Vierschanzentournee in Innsbruck:Der Föhn bringt das Chaos

Four Hills Tournament in Innsbruck

Vom Winde fast verweht: Wolfgang Loitzl.

(Foto: dpa)

Gefährliche Windlotterie in Innsbruck: Das dritte Springen der Vierschanzentournee verläuft so chaotisch, dass der Wettkampf im zweiten Durchgang abgebrochen werden muss. Der Tournee-Führende Thomas Diethart hat weiter beste Aussichten auf den Gesamtsieg - sein Landsmann Thomas Morgenstern zürnt in Richtung der Kampfrichter.

Von Thomas Hahn, Innsbruck

Spät im zweiten Durchgang hatte Walter Hofer, der Skisprung-Direktor des Weltskiverbandes Fis, seinen Auftritt beim dritten Wettkampf der 62. Vierschanzentournee in Innsbruck, und er hätte bestimmt gerne darauf verzichtet. Hofer musste nämlich im ORF-Interview mitteilen, dass der stärker werdende Föhn und die einbrechende Dunkelheit eine Fortsetzung des Wettkampfes unmöglich machten.

Alle Sprünge, die es nach der Pause gegeben hatte, waren nichts mehr wert. Es galt das Ergebnis des ersten Durchgangs, was dem früheren Kombinierer Anssi Koivuranta aus Finnland seinen ersten Weltcupsieg beim Skispringen einbrachte und die Ausgangsposition des Schweizer Olympiasiegers Simon Ammann im Kampf um den Tournee-Gesamtsieg verbesserte.

Ammann hatte Glück gehabt in der Windlotterie. Er platzierte sich auf Rang zwei, während der österreichische Tournee-Führende Thomas Diethart Fünfter wurde und Thomas Morgenstern, der zweite Österreicher im Dreikampf an der Tournee-Spitze, mit Windpech als Achter wichtige Punkte einbüßte. "Ich bin sicher gut bedient", sagte Ammann und wollte über die Aussichten auf seinen ersten Tournee-Gesamtsieg nicht viel mehr sagen als: "Ich genieße die Zeit."

Tatsächlich sind seine Aussichten intakt als erster Verfolger des jungen Emporkömmlings Diethart, 21. Diethart geht mit einem Vorsprung von 9,4 Punkten auf Ammann ins Tournee-Finale von Bischofshofen am Dreikönigstag und scheint auf Wolken zu schweben. "Es ist momentan wie ein Märchen", sagte er, "ich freue mich auf Bischofshofen." Morgenstern ist Dritter mit einem Rückstand auf Diethart von 15,4 Punkten und war eher grantig.

Der Wetterbericht hatte das kleine Chaos am Bergisel vorhergesagt. Der Föhn werde kommen am Samstag, sagten die Fachleute von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, mit Windspitzen bis 100 Stundenkilometern am Bergisel. Und auch wenn die Luft am Fuße des Innsbrucker Mythenhügels am Samstagmorgen noch ganz ruhig zu sein schien - pünktlich zum Beginn des Springens war der Föhn tatsächlich da.

Er hatte zunächst nicht ganz die vorhergesagte Stärke, aber seine Kraft reichte, um mit seinen Launen des Feld gehörig durcheinanderzuwirbeln. Wenn die Fis nicht ihre Kompensationsregeln gehabt hätte, nach denen die Springer Windnachteile als Pluspunkte und Windvorteile als Minuspunkte angerechnet bekommen, wäre vermutlich nicht einmal der erste Durchgang zustande gekommen.

Gute Bedingungen für Ammann und Diethart

Ein ungeteiltes Vergnügen war diese Runde vor den 22.150 Zuschauern im ausverkauften Innsbrucker Schanzenstadion allerdings nicht für die Teilnehmer. Einige taumelten bedenklich durch die Luft, der Tscheche Lukas Hlava fiel in ein Windloch und bewahrte sich nur mit Mühe vor einem Sturz. Auch der frühere Tournee-Gewinner Wolfgang Loitzl aus Österreich musste notfallmäßig seinen Sprung abbrechen, um nicht eine Beute der Böen zu werden. Und Thomas Morgenstern verlor wertvolle Meter.

Ammann und Diethart waren unmittelbar vor Morgenstern bei Aufwind gesprungen, ehe sich der Föhn wieder zu einem Richtungswechsel entschied. Auf 119,5 Meter streckte Morgenstern seinen Sprung noch in dieser Luft, die ihn nicht tragen wollte. Ammann war 133,5 Meter weit gekommen, Diethart 126,5 Meter - da half Morgenstern auch nur bedingt, dass er 5,7 Pluspunkte als Wiedergutmachung bekam (Ammann bekam 12,5 Minuspunkte, Diethart 5,5 Minuspunkte).

Mit strenger Felsenmiene blickte Morgenstern in Richtung der Kampfrichter, ehe er wortlos davonstapfte. "Höchste Explosionsgefahr", warnte Österreichs Nationaltrainer Alexander Pointner alle, die Morgenstern direkt nach dem Rückenwind-Erlebnis befragen wollten. Pointner konnte seinen Spitzenmann verstehen, der den Eindruck haben musste, die Jury raube ihm seine Chancen, weil sie ihn im falschen Moment vom Balken gelassen hatte. "Als Sportler fühlst du dich vorgeführt und verarscht, wenn du den Eindruck hast, dass es nur um die Show geht", sagte Pointner.

"Ich verstehe einfach nicht, warum man nicht ein paar Minuten wartet", sagte Morgenstern später. Er war sich sicher, dass sein Sprung ihn weit nach vorne gebracht hätte, wenn der Föhn ihn nicht hängen gelassen hätte. "A Granaten" nannte der Kärntner den Satz, "echt perfekt". Der deutsche Bundestrainer Werner Schuster war so begeistert von Morgensterns Leistung, dass er sagte: "Was Morgenstern hier heute geleistet hat, war unmenschlich." Trotzdem wirkte Morgenstern etwas desillusioniert wegen seines Rückstandes ("Das holt man schwer auf gegen zwei Springer, die in Form sind"), wenn auch kämpferisch: "Aufgeben werd´ ich auf keinen Fall."

Das gesamte Tagesergebnis war so sehr vom Wetter geprägt, dass man es nicht ganz ernst nehmen konnte. Auf der anderen Seite bot der wechselnde Wind auch Chancen zum Überraschungserfolg, wie Koivuranta zeigte. Schuster fand es deshalb "unbefriedigend", dass seine deutschen Springer sich geschlossen im Mittelfeld platzierten mit Richard Freitag, Marinus Kraus, Severin Freund und Andreas Wellinger auf den Rängen elf, 13, 15 und 18. "Wir hätten genügend Glück gehabt, auch einen aufs Podest zu kriegen, aber haben es nicht ausgenutzt", sagte Schuster.

Hilfreich wäre das gewesen für ihn, denn die Tournee läuft auch aus seiner Sicht gar nicht nach Plan: "Das sieht wirklich fürchterlich aus in der Tournee-Wertung. Wir müssen schauen, dass wir mit Ach und Krach einen unter die ersten Zehn kriegen." Aber das Skispringen ist eben kein Wunschkonzert, und so richtig zufrieden konnte an diesem verwehten Tag in Innsbruck außer Koivuranta und Ammann im Grunde nur der Föhn sein. Er kann jetzt von sich behaupten, zur Dramaturgie der 62. Vierschanzentournee einen Beitrag geleistet zu haben.

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