Vierschanzentournee:Stoch triumphiert im Sprung-Drama

Vierschanzentournee: Kamil Stoch, Tourneesieger 2017, in Bischofshofen.

Kamil Stoch, Tourneesieger 2017, in Bischofshofen.

(Foto: Michel Cizek/AFP)

Von Volker Kreisl, Bischofshofen

Das Finale entwickelte sich wie schon die gesamte Tournee. Die Wertungen der Springer in den verschiedenen Probesprüngen und Durchgängen gingen rauf und runter wie Aktienkurse, und im letzten von acht Sprüngen zwischen Oberstdorf und Bischofshofen wurde die Gesamtwertung nochmals durcheinander gewirbelt, der Wettkampf schließlich in einem Sprung-Drama entschieden. Zwei Aspiranten auf den Gesamtsieg waren noch übrig geblieben: Gewonnen hat letztlich der Pole Kamil Stoch, geschluchzt hat der Norweger Daniel-André Tande.

Dabei hatte Tande alles richtig gemacht, er musste im letzten Sprung zwar attackieren, aber sein Rückstand auf Stoch betrug nur rund zwei Meter. Er konnte sich also auf sein bis dahin perfektes Flugsystem verlassen. Dann hob er ab zum letzten Sprung, er wirkte zunächst wie immer stabil in der Einleitung der Flugphase - bis ihm plötzlich der rechte Flügel, der rechte Ski wegknickte.

Mit einer artistischen Einlage verhindert Tande einen Sturz

Tandes Bindungszapfen hatte sich gelöst (war allerdings nicht gebrochen), womit sein rechter Ski nur noch am Sicherungsband hing. "Woran das lag? Das weiß ich auch nicht", sagte er später. Der junge Norweger trudelte und sackte bei 117 Metern zu Boden, schlitterte zur Bande und verbarg sein Gesicht in den Händen. Er hatte also alles verloren, oder - vielleicht doch auch etwas gewonnen? Schließlich konnte er mit seiner artistischen Einlage noch einen schlimmen Sturz vermeiden.

Die Gesamtwertung der 65. Tournee weist somit einen Haufen polnische Erfolge auf. Neben Stoch hat sich durch Tandes Pech noch Piotr Zyla auf Platz zwei vor den Norweger gesetzt, auch als Vierter erschien ein Pole: Maciej Kot. Dagegen blieben andere einstige Top-Kandidaten als Geschlagene zurück. Bester Deutscher war diesmal Richard Freitag, Markus Eisenbichler verließ den Schanzenauslauf nach verkorkstem zweiten Sprung wütend und gegen die Absperrung boxend.

Trainer der Polen ist ein Österreicher. Stefan Horngacher sagte: "Es war ein grandioser Wettkampf heute." Stoch dachte auch an Tande: "Das ist wahnsinnig traurig, ich hätte lieber in einem sportlichen Duell gewonnen." Der Sieger ist nach Matti Nykänen, Jens Weißflog, Thomas Morgenstern und Espen Bredesen der fünfte Springer, der alle vier großen Einzel-Wertungen gewann: Olympia, WM, Gesamtweltcup und die Tournee. Zudem ist Stoch der zweite Pole nach Adam Malysz 2001, der die Vierschanzentournee gewann.

Wie fit war Stoch überhaupt?

Begonnen hatte dieses Finale im Grunde schon mit dem umstrittenen dritten Springen in Innsbruck. Erstens, weil aus diesem Windhosen- und Sturmböen-Wettkampf nur noch zwei potenzielle Gesamtsieger hervorgegangen waren, zweitens weil Stoch in Innsbruck nach der Qualifikation auf die rechte Seite gestürzt war und ihm seitdem die Schulter wehtat. "Ich habe noch Schmerzen", erklärte Stoch am Qualifikationstag. Das trug zur allgemeinen Spannung bei, denn es war nicht genau abzuschätzen, wie stark der Pole wirklich beeinträchtigt sein würde.

Zwar hatte er Schmerzen, aber Stoch lächelte, als er dieses berichtete, wie immer sein sonniges Lächeln. Zwar landete er am Donnerstag im Training schmerzbedingt beim Telemark mit gehobenem linken und schonend angelegtem rechten Arm und ließ sich danach von Helfern aus der Bindung helfen, weil er nicht nach hinten greifen konnte. Andererseits gelangen Stoch 141 Meter, und im Training des Finaltages sogar 143 Meter. Wie fit war Stoch also tatsächlich?

Fast alle Österreicher schwächeln

Die Spannung steigerte sich kontinuierlich in dem Maße, in dem in Bischofshofen die Temperatur sank. Minus zehn Grad waren es zu Beginn des Finals, minus zwölf Grad schon nach Ende des ersten Durchgangs. Und der hatte es bereits in sich. Während Stoch und Tande sich bei unberechenbarem Wind verhältnismäßig schadlos hielten, erwischten fast alle Österreicher nach ihrem Wind-Debakel in Innsbruck abermals einen schwarzen Tag auf einer Heimschanze. Nur der virengeschwächte Michael Hayböck ("Ich pfeife immer noch ein bissl auf dem letzten Loch") befreite sich im letzten Sprung und wurde noch Tagesdritter, die anderen brachten nur Durchschnittliches zustande. Der ebenfalls geschwächte Stefan Kraft, zu Beginn der Tournee noch Führender, verlor sein K.-o.-Duell gegen Richard Freitag. Der wiederum hatte sich nach zuletzt enttäuschenden Leistungen zurück gemeldet - als bester Deutscher.

Seinen Auftritt konnte sich Kraft nicht erklären. Es läge nicht an der üblen Magengrippe-Nacht, erklärte er. Er fühle sich gesund, sei aber ahnungslos: "Ich bin in einem totalen Strudel drin, ich habe wenig Radiusdruck, ich weiß im Moment nicht, wie ich wegspringen soll." Stefan Kraft ist in Bischofshofen aufgewachsen, er kennt diese Schanze besser als jeder seiner Gegner, verließ sie aber als einer der vielen Verlierer dieses Abends.

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