Vierschanzentournee in Oberstdorf:"Horror pur" im Wind

Vierschanzentournee in Oberstdorf: Stop, Wind! Auf einer Videowand an der Schattenbergschanze ist zu sehen, wie stark es windet - und die Konsequenz, die das für die Skispringer hat.

Stop, Wind! Auf einer Videowand an der Schattenbergschanze ist zu sehen, wie stark es windet - und die Konsequenz, die das für die Skispringer hat.

(Foto: Matthias Schrader/AP)

Zwölf Springer in zwei Stunden, der Deutsche Marinus Kraus stürzt fast: Die Vierschanzentournee erlebt einen turbulenten Auftakt, nach mehreren Versuchen wird erstmals das Auftaktspringen in Oberstdorf abgebrochen. Die Wettervorhersage bleibt problematisch.

Von Lisa Sonnabend, Oberstdorf

Marinus Kraus riss erst den linken Arm nach oben, dann den rechten. Sein Körper wurde hoch oben von einer Windböe hin- und hergeschüttelt. Er musste jetzt ganz schnell das Gleichgewicht zurückgewinnen. Was ihm in diesem kritischen Moment durch den Kopf schoss? "Bloß auf beiden Beinen landen." Nach einigen akrobatischen Verrenkungen gelang dies Kraus tatsächlich noch. Dass ihm ein Fehler beim Absprung passiert war, dass er nach nur 101 Meter aufsetzte und damit keine Chance mehr auf das Erreichen eines zweiten Durchganges hatte, war dem Skispringer in diesem Moment völlig egal. Er war nicht gestürzt, das zählte.

Abbruch im ersten Durchgang

Zu einem zweiten Durchgang kam es am Sonntagabend beim Auftakt der Vierschanzentournee sowieso nicht mehr. Die Jury verschob das Springen wegen der widrigen Bedingungen auf diesen Montag (Beginn 17.30 Uhr, Liveticker auf SZ.de). Der Wind wehte zu heftig, die Böen erreichten bis zu 50 Kilometer pro Stunde. Eine davon erfasste Kraus. Zudem schneite es ohne Unterlass. "Es ging um die Gesundheit der Sportler und die war aufgrund der böigen Winde nicht mehr gewährleistet", erklärte Walter Hofer, Renndirektor des Ski-Weltverbands Fis. Bundestrainer Werner Schuster befand: "Ich bin erleichtert, es war nicht ungefährlich."

Normalerweise ist Marinus Kraus ein fröhlicher und entspannter Typ, doch als er nach seinem missglückten Flug zum Stadionausgang schritt, die breiten Skier auf den Schultern, sah er nervös und angespannt aus. Der 23-Jährige sagte: "Ich wäre heute nicht noch einmal gesprungen, ich muss das jetzt erst einmal vom Kopf her verdauen."

Verschiebungen im Viertelstundentakt

Ehe es zum Abbruch kam, wurde der Wettkampf sieben Mal unterbrochen. Der für 15 Uhr angesetzte Probedurchgang entfiel ganz. Das Springen, das um 16.30 Uhr beginnen sollte, wurde im 15-Minuten-Rhythmus immer weiter nach hinten verschoben. Nach eineinhalb Stunden flog schließlich der erste Springer hinunter. Junshiro Kobayashi hob vom Schanzentisch ab und die 24 000 Zuschauer jubelten so laut, als würde sich der deutsche Ex-Held Martin Schmitt hinabstürzen. Doch danach: erneut minutenlange Unterbrechung.

"Die Jury hat im Viertelstundentakt verschoben, das ist Horror pur für uns", klagte Marinus Kraus, nachdem er gelandet war. Seine Kollegen harrten da noch oben aus, schnallten sich die Skier an und wieder ab. Sie zogen die Rennanzüge zu und dann doch wieder eine dicke Jacke drüber. Sie konzentrierten sich, dann hieß es wieder: erst einmal entspannen. Simon Ammann spielte mit einem kleinen Jungen im Schnee. Der Vorjahressieger Thomas Diethart hatte die Augen weit aufgerissen und blickte ins Leere.

Der Stadionsprecher vertröstete währenddessen die Zuschauer so routiniert, als habe er jahrelang bei der Deutschen Bahn gearbeitet. Aus den Lautsprechern dröhnten Partyhits. Doch als "So ein Tag, so wunderschön wie heute" lief, schunkelten nicht mehr alle mit. In den kurzen Momenten zwischen den Pausen sprang der Slowene Robert Kranjec fast 140 Meter weit. Markus Eisenbichler wurde dagegen viel zu früh wieder auf den Boden gedrückt. Er schüttelte den Kopf.

Vorhersage für Montagabend: Wind und Schnee

Als zwölfter Springer nahm Johann Andre Forfang auf dem Balken Platz. Der Norweger blickte hinunter, die Ampel zeigte Gelb. Forfang atmete zweimal tief durch, klopfte mit der Hand auf seinen Anzug, als müsse er sich Mut machen. Dann leuchtete es Rot. Die Jury brach den Wettkampf endgültig ab. Forfang musste nicht mehr hinunter.

Es war das erste Mal in der Geschichte der Vierschanzentournee, dass das Auftaktspringen nicht wie geplant ausgetragen werden konnte. Nur dreimal zuvor bei der Tour hatte es eine Absage gegeben: 1956 wurde das Bischofshofen-Springen nach Hallein verlegt, 1979 fand das Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen erst am 2. Januar statt - und wegen eines Föhnsturms in Innsbruck sprangen die Athleten 2008 gleich zweimal von der Bischofshofener Schanze.

In den Wochen zuvor hatten die Oberstdorfer noch gebangt, ob das Springen wegen des Schneemangels überhaupt stattfinden könne. Nun ist es zu winterlich. Die Wettervorhersage für Montagabend ist alles andere als gut. Wohl aufgrund abgeschlossener Verträge kann das Springen nicht bereits am Mittag gestartet werden. Im Laufe des Tages soll es jedoch weiter schneien, der Wind am späten Nachmittag wieder zunehmen. Für Marinus Kraus und Johann Andre Forfang heißt es dann: wieder hoch auf die Schanze.

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