Vierschanzentournee:Finnen sind immer gefährlich

Nach Jahren, in denen er kaum vom Fleck kam, ist Matti Hautamäki der erste Verfolger des Tournee-Favoriten Thomas Morgenstern. Er nutzt dabei die Einflüsse aus sechs Ländern.

Thomas Hahn

Matti Hautamäki redet vom Träumen. Er tut dies in seinem kantigen Finnland-Englisch, in dem man immer auch ein bisschen die Kälte des Nordens zu hören glaubt. Und er muss den Eindruck haben, dass die Leute ihm nicht wirklich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, die jetzt unruhig vor ihm sitzen, in ihre Laptops schreiben oder im Saal herumwuseln bei dieser Pressekonferenz nach dem Auftaktspringen der Vierschanzentournee am Oberstdorfer Schattenberg.

Vierschanzentournee - Oberstdorf -  Hautamaeki

Matti Hautamäki.

(Foto: dpa)

Denn natürlich ist die Tournee vor allem eine Sache von Österreichern und Deutschen, welche die Nachricht des Abends ganz woanders sehen, nicht bei ihm, Hautamäki, 29, dem Routinier aus Kuopio mit seinem schönen zweiten Platz: die Österreicher bei ihrem souveränen Tagessieger Thomas Morgenstern, die Deutschen bei Severin Freund, dem Sechstplatzierten. Aber das ist Hautamäki egal.

Er redet vom Träumen. "Es ist mein Traum, ein Springen bei der Tournee zu gewinnen. Es ist mein Traum, die Gesamtwertung zu gewinnen." Und leise genießt er seine Geschichte, die in diesem Winter eine wundersame Wendung genommen hat.

Es wird nicht einfach, den Weltcup-Führenden Morgenstern vom Thron zu stoßen bei dieser Tournee, die an mit dem Neujahrsspringen auf Garmisch-Partenkirchens Olympiaschanze (Samstag, 14 Uhr, ARD) weitergeht. Der Sieg in Oberstdorf war eine Demonstration seiner Hochform. Ungerührt übersprang er die 130-Meter-Marke, als die meisten am eingeschlafenen Wind und am geringen Anlauf scheiterten, ungerührt antwortete er auch, als Hautamäki im zweiten Durchgang mit einem 137,5-Meter-Sprung vorlegte.

Andererseits sind Finnen immer gefährlich, vor drei Jahren erst haben die Österreicher das erfahren, als Morgenstern und sein derzeit pausierender Landsmann Gregor Schlierenzauer in Führung lagen, ehe ihnen Janne Ahonen den Gesamtsieg abnahm. Und Hautamäki schwebt gerade auf einer Welle des Hochgefühls nach schwierigen Jahren, in denen er dem Karriere-Ende teilweise näher war als dem Weltcup-Podest.

Hautamäki ist ein Vertreter jener Vor-Morgenstern-Generation, die noch die Zeit ohne strenge Anzug- und Ski-Maße erlebt hat. Er muss seufzen, wenn er bedenkt, wie kompliziert sein Sport geworden ist durch all die Vorgaben, welche der Weltskiverband Fis ab 2002 einführte. "Mir war es lieber, wie es vor zehn Jahren war", sagt er, "die Ski waren einfach, der Wind hatte weniger Einfluss. Jedes Jahr kommt mehr High Tech."

Vor allem aber ist er ein Vertreter jener Springer, die in den vergangenen Jahren kaum vom Fleck kamen. Er war nie richtig weg, aber auch nie mehr so da wie in der ersten Phase seiner Karriere: Seinen ersten von 16 Weltcup-Siegen erreichte er Ende 2000, bei der Tournee 2001/02 war er Zweiter, bei Olympia in Salt Lake City 2002 Dritter. Danach stand er meist in Ahonens Schatten. Knieprobleme plagten ihn, und die Umstände des Sprungsports daheim. "In den vergangenen Jahren hatten wir ein paar Finanzierungsprobleme", sagt er.

"Das 2001-Ding war nicht hilfreich"

Wenn man Nationaltrainer Pekka Niemelä nach Hautamäkis Wiederaufstieg fragt, kann er ihn in wenigen Sätzen gar nicht erklären. "Das hat mit vielen, vielen Dingen zu tun. Es ist eine Art Puzzle, viele Teile." Er erklärt es dann doch in wenigen Sätzen, und zwar mit einem konsequenten Wandel. Finnland ist eine besondere Skispringer-Nation, die sowohl für die Tradition des Sports steht als auch für seinen Fortschritt.

Sie hat einige der größten Talente hervorgebracht, Matti Nykänen, Ahonen. Finnische Skisprung-Trainer gehören zu den gefragtesten. Aber auch Finnland kann die Zeit nicht anhalten. Die Konkurrenz entwickelte sich. Die Erfolge wurden weniger. Reformen wurden zur Pflicht.

Die Finnen folgen einem Trend der Selbsterneuerung, dem auch die Deutschen folgen. Es geht um einheitliche Strukturen, klugen Ideenaustausch, weniger Durcheinander durch verschiedene Trainingsphilosophien an den Stützpunkten. Finnlands Skispringer haben sich neue Leitlinien des Leistungsaufbaus verpasst, ihr eigenes Marketing, ihr eigenes Budget. Seit 2009 gibt es Finn Jumping - die Sprungabteilung des Finnischen Skiverbandes hat sich selbständig gemacht.

Jahrelang hatte sie unter dem Imageproblem des Dachverbandes nach dem Skandal von der WM in Lahti 2001 mit sechs gedopten finnischen Langlauf-Größen gelitten. "Sicher war das 2001-Ding nicht hilfreich", sagt Niemelä, "aber darüber will ich nicht reden."

Hautamäkis Hoch steht für die Segnungen des Reformprozesses, der darauf hinausläuft, verschiedenste Einflüsse besser zu bündeln und zu sortieren. Mit drei Universitäten arbeitet Finn Jumping zusammen (Helsinki, Jyväskylä, Tampere), sein Personal bringt Erfahrungen aus der ganzen Welt mit, eine wichtige Stütze ist zum Beispiel der österreichische Service-Mann Gerhard Hofer, der dem viermaligen Olympiasieger Simon Ammann aus der Schweiz vergangene Saison seine revolutionäre Bindung verschaffte.

Niemelä selbst hat schon in Japan und Frankreich gearbeitet. Einflüsse aus sechs Ländern, kämen im Team zusammen, sagt Niemelä, für ihn gibt es einen entscheidenden Faktor für gute Skisprungleistungen: "Wissen".

Hautamäki hat sich auf die frischen Einflüsse eingelassen, "mit ganzem Herzen und offenem Geist", sagt Niemelä, etwa auf neue Anzug- und Bindungs-Modelle. "Er war unser Versuchsmann für die Entwicklung der Ausrüstung." Nun fliegt Hautamäki und übersetzt seine Zufriedenheit in eine Jugendsprache, in der zwar immer noch die finnische Kühle mitklirrt, die aber durchaus glaubwürdig wirkt. Als Zweiter in die Tournee zu starten, findet Matti Hautamäki jedenfalls "ein sehr geiles Gefühl".

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