Volleyball:Wieder Weltspitze

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Die deutschen Volleyball-Männer schaffen Historisches: Sie gewinnen erstmals bei einer Europameisterschaft eine Silbermedaille - bezweifeln aber, dass das einen großen Ruck bewirkt.

Von Joachim Mölter, Krakau/München

Zwischen den polnischen Städten Kattowitz und Krakau liegen knapp 70 Kilometer Luftlinie, auf dem schnellsten Landweg schafft man die Strecke in einer Stunde. Wenn man einige Umwege in Kauf nimmt, kann es aber auch drei Jahre dauern, ehe man von dem einen Ort zu dem anderen gelangt. Lukas Kampa, Georg Grozer jr. und Marcus Böhme können das gerne bestätigen.

Diese Drei gehörten zu der Auswahl des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV), die bei der Weltmeisterschaft 2014 für den bis Sonntagabend größten Erfolg des Verbandes seit der Wiedervereinigung sorgte, seit die DDR-Männer 1970 den WM-Titel und 1972 Olympiasilber gewannen: In Kattowitz sicherte sich das DVV-Team 2014 die Bronzemedaille; Kampa wurde als bester Zuspieler des Turniers ausgezeichnet, Böhme als bester Blocker. Nun haben Kampa und Böhme, vor allem Grozer in Krakau mit ihrem Team den nächsten internationalen Erfolg errungen: Sie haben Silber bei der Europameisterschaft gewonnen - es ist die erste EM-Medaille überhaupt in der Geschichte des deutschen Volleyballs.

In einem hochklassigen, mitreißenden Finale gegen Russland, den 14-maligen Europameister, verpasste die deutsche Mannschaft die Sensation nur um wenige Punkte und verlor letztlich mit 2:3 (19:25, 25:20, 22:25, 25:17, 13:15). Das DVV-Team agierte nur am Anfang leicht nervös und war fünf Sätze lang ein ebenbürtiger, mutiger und selbstbewusster Gegner. "Die Silbermedaille ist ein historischer Erfolg, wer hätte das vor ein paar Wochen gedacht. Dass wir uns so durchgesetzt haben, ist unglaublich und der Hammer", sagte DVV-Sportdirektor Christian Dünnes.

Schlagkräftig: Georg Grozer (li.) und sein Kollege Lukas Kampa (re.) überlisten im EM-Finale mit cleverem Angriffsspiel den russischen Block. (Foto: Piotr Nowak/AFP)

Schon mit dem Finaleinzug hatte die deutsche Auswahl alle Skeptiker überrascht. Den hatte sich das DVV-Team mit einem ebenso furiosen Spiel im Halbfinale gegen Serbien verdient. Nach zwei verlorenen Sätzen (24:26 und 15:25) glich es zunächst aus (25:18 und 27:25); schließlich entschied es die Partie im Tiebreak (15:13) zu seinen Gunsten. Den letzten Punkt holte Kampa mit einem Block. "Ich glaube, polnischer Staatsbürger werde ich nicht", sagte der Kapitän schon vor dem Finale: "Aber ich fühle mich in Polen sehr wohl." Der schlagkräftige Grozer stimmte zu: "Polen liegt uns, wir müssen hierhin ziehen."

Vermutlich wäre das nicht die schlechteste Idee, denn im Gegensatz zu Deutschland ist Volleyball in Polen eine große Nummer mit entsprechendem Zuschauer- und Sponsoreninteresse. Die Männer sind Weltmeister und in der aktuellen Weltrangliste die Nummer drei hinter Brasilien und den USA. Bei ihrer Heim-EM scheiterten die Polen freilich bereits im Achtelfinale an Slowenien, dem EM-Zweiten von 2015; der wiederum schied dann gegen Russland aus. Titelverteidiger Frankreich schaffte es gar nicht in die Runde der besten Acht, der Olympiazweite Italien scheiterte dort - alles Belege, wie eng Europa im Volleyball beieinander liegt. "Bei einer EM erfolgreich zu sein, ist fast so schwer, wie bei einer WM erfolgreich zu sein", sagt Dünnes, seit diesem Sommer Sportdirektor des DVV, und fügt an: "Man kann eine Mannschaft in der Weltspitze haben und trotzdem keine Medaille gewinnen."

Der 33 Jahre alte Dünnes war selbst Nationalspieler, er hat seine aktive Karriere erst mit der zurückliegenden Saison beendet und kann den durchaus historischen Erfolg der Mannschaft nüchtern einordnen: "Wir sind seit zehn Jahren in Kontakt zur Weltspitze, haben auch immer wieder Leistungen auf Weltniveau gezeigt, aber wir können das nicht konstant abrufen." Konstante sportliche Erfolge aber wären seiner Meinung nach nötig, um im Verteilungskampf der Sportarten ein größeres Stück abzubekommen. "Dieser Erfolg ist sicher nicht schlecht", sagt er über die EM-Medaille: "Aber dass es einen großen Ruck gibt, muss man aus den Erfahrungen der Vergangenheit bezweifeln. Wir haben 2014 WM-Bronze geholt und sind trotzdem nicht auf Rosen gebettet."

Der Finaleinzug tut auch der Seele gut - im Sommer verpassten die Männer die WM-Qualifikation

Immerhin haben sich die Volleyballer dank ihrer Leistung bei dieser EM schon für die nächste qualifiziert, die 2019 in vier Ländern ausgetragen wird. Zudem haben sie sich im Zuge der Spitzensportreform hierzulande bis 2020 den Status eines Olympiakaders gesichert. "Allerdings sind Kaderstatus und konkrete finanzielle Unterstützung nicht direkt miteinander verbunden", sagt Dünnes: "Deshalb wird es nicht zwangsläufig zu einer besseren finanziellen Ausstattung kommen. Wir haben lediglich unsere Förderungswürdigkeit im Hinblick auf Olympia bewiesen."

Das tut der Seele gut. "Wir hatten einen schweren Sommer mit der verpassten WM-Qualifikation", erinnert Dünnes. Dieses Malheur "kann man aber erklären", nämlich mit den starken Qualifikationsgegnern Frankreich und Belgien sowie einer jungen Auswahl. Der neue Bundestrainer Andrea Giani, 47, hat für die EM sieben Neulinge in seinen 14-Mann-Kader berufen und die Teeanger Tobias Krick, 18, und Julian Zenger, 19, sogar gleich in die Startformation gestellt. "Ich habe die ganze Zeit an mein Team geglaubt", sagt der Italiener, "nur so gewinnen wir die schwierigen Spiele: Wenn wir an uns glauben."

Giani hat seit seinem Amtsantritt im Februar einen Generations-, Mentalitäts- und Kulturwechsel eingeleitet. Bei so einer Umwälzung "verliert man zwar unglaublich viel Erfahrung", wenn ältere Spieler gingen, sagt Sportdirektor Dünnes: "Aber die Jungen haben natürlich mehr Entwicklungsmöglichkeiten. Und wir glauben, dass wir den richtigen Trainer dafür haben." Der als Spieler viermalige Europameister Giani ist sicher: "Wir haben unsere Identität gefunden."

© SZ vom 04.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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