Skispringen:Eisbrecher voraus

Vier unter den besten 15 - das Resultat des deutschen Teams bei der Vierschanzentournee überzeugte selbst die Kritiker.

Von Volker Kreisl, Bischofshofen

Im Nachhinein lässt sich nicht sicher sagen, ob Severin Freund das Eis auch alleine durchbrochen hätte. Und doch, sein Trainer Werner Schuster hatte die Bedeutung dieser kleineren Flotte wieder und wieder betont, die vorweg gefahren war. Zuerst die MS Wank, sie hatte die ersten Krusten gelöst, gleich neben ihr pflügte die MS Wellinger mit, unterstützt von der Leyhe 15, einem neueren Modell, das letzte Saison erschien, ehe in deren Bugwelle die Freitag auftauchte und unter Volldampf die dicke, über zehn Jahre festgefrorene Decke entscheidend lockerte.

Andreas Wank, Andreas Wellinger, Stephan Leyhe und Richard Freitag, "das waren heute unsere Ice-Breaker", sagte der Bundestrainer Schuster in Oberstdorf. Sie spielten eine wichtige Rolle beim Auftakt der 64. Vierschanzentournee. Am Ende war diese nicht nur für Sieger Peter Prevc erfolgreich zu Ende gegangen, sondern auch für das deutsche Team. In Oberstdorf hatten sich Leyhe, Wank und Wellinger gegen den Abwärtstrend gestemmt, den der erste Durchgang wie in den 13 Jahren zuvor gewiesen hatte. Sie hatten sich im Finale als Dreiergruppe an die Spitze gesetzt, die Stimmung des schon wieder leicht bedröppelten Publikums aufgehellt, in dessen Lärm Freund dann zum ersten deutschen Oberstdorf-Sieg seit 2012 gesprungen war und schließlich als erster DSV-Springer seit 2003 Gesamt-Zweiter wurde.

Schusters Eisbrecher leisteten ja weiterhin solide Arbeit. In Innsbruck kamen Wank, Wellinger und Freitag unter die besten Zehn, im Gesamtklassement standen am Ende vier Deutsche unter den besten 15. Nebenher tauchte aus der Tiefe des Kaders und des Continental-Cups ein junger Springer auf, der Schwarzwälder David Siegel, der als 19-Jähriger in Garmisch auf Platz 16 kam. "Er ist ein feinfühliger und lernbegieriger junger Mann", sagt Schuster. Insgesamt weiß der Österreicher, dass er noch nicht am Ziel ist, doch er hat nach WM- und Olympia-Erfolgen nun auch bei der Vierschanzentournee die Bestätigung dafür bekommen, dass seine Arbeit in Deutschland anschlägt. "Wir haben die Tür aufgestoßen", sagt er.

64th Four Hills Tournament - Bischofshofen Day 2

Dem Licht entgegen: Severin Freund, der beste Zweite der Tournee-Geschichte, bei seinem 141-Meter-Flug in Bischofshofen.

(Foto: Dennis Grombkowski/Getty Images)

Begonnen hatte Schuster im Frühjahr 2008. Sein Ziel war es, das Team unabhängig zu machen von sich schnell brechenden Erfolgswellen. Es ging ihm um ein Fundament, deshalb wollte er eine einheitliche Sprungphilosophie für seine Athleten, eine präzisere Kontrolle von deren Trainingsdaten. Und er stellte das Athletiktraining auf den Prüfstand, was im Skispringen viel Zeit braucht, denn das Skispringen ist per se nicht ganz normal.

Skispringen ist zu individuell, um den Stil des Slowenen einfach zu kopieren

Es ging zum Beispiel um den Absprung. Jeder normale Mensch, der hoch springen will, nutzt dazu seine Ballen und die Federung seines Sprunggelenks. Ein Skispringer aber kann das nicht, denn dabei würde sein Sprunggelenk mit nach unten klappen, damit würden seine Skier nach unten abschmieren, was einen Sturz zur Folge hätte. "Ein Skispringer", sagt Schuster, "hat einen total unnatürlichen Sprung", er muss aus der Ferse nach vorne und nach oben springen, damit er nicht zu viel Geschwindigkeit verliert, und das auch noch in einem festen Stiefel.

Schuster führte also eine genauere, wöchentliche Diagnostik des Sprungablaufs bei seinen Talenten ein. Er schuf ein System mit mehr gemeinsamen Lehrgängen, in dem er gemeinsam mit seinen Co-Trainern Stefan Horngacher und Tino Haase den Absprung optimierte, jene etwas absurde Bewegung, die der Gesamtsieger Peter Prevc zurzeit vorbildlich beherrscht: In einer ideal tiefen Hocke nimmt er die optimale Geschwindigkeit auf, von der er dann am Schanzentisch fast nichts verliert, weil er gleichzeitig nach oben, aber auch nach vorne springt.

Aber Skispringen ist zu individuell, um den Stil des Slowenen einfach zu kopieren. Auch jeder in Schusters Team hat eine eigene Art zu fliegen und auch eine eigene Entwicklungszeit. Freitag stellt gerade seinen kräftigen Absprung um und versucht, geschmeidiger zu fliegen, Wellinger hat nach seinem Sturz von Kuusamo wieder Anschluss an seine Leistungen gefunden, verbaut sich aber zurzeit mit zu viel Ungeduld im letzten Moment einen Podestplatz. Andreas Wank, der auch zum Team der Olympiasieger von Sotschi zählt, versucht wieder mal einen Anlauf, zurzeit hat er Erfolg, braucht aber Konstanz. Und der Willinger Stephan Leyhe, der sich im vorigen Winter im Weltcup-Team festgesetzt hatte, macht bei allen Fortschritten eben immer auch wieder einen Rückschritt, wie nun zum Abschluss in Bischofshofen, wo er es nicht in das Finale schaffte. Schuster entfuhr danach der Satz: "Stephan ist in seiner Entwicklung ja fast noch langsamer als der Severin."

Severin Freund ist ein ganz gutes Bespiel dafür, dass eine langsame Entwicklung einen Skispringer zu großer Stabilität führen kann. Freitag, Leyhe, Wank, Wellinger, Siegel und die anderen müssen sich also ihre Zeit nehmen und schön beharrlich üben, auch wenn sie noch so langsam sind. Ein Eisbrecher ist schließlich kein Rennboot.

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