Viertelfinale der Fußball-EM:Polens Klempner gegen Ronaldo

Poland Training - EURO 2016

Polens Grzegorz Krychowiak.

(Foto: REUTERS)

Grzegorz Krychowiak verließ mit 16 Jahren die Heimat - und brachte es mit fast manischem Ehrgeiz zum Profifußballer. Nach der EM wird er der mit Abstand teuerste polnische Kicker sein.

Thomas Hummel, Bordeaux

Als Grzegorz Krychowiak zum ersten Mal nach Frankreich kam, wollte er so schnell nicht mehr zurück nach Polen. Er sah die Umkleidekabinen, die Sportplätze, die Möglichkeiten, und nahm sich vor, alles zu geben, um in diesem Land bleiben zu können. "Meine Familie kommt mich zweimal im Jahr besuchen. So steht es im Vertrag", sagte Krychowiak. Das war im Juli 2006 in Bordeaux, er war gerade 16 Jahre alt.

Er kam damals vom Klub Arka Gdingen, bei einem Jugendturnier ist der Klub Girondins auf diesen emsigen Polen aufmerksam geworden und bot ihm an, seine Ausbildung an der Atlantikküste fortzusetzen. Krychowiak zog hinaus in die Welt. Und während viele andere irgendwann zurückkommen, vielleicht nicht gescheitert aber eben auch nicht als verehrter Fußballstar, spielt Frankreich jetzt wieder die Hauptrolle im Leben des Grzegorz Krychowiak.

Er nennt das Land seine "zweite Heimat", und so ist es wohl kein Zufall, dass er gerade hier seine erste Heimat zum größten sportlichen Erfolg seit 34 Jahren geführt hat. 1982 gelang der polnischen Nationalmannschaft um Zbigniew Boniek der Einzug ins Halbfinale der WM, an diesem Donnerstagabend könnte es wieder so weit sein mit einem Halbfinale für Polen. In der Runde der letzten acht trifft die Mannschaft in Marseille auf Portugal (Donnerstag, 21 Uhr im SZ-Liveticker). Doch egal, wie diese EM ausgeht, für Krychowiak geht die französische Reise weiter.

Der mit Abstand teuerste polnische Fußballer

Spätestens zwei Tage nach dem Turnier soll der Mittelfeldspieler beim stinkreichen Klub Paris Saint-Germain vorgestellt werden. 40 Millionen Euro sollen die Scheichs aus Katar dem FC Sevilla für den Polen überweisen, plus fünf Millionen Euro Zulagen bei gewissen Erfolgsfaktoren. Damit ist Krychowiak nicht nur für Sevilla ein ordentliches Geschäft, vor zwei Jahren hatte ihn der Klub für lediglich fünf Millionen Euro von Stade Reims erworben. Der 26-Jährige ist damit auch der mit Abstand teuerste polnische Fußballer der Geschichte. Den Rekord hielt bislang Torwart Jerzy Dudek mit seinem Wechsel von Feyernoord Rotterdam zum FC Liverpool für sieben Millionen Euro. Das war im Jahr 2001.

Die Zeitspanne zeigt, welche Bedeutung diese Generation für den polnischen Fußball hat. Rekordmann müsste ja längst Robert Lewandowski sein, wenn der nicht ablösefrei von Dortmund nach München gewechselt wäre. Verteidiger Kamil Glik unterschrieb gerade für elf Millionen Ablöse beim AS Monaco und der 19-jährige Bartosz Kapustka wird auch nicht mehr lange bei Cracovia Krakau dribbeln. Der Einzug ins Viertelfinale dieser EM dürfte den Marktwert polnischer Fußballer noch steigern.

Krychowiak wehrt sich gegen die Natur

Die Dimension Krychowiaks ist dennoch atemberaubend. Und macht denjenigen Hoffnung, die nicht schon mit 18 oder 19 Jahren als Supertalente aus irgendeinem Internat direkt zu einem Champions-League-Sieger wechseln. Für Sportler, denen die Natur nicht zwei wieselflinke Beine samt 102 Dribbeltricks angenäht hat, kann der Einstieg in eine Profikarriere bisweilen hart und spaßfrei sein. Krychowiak machte der Natur deutlich, dass er wesentlich härter ist und sich auch den Spaß nicht nehmen lässt.

"Ich habe nicht viel Talent, alles kommt durch die Arbeit", sagte er einmal. Die Erfahrung der ersten Tage in Bordeaux, wo er unbedingt bleiben wollte, haben aus ihm einen Workaholic gemacht. Er hat noch nie Alkohol angerührt oder sonst irgendetwas getan, was seinem Körper schaden könnte. Er ließ auch nicht locker, als der Durchbruch auf sich warten ließ. In Bordeaux schaffte er es nicht in die Profimannschaft, Girondins lieh ihn an den Drittligisten Reims aus, dann an den Zweitligisten Nantes. Erst als Reims in die erste Liga aufstieg, erinnerte sich der Klub an den fleißigen Polen und holte ihn zurück. Dort beackerte er das Mittelfeld mit einem Eifer, der ihm die Spitznamen "Le Plombier" (Der Klempner) und "Le Bûcheron" (Der Holzfäller) einbrachte. Als er in Sevilla ankam, wunderte sich Trainer Unai Emery: "Ich habe nicht viele Spieler trainiert, die ihrem Coach sagen, dass sie für ihn über die Schmerzgrenze gehen würden."

Krychowiak ist der Spaßmacher

Krychowiak ist in diesem Turnier das Herz der Polen, und auch die Lunge. Er gibt der Mannschaft die nötige Balance und schützt die eigentliche Schwachstelle, die Abwehr. Zudem gibt er den Spaßmacher der Mannschaft, zusammen mit Torwart Wojciech Szczesny hat er in der Vorbereitungszeit ein paar Videos aufgenommen, die ganz Polen amüsierten.

Vor einem Jahr hatte sich das Land nach langer Zeit wieder an seinen kolossalen Fußballer erinnert. Da war Krychowiak nach Hause in die Hauptstadt Warschau gekommen, um die Europa League zu gewinnen. Mit Sevilla schlug er die Ukrainer aus Dnipropetrowsk und schoss im Finale sogar ein Tor. Als der polnische Nationaltrainer Adam Nawalka, der offenbar ein Frühaufsteher ist, am nächsten Morgen in seinem Hotel um sechs Uhr ein paar Runden schwimmen wollte, traf er auf dort einen völlig nüchternen Krychowiak. Der kümmerte sich im Entspannungsbecken bereits wieder um seine Regeneration. Da wussten die beiden, dass sie sich aufeinander verlassen können.

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