zeugwart und Busfahrer wagten den Aufstieg. Wer derart tapfer die Beine schwingt, wird auch in der ersten Liga bestehen. Außerdem weiß Trainer Robin Dutt jetzt, dass er bei Verletzungen einen Notnagel in der Hinterhand hat: den Busfahrer.

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fußball bundesliga tuchel

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Er hat blonde Haare. Er trägt einen kurzen Bart. Er lacht oft, er versprüht gute Laune. Er ist Trainer von Mainz 05. Klar, auf den ersten Blick sieht es aus, als wäre Jürgen Klopp nach Mainz zurückgeke. Aber Klopp sitzt in Dortmund und grübelt darüber, wo er in seinem Team ein Plätzchen für Mats Hummels findet, das Talent. Der neue Mainzer Trainer heißt Thomas Tuchel, und das war natürlich die erstaunlichste Nachricht inmitten des Trubels, der kurz vor Saisonbeginn allerorten herrscht. Den Aufstiegstrainer Jörn Andersen bereits vor dem ersten Spieltag zu feuern - dazu gehörte schon was. Dann den bisherigen A-Jugend-Trainer zum Chef zu befördern, dazu gehörte noch mehr - eine geradezu karnevalistische Mischung aus Mut, Wahnsinn und Gottvertrauen. Tuchel ist erst 35 Jahre alt, er verfügt über keinerlei Erfahrung mit einem Bundesligisten - also gaben sie ihm direkt einen Zweijahresvertrag, der auch für die zweite Liga gültig ist. Ob die Mainzer fußballerisch mithalten können, ist fraglich in Anbetracht der vielen Verletzten. In puncto Lässigkeit sind sie unübertrefflich.

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fußball bundesliga michael a. roth

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Es war einmal ein Club aus Franken, der wechselte die Trainer wie unsereins die Socken, er war finanziell notleidend oder stieg am 34. Spieltag ab, obwohl die Wahrscheinlichkeit der Katastrophe bei 0,01 Prozent lag. Der Präsident, ein Noris-Napoleon mit weißem Haar, gönnte sich einen Kleiderschrank voller Maßanzüge und ein A. zwischen Vor- und Nachnamen. Und erst vor kurzem wurde dieser Club mit einem kauzigen Rosenzüchter als Trainer Pokalsieger - stieg aber postwendend ab. Kurzum: Es war immer herrlich turbulent am Valznerweiher. Und jetzt? "Suchen Sie ein Haar in der Suppe", sagt Manager Martin Bader, "Sie finden derzeit keines." Ein irritierend seriöser 1. FC Nürnberg kehrt in die Bundesliga zurück. Der Trainer, Michael Oenning, stammt aus Coesfeld, was sein persönliches Skandalpotential stark einschränkt. Und er hat viele Begabungen, weshalb alle Fans inzwischen wissen, wer Frederic Chopin und Adolf Grimme waren. Selbst der passionierte Trainerbeurlauber Michael A. Roth lobte vor seinem Rücktritt als Präsident, den Aufstieg habe "der Oenning hevorragend hingekriegt".

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Texte: Andreas Burkert, Claudio Catuogno, Moritz Kielbassa, Christof Kneer, Jörg Marwedel, Nadeschda Scharfenberg, Philipp Selldorf, Christian Zaschke

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