Volleyball:Aufschlag in die Zukunft

Tado Karlovic Volleyball Hammelburg Sebastian Mützel

Einer, der vermitteln kann, was wichtig ist, im Leben wie im Sport: Der einstige Jugend-Nationalspieler Tado Karlovic ist inzwischen erfolgreicher Trainer.

(Foto: Sebastian Mützel/oh)

Tado Karlovic kehrt mit dem Zweitligisten Hammelburg beim Derby in Eltmann zu dem Klub zurück, der ihn einst vor der Abschiebung bewahrte.

Von Katrin Freiburghaus

Tado Karlovic sagt, der Mensch gewöhne sich schnell an das, was er täglich erlebe. Er denke deshalb nicht mehr ständig daran, "dass es eine schlimme Zeit gab". Tado Karlovic meint: Er denkt nicht mehr ständig an den Krieg, an Auseinandersetzungen um Leben und Tod, vor der eigenen Haustür. An Flucht. Daran, was Menschen aufgeben, wenn ihr Leben in Gefahr ist, wenn sie bleiben, wo sie sind. "Dass ich an das Kriegsgeschehen denke, passiert eigentlich nur noch, wenn mir meine Kinder Fragen stellen", sagt der 42-jährige Volleyball-Trainer der Zweitliga-Männer des TV/DJK Hammelburg. Womöglich wird er sich aber auch am kommenden Sonntag (16 Uhr) erinnern. Wenn Karlovic mit seiner Mannschaft als Tabellenzweiter zum Franken-Derby bei seinem vormaligen Klub, dem viertplatzierten VC Eltmann, die Halle betritt.

"Kein Mensch verlässt freiwillig sein Land", sagt Karlovic. Er ging als letzter aus seiner Familie

Für Karlovic ist der VC Eltmann, dieser kleine unterfränkische Klub aus dem Landkreis Haßberge, nicht nur der Verein, bei dem er 13 Jahre lang arbeitete; mit dem er als Spielertrainer, Spieler und späterer Co-Trainer bis in die erste Bundesliga aufstieg. Eltmann ist vor allem der Verein, der ihm vor 20 Jahren eine Chance gab, die ihm die Bundesrepublik zunächst verwehrte. "Als ich abgeschoben werden sollte, hat mir Eltmann einen Vertrag gegeben, mit dem ich einen Ausnahmestatus bekam", sagt Karlovic, "darum durfte ich bleiben." Das war 1996. Eltmann spielte damals in der Bayernliga. Manager war Rolf Werner, der heute dem siebenköpfigen Entscheider-Gremium des Klubs angehört. "Für diese Liga macht man beim Volleyball normaler Weise keine Verträge", sagt er rückblickend. Doch Werner wollte Karlovic.

Der hatte ursprünglich nicht weglaufen wollen aus seiner Heimat. Jugoslawien hieß sie, bis der Balkankonflikt begann neue Grenzen zu ziehen, die aus dem jungen Mann mit unpolitischen Träumen einen bosnischen Kroaten machten, was auch immer das sein sollte. Mit 20 war Karlovic Juniorenmeister und in die jugoslawische Jugendnationalmannschaft berufen worden - in einer vergleichbaren Situation laufen da für einen Sportler hierzulande die Mechanismen der leistungsorientierten Karriereplanung an. Welche Ernährung passt zum Fitnessplan? Welche Muskelgruppe braucht Extratraining? Hat mein Klub genug Potenzial? Bei Tado Karlovic aus dem kleinen Dorf Pecnik ging es darum, ob er in den Wirren des Krieges und der Staatenbildung die Papiere zusammenbekommt, um in der ersten kroatische Liga auflaufen zu dürfen.

Dort spielte er auf sich alleine gestellt, seine Familie war längst nach Deutschland geflohen. "Kein Mensch verlässt freiwillig sein Land", sagt Karlovic. Doch "wer Krieg erlebt hat, wehrt sich irgendwann mit allen Mitteln, zurück zu müssen".

1993 machte er sich deshalb auf, seiner Mutter und den Geschwistern hinterherzureisen, die in der Nähe von Karlstadt im Landkreis Main-Spessart Zuflucht gefunden hatte. Er reiste mit einem Besuchervisum ein, nahm Gelegenheitsjobs in der Landwirtschaft, auf dem Bau und in der Metallverarbeitung an und begann, in der Bezirksklasse Volleyball zu spielen. Karlovic war im unterklassigen Karlstadt sportlich betrachtet völlig falsch, Eltmanns Manager Werner erkannte das bei gemeinsamen Testspielen sofort. Aber Karlovic' Maßstäbe, im Alltag wie im Sport, hatten sich verschoben.

Werner und Eltmann warben über die Jahre immer wieder um Karlovic, aber "da war Tado nicht bereit zu wechseln, weil ihm Dankbarkeit sehr wichtig war, und die lag bei Karlstadt", erzählt Werner. "Volleyball war zweitrangig, es war mir wichtig, Freunde zu gewinnen und in diesem Land anzukommen", sagt Karlovic über seine Anfangsjahre in Deutschland. Doch 1996, als der Balkankonflikt offiziell für beendet erklärt wurde, bekamen Karlovic und seine Familie in Karlstadt den Ausweisungsbescheid. Mit Ende des Krieges endete auch der Flüchtlingsstatus, Karlovic und seine Familie sollten ausreisen.

Werner hörte von Karlovic' Situation, und diesmal zögerte das Volleyballtalent nicht. Um ihn im Land halten zu können, bot der damalige Bayernligist VC Eltmann Karlovic einen Profivertrag an. Nur so bekam er die Möglichkeit, als einziger der Familie per Ausnahmestatus in Deutschland zu bleiben. Heute ist Karlovic nicht nur ein erfolgreicher Trainer, sondern auch ein verheirateter Familienvater und Leiter einer Physio- und Sporttherapiepraxis in einem psychiatrischen Krankenhaus. Der Sport habe ihm als Flüchtling "Türen geöffnet" sagt Karlovic, "zu Häusern und zu Herzen".

Mit Hammelburg gelangen Karlovic innnerhalb von sieben Jahren sechs Aufstiege

Er ließ sich zum Physiotherapeuten ausbilden und etablierte Eltmann als Spielertrainer in der Regionalliga. Als die Doppelbelastung zu viel wurde, holte er Milan Maric, einen Freund aus der einst jugoslawischen Heimat, nach Eltmann. Unter Maric spielte und coachte Karlovic nach seinem Karriereende durch eine Knieverletzung, bis das Projekt Eltmann 2009 in der Insolvenz aufging. Man habe sich "in bestem Einvernehmen" getrennt, betont Werner, und der sonst gern als Floskel bemühte Halbsatz ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen. Werner nennt Karlovic "einen Freund", Karlovic spricht voller Hochachtung von Werner und dessen Leidenschaft für Volleyball. Dass Karlovic nach der Insolvenz beim TV/DJK Hammelburg eine neue sportliche Heimat fand, in der er innerhalb von sieben Jahren sechsmal bis in die zweite Liga aufstieg, hat die Freundschaft nicht beeinträchtigt. Werner beschreibt Karlovic als "echten Kämpfer", von einem Konkurrenzdenken sei vor dem Duell am Sonntag "überhaupt nichts zu spüren".

Ein Spiel in Eltmann sei für ihn "in gewisser Weise wie nach Hause zu kommen", sagt Karlovic. Das will etwas heißen. Denn "zu Hause", das ist ein großes Wort für einen, der weiß, wie es sich anfühlt, es zu verlieren.

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