Volleyball:Nah am Schweiß

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Macher in Schulturnhallen-Atmosphäre: Stefan Hübner, der Trainer der SVG Lüneburg, mit seinem Assistenten Bernd Schlesinger (links).

(Foto: Gerold Rebsch/imago)

Der einstige Nationalspieler Stefan Hübner hat die SVG Lüneburg mit ungewöhnlichen Mitteln in die Endrunde um die Meisterschaft geführt.

Von Jörg Marwedel, Lüneburg

Als sich der Mann mit der blauen Brille im Blauen Salon, dem schlichten Vip-Raum der Gellersenhalle vor den Toren Lüneburgs, gesetzt hat, kommt er recht schnell auf sein derzeitiges Leben zu sprechen. Er habe eine Sehnsucht gehabt, das "Nomadenleben" zu beenden, sagt Stefan Hübner. Das hat ihn in gut 20 Jahren an 13 verschiedene Arbeitsplätze geführt. Nun genießt der frühere Hamburger die "hanseatische Bodenständigkeit" der Lüneburger, ist gern Botschafter des neu gebauten "Hanseviertels" nahe dem mittelalterlichen Stadtkern. Dort wohnt er mit seiner Frau Angelina Grün, die eine ähnlich grandiose Karriere im Volleyball hinlegte wie er, und dem zwei Jahre alten Sohn Jakob, der mit einem Luftballon auch schon Aufschläge übt.

Stefan Hübner, 40, ist so etwas wie der Dirk Nowitzki der Volleyballer. Er war Olympia-Teilnehmer, bestritt 245 Einsätze im Nationalteam, wurde viermal Volleyballer des Jahres; hat Nowitzki 17 Jahre in den USA gespielt, kann Hübner auf neun Jahre Italien in seiner Vita verweisen. Und nun ist er Trainer, genauer: ein außerordentlich erfolgreicher Trainer. Am Dienstagabend um 19.30 Uhr spielt er mit der SVG Lüneburg das erste Halbfinal-Spiel um die deutsche Meisterschaft beim Favoriten Berlin Volleys in der Playoff-Serie. Am 16. April steigt daheim die zweite von höchstens drei Partien.

Seit Andreas Bahlburg, Geschäftsführer der 2005 aus drei Vereinen hervorgegangenen "Spielgemeinschaft Volleyball Gellersen Lüneburg", ihn 2014 nach dem Aufstieg in die Bundesliga von der Vision überzeugte, etwas aufzubauen, das bundesweit für Furore sorgen könnte, ist Hübner angefixt. Schon im ersten Jahr in der höchsten Klasse kam man ins Pokalfinale, das gegen den VfB Friedrichshafen noch klar 0:3 verloren wurde. Damals hat der Norddeutsche Rundfunk erstmals ausführlich berichtet und nach vielen Jahren wieder ein Volleyballspiel live im Fernsehen übertragen.

Hübner, bisher auch als Assistent von Bundestrainer Vital Heynen tätig, war nach dessen Rücktritt prompt einer der ersten Nachfolge-Kandidaten. Doch bei aller Ehre: Dieser "Preis" erscheint ihm derzeit zu hoch, sagt er. Einerseits aus familiären Gründen, denn zu lange hat er eine Fernbeziehung geführt (seine Frau spielte zwischendurch in Istanbul, Moskau und Aserbaidschan). Zum anderen ist das Projekt längst nicht abgeschlossen. Man träumt in der niedersächsischen Hansestadt inzwischen von europäischen Auftritten.

Der Trainer, sagt Bahlburg, sei bei diesem Vorhaben ein "geldwerter Vorteil". Viele Spieler erhoffen sich, bei Hübner besser zu werden. Die SVG lockt statt mit finanziellen Mitteln mit einem "Care- Paket". Dazu gehören eine Wohnung, ein kleines Auto, zuweilen ein Arbeitsplatz sowie eine Art Familie. "Wir kümmern uns", sagt der Geschäftsführer. Das ist das Pfund, mit dem viele Spielerberater nur bedingt etwas anfangen können. Sie dienen dem Klub Profis an, die unbezahlbar sind. "Weil wir", so Hübner, "besser spielen als unser Budget ist". Mit Hilfe vieler Kleinsponsoren kletterte der Etat im Sommer von 320 000 auf gerade 450 000 Euro. Meister Friedrichshafen verfügt über 2,4 Millionen, Pokalsieger Berlin über 1,8 Millionen Euro.

Die momentane Phase ist schon ein kleines Wunder. Während die Berliner in der Max-Schmeling-Halle vor maximal 8500 Leuten spielen dürfen, drängeln sich in die Gellersenhalle 800 Zuschauer, mehr geht nicht. Wenn ein Spieler aufschlägt, sagt Bahlburg, "landet der Schweiß bei den Fans". Die Gegner spielen ungern in diesem Wohnzimmer. Auch die Branchen- führer Friedrichshafen und Berlin haben in dieser Saison dort verloren. Die SVG trägt inzwischen ähnlich viel zum Image der alten Salzmetropole Lüneburg bei wie die tägliche ARD-Soap "Rote Rosen".

Der nächste Schritt ist schon absehbar. Mit Hilfe der Stadt und eines Investors soll zu Saisonbeginn 2017/2018 die neue Halle stehen, mit mehr als 3000 Plätzen. Vorbild ist die Basketball-Arena in Vechta, die 55 Mal ausverkauft war, wie Bahlburg erzählt. Um ähnliches zu schaffen, müssten die Lüneburger weiter im 62 Kilometer entfernten Hamburg werben.

Wie vorsichtig die SVG-Geschäftsführung trotz des Aufschwungs ist, lässt sich daran erkennen, dass sie im Internet gerade ein Crowdfunding-Programm aufgelegt hat. So möchte man jene 40 000 Euro zusammenbekommen, die für die Reisekosten bei einer Teilnahme am Europacup nötig wären. Gelingt das nicht, muss der Boom international noch aussetzen.

Der bescheidene Trainer Stefan Hübner sagt zwar: "Ich mache noch Fehler." Er hat aber schon eine Menge richtig gemacht. Das beginnt mit der Zusammenstellung des Teams, in dem fleißige deutsche Akteure stehen, die man "nachts anrufen kann", lässige im College ausgebildete Spieler, die "den Wettkampf lieben und das vorleben", wie der Coach lobt. Dazu Kollegen, "die sich um vieles drumherum kümmern".

Jeder Ballwechsel wird bei Hübner "codiert". Seine Akteure, denen nach einem Sieg im Normalfall nur ein Bier erlaubt ist, bekommen Listen, in denen steht, wo sie sich verbessern müssen. Trainingssprache ist Englisch, obwohl fast die Hälfte aus der Region stammt. Niemand soll ausgeschlossen sein. Als Volleyballer brauche man eine "Datenbank im Kopf", sagt Hübner, der für eine Spielvorbereitung schon mal über acht Stunden braucht. Das vorerst letzte Spiel der Berliner gegen Volley Mitteldeutschland (3:0) am vergangenen Mittwoch hat er aber nicht live gesehen. Für die Analyse, findet er, ist ein bisschen Abstand manchmal nicht schlecht.

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