Kamil Stoch bei der Vierschanzentournee:Unglaublich, diese Polen

Kamil Stoch bei der Vierschanzentournee: In Fluglaune: Kamil Stoch gewinnt die Vierschanzentournee.

In Fluglaune: Kamil Stoch gewinnt die Vierschanzentournee.

(Foto: AFP)

Kamil Stoch gewinnt die Vierschanzentournee und gehört nun zu den erfolgreichsten Skispringern überhaupt. Das polnische Mannschaftsergebnis verblüfft.

Von Matthias Schmid, Bischofshofen

Die Flasche mit dem roten Inhalt nahm Kamil Stoch einfach mit. Sie stand auf dem Tisch des Podiums, der Pole nahm einen kräftigen Schluck und schaute kurz irritiert drein. Hab ich noch nie getrunken, mag sich der Pole gedacht haben. Und: Schmeckt aber lecker! Preiselbeere mit Pfeffer.

Dass er sich die Flasche schließlich schnappte, war die einzige kleine Extravaganz, die sich der neue Sieger der Vierschanzentournee aus Zakopane erlaubte. Ansonsten bliebt er zurückhaltend, bescheiden, genoss den Moment sehr leise. Und dachte an seine polnischen Mannschaftskollegen, vor allem an Piotr Zyla, der mit seinem zweiten Platz beim letzten Springen in Bischofshofen auch den zweiten Rang in der Gesamtwertung der Tournee erreichte. "Es ist ein schöner Augenblick und ein großer Erfolg für uns alle", sagte Stoch.

Dabei war der Sieg bei der Vierschanzentournee sehr bedeutsam für ihn selbst, vielleicht noch wichtiger als seine beiden Goldmedaillen bei den Winterspielen in Sotschi 2014 oder sein Weltmeistertitel ein Jahr davor in Val di Fiemme. Stoch hat sich nach zwei Jahren, in denen er wegen Verletzungen und anderer Umstände nur noch hinterher sprang und bei der Tournee 2016 gar Rang 23 belegte, eindrucksvoll in die Weltspitze zurückgekämpft. Mehr noch: Er hat sich mit seinem ersten Tournee-Sieg zu einem der besten Skispringer der Historie aufgeschwungen.

Stoch dankt seinem Trainer

Stoch ist nach Matti Nykänen, Espen Bredesen, Thomas Morgenstern und Jens Weißflog erst der fünfte Athlet, der wenigstens einmal die Tournee, Olympia, WM und den Gesamtweltcup gewinnen konnte. "Ich habe so viele Sachen im Kopf", sagte Stoch: "Dass ich es geschafft habe, ist wunderbar. Danke an Stefan Horngacher, er hat mich mental auf eine neue Ebene gestellt."

Der Österreicher trainiert die polnische Nationalmannschaft seit Frühjahr vergangenen Jahres, nachdem er zuvor fast zehn Jahre für den Deutschen-Skiverband (DSV) gearbeitet hat, zuletzt fünf Jahre als Assistent von Bundestrainer Werner Schuster. "Für mich ist Stefan einer der besten Trainer im Skispringen", schwärmte Stoch. Er habe ihm ein ganz neues Denken vermittelt, eine neue Herangehensweise an den Sport und ans Leben. Horngacher, ein ehemaliger Weltklassespringer, hat weit mehr geändert als Stochs Technik bei der Anfahrt. "Stefan hat mir beigebracht, nicht darüber nachzudenken, was ich nicht geschafft habe, sondern das zu genießen, was ich erreicht habe", erzählte Stoch.

Der Pole ist ein extrem ehrgeiziger Mensch, dessen Streben nach Perfektion ihn nach seinen beiden Olympia-Siegen eher gehemmt statt motiviert hat. "Kamil grübelt schon, wenn er Zweiter wird", hat Horngacher festgestellt. Dass zweite Plätze längst keine Niederlagen mehr für Stoch sind, hat er nun bei der Tournee gezeigt, nachdem er zunächst in Oberstdorf und in Garmisch-Partenkirchen hinter Stefan Kraft beziehungsweise Daniel Andre Tande auf Rang zwei gelandet war. Er hat sich auch nicht durch seinen Sturz in der Qualifikation von Innsbruck und den daraus resultierenden Schulterschmerzen herunterziehen lassen. Am Ende belegte er den vierten Platz und legte so die Grundlage für seinen Gesamtsieg in Bischofshofen.

Stoch profitiert von Tandes Pech

Bei seinem ersten Tageserfolg profitierte er dabei vom fast tragischen Missgeschick Tandes, der im Finaldurchgang knapp einen Sturz verhindern konnte und nach 117 Metern notlanden musste, weil bei ihm ein Bindungszapfen am rechten Ski gebrochen war. "Das ist natürlich bitter für ihn", sagte Stoch, "ich hätte gerne auf sportlichem Wege gewonnen." Tande verlor 21,5 Meter auf den Polen - und damit die Tournee. Während Stoch auf 138,3 Meter sprang, kniete der Norweger im Zielraum an einer Werbebande, sein Gesicht vergrub er hinter seinen Händen, weinte bitterlich. "Zuerst war ich sehr enttäuscht und traurig", gab Tande zu. Doch schon wenig später bei der Siegerehrung konnte er wieder lächeln: "Ich habe wirklich eine gute Leistung bei der Tournee gezeigt." Es war ein ehrliches Lächeln.

Rechts vom Sieger stand in Zyla ein weiterer Landsmann Stochs, in Maciej Kot beendete zudem ein weiterer Pole die Tournee auf dem vierten Rang. "Das ist unglaublich gut gelaufen für uns", bekannte Horngacher. Noch mehr als über den Sieg seines Vorzeigespringers freute er sich über das Mannschaftsergebnis, "weil wir als ganzes Team funktioniert haben". Es sind erfolgreiche Tage für die polnischen Skispringer, die erfolgreichsten überhaupt, sie haben immer wieder herausragende Einzelsieger hervorbringen können wie Adam Malysz und Stoch, aber noch nie waren sie als Mannschaft so dominant. In Klingenthal konnten sie zum ersten Mal in diese Winter einen Teamwettbewerb im Weltcup gewinnen.

Schuster blickt mit Neid auf die Polen

Werner Schuster, der deutsche Bundestrainer, blickt deshalb etwas neidvoll ins Nachbarland. "Den einen Siegspringer haben wir nicht", musste er hinterher zugeben. Auch Severin Freund war bei der Tournee nicht gut genug, um mit den Besten mitspringen zu können, bevor er wegen einer fiebrigen Erkältung sogar ganz abbrechen musste. Als Bester kam Markus Eisenbichler auf den siebten Platz, kein DSV-Springer schaffte es aufs Podest. Ob er deshalb Horngacher in seinem Trainerteam vermisst?

Schuster lächelte bei der Frage und antwortete. "Stefan war einfach bereit für diesen Schritt. Er kann alles: Technik, Material, Menschenführung." Sogar so gut, dass Adam Malysz, viermaliger Weltmeister und inzwischen Chef der polnischen Skispringsparte, in Bischofshofen auf die Skier Stochs aufpasste, die während der Pressekonferenz am Kühlschrank mit den Getränken lehnte. Darin gab es noch genügend Flaschen mit Preiselbeere und Pfeffer.

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