Voigt auf der Tour de France:Das Tier des Haushalts

Jens Voigt, Weltmeister der Ausreißer und Arbeiter, hat mit 32 noch dazugelernt - und befindet sich mit 33 in der Form seines Lebens.

Von Andreas Burkert

Wenn Jens Voigt am Hotelpool sitzt und von sich erzählt, spielt er hektisch mit seinen Fingern. Unbewegt dasitzen, das kann er einfach nicht. Seine Finger zucken also im Takt seiner Worte, denn Jens Voigt ist immer unter Strom.

Voigt auf der Tour de France: Sagenhafte Energie: Jens Voigt in Frankreich.

Sagenhafte Energie: Jens Voigt in Frankreich.

(Foto: Foto: AFP)

Seine Eltern empfanden ihren Sohn schon in Kinderjahren als "hyperaktiv", doch inzwischen haben sich Edith und Egon Voigt arrangiert mit dem grenzenlosen Tatendrang des Nachkommen.

Eigentlich sind sie jetzt sogar sehr stolz auf ihn, denn er hat ihnen am Montag in Grenoble ein Gelbes Trikot mit auf die Heimreise nach Mecklenburg gegeben. Voigt junior ist zurzeit Spitze bei der Tour de France.

Voigt hat den nächsten größten Erfolg seiner Karriere für seine Verhältnisse sehr gefasst aufgenommen. Gut, sein Freudenstrahlen ging um die Welt mit den vielen hundert Bildern der Fotografen, die das schmale Gesicht mit der markanten Nase ablichteten bei der Siegerehrung in Mulhouse.

Als er dort als Dritter das Ziel erreichte, hatte Voigt außerdem die Faust geballt. Doch so aufgeregt wie seine Lieben daheim in Berlin ist er hinterher nicht mehr gewesen, er nennt sich ja mit seinen 33 Jahren inzwischen einen "alten Wolf".

Das Tier des Haushalts haben Voigts Kinder am Sonntag vor dem Fernseher erlebt, "meine Frau hat alle vier gezwungen, sich das anzusehen", berichtet er. Auch sein Jüngstes, es ist erst wenige Monate alt, "aber ich glaube, das Baby versteht das alles noch nicht".

Jens Voigt zu verstehen, seine sagenhafte Energie zu begreifen und seine Leidenschaft, mit der er nun zum zweiten Mal in seiner Karriere das Gelbe Trikot der Frankreichrundfahrt eroberte, ist nicht leicht. Er sei eben immer so gewesen, sagt Voigt etwas hilflos über sich. Sein Stil? "Kopp runter und drauftrampeln."

Das indes versuchen hier einige, aber Voigt kommt eben sehr oft durch, wenn er sich davonmacht. Auf der ersten wirklich anspruchsvollen Bergprüfung am Dienstag wird er das Trikot wohl wieder abgeben, das weiß er.

Voigt ist kein Mann fürs Gebirge, er ist der Weltmeister der Ausreißer und ein Idol für das Fußvolk des Pelotons. Man könnte ihn auch als den König der Arbeiter bezeichnen. Jens Voigt sagt: "Naja, ich bin ein ganz guter Fahrer."

Das Tier des Haushalts

Mit 33 befindet sich Jens Voigt in der Form seines Lebens, obwohl er schon immer auffällig gewesen ist, denn sein Stil ist sehr spektakulär. 2001 gewann er bei der Tour eine Etappe, natürlich nach einer langen Flucht, einen Tag trug er damals auch Gelb.

Dieses Jahr sind bereits sieben Saisonsiege zusammengekommen, bei Lüttich-Bastogne-Lüttich verhinderte nur Alexander Winokurow im Sprint seinen ersten Sieg bei einem Klassiker. Voigt sagt, er habe sich verbessert, weil er bereit gewesen war, "mit 32 noch etwas zu lernen".

Mit 32 war er zum dänischen CSC-Team von Bjarne Riis gewechselt. Früher, bei Crédit Agricole, sei "Tradition" das Leitmotiv gewesen. "Bei CSC heißt es Innovation." Dazu zählte vergangenes Jahr ein Überlebenscamp in der Wildnis, dieses Jahr marschierten die CSC-Profis auf einem Militärareal der Armee in Uniformen durch den Dreck.

Voigt braucht so etwas nicht, um sich zu motivieren, aber er respektiert "das Gesamtpaket der Mannschaft", wie er sich ausdrückt. Doch auch Voigt lernte bei CSC dazu, er erzählt: "Bjarne wollte, dass ich meine Art ändere, dass ich nicht zehnmal an jeder Häuserecke angreife - sondern einmal mit Nachdruck. Bjarne hat mir gesagt: ,Du bist so gut, du kannst auch am Ende mit den Großen gehen.'"

Riis hatte Voigt als Energieverschwender kennen gelernt und ihm das schriftlich gegeben: Er ließ an seinem Lenker einen Computer anbringen, der seinen Aufwand festhielt. CSC-Sportchef Alain Gallopin sagt: "Unsere Hauptarbeit war, Jens zu bremsen, denn er hat in sich etwas, das ihn ständig antreibt - er hat so viel Energie wie eine elektrische Batterie."

Jens Voigt hat verstanden, dass er nicht immer der Beste sein muss, nicht im Training und auch nicht bereits ab Kilometer 0. "Er spart sich jetzt manchmal etwas Kraft", sagt Bjarne Riss. Der dänische Toursieger von 1996 vertröstete Voigt in der ersten Tourwoche immer wieder, bis er ihm am Sonntagmorgen Grünes Licht zum Angriff erteilte. "Und da dachte ich nur: Ja, ja, ja!"

Das Tier des Haushalts

Doch bei CSC ist sein "Sonnentag" nur der Teil eines großen Plans. Riis schickte Voigt, "damit ich das Rennen bewege". Hinten mussten Armstrongs Männer arbeiten. "Ivan ist unser fähigster Mann", sagt Voigt, er meint Ivan Basso, den Tourdritten 2004.

Er hat sich bislang nicht verausgaben müssen, allerdings steckt ihm bereits der Giro in den Knochen. Mit Basso (7.), Voigt, Bobby Julich (6.) und Carlos Sastre (9.) besitzt CSC vier Fahrer in der Spitze.

"Aber das ist nicht unser Ziel, vier unter den ersten Zehn zu haben", sagt Riis, der keine Allianzen eingehen möchte. "Ich mag das nicht, und mein Ziel ist auch nicht, dass Armstrong verliert, sondern dass wir gewinnen." Dass Basso gewinnt.

Jens Voigt wird sich für dieses Ziel aufopfern. Aber das kann er ja. ¸¸Jetzt bin ich erst mal platt wie "ne Flunder", sagt er, "aber ich werde ja auch nicht dafür bezahlt, locker in Paris anzukommen." Sein Kollege brauche ohnehin ¸¸diese dauerhafte Anspannung", erklärt Bobby Julich, "er ist ein wilder Stier, und seine Erfolge sind das Resultat harter Arbeit".

Der Amerikaner ergänzt, man könne jeden im Fahrerfeld nach Voigt fragen, und jeder würde dann antworten: "Wenn einer dieses Trikot verdient hat, dann ist es Jens."

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