Vierschanzentournee:Die Skispringer segeln in die Zukunft

Four Hills Tournament - Bischofshofen Day 1

Stabile Flugposition: Wie weit ein Springer kommt, entscheidet sich in den wenigen Sekunden der Absprungbewegung.

(Foto: Dennis Grombkowski/Getty Images)
  • Skispringen soll für den Fernsehzuschauer noch verständlicher werden, deswegen will der Skiweltverband neue Technik einsetzen.
  • Der entscheidende Moment des Absprungs rückt dabei in den Mittelpunkt.
  • Doch von den Athleten ist mit Widerstand bei zu großer Aufklärung zu rechnen.

Von Volker Kreisl

Auch im Sessel ist Sport denkbar, jedenfalls mit etwas Fantasie. Selbst wenn ein Fernsehzuschauer niemals im Verein Tennis gespielt hat, so kann er sich doch vorstellen, wie man mit dem Tennis-Racket wohl gegen den Ball schlagen muss. Auch die meisten Biathlon-Fans standen schon irgendwann auf Langlaufskiern und hatten mal auf der Kirmes mit einem Gewehr auf Plastikblumen gezielt. In den meisten Sportarten sind Punkte, Treffer und Zeiten grob nachvollziehbar.

Aber was ist mit diesem populären, aber unergründlichen Sport, der jetzt wieder seinem Saison-Höhepunkt entgegen schwebt? Gut, auf zwei Skiern in einer Anlaufspur mit bis zu 100 Stundenkilometern in der Hocke zu beschleunigen, das ist für jeden Skifahrer noch nachvollziehbar. Doch schon rast diese Kante auf einen zu, und was passiert dann?

Diese Sekunde des Abhebens, sagt Walter Hofer, der Skisprung-Renndirektor beim Skiweltverband Fis, sei der wichtigste Moment dieses Sports. Und weil das Skispringen selber eine einzige ständige Fortentwicklung von Trainingsmethoden und Material, ein Kommen und Gehen von Favoriten ist, muss der Dachverband aufpassen, dass der Zuschauer mitkommt. Die Springer kämpfen um den Sieg, Hofer und seine Fis um Transparenz fürs Publikum. Man könnte sagen, sie machen den Sport fit für die Zukunft, denn nun haben sie wieder eine neue Messtechnik, und sie soll schon bei der Vierschanzentournee in Oberstdorf am Samstag und Garmisch am Montag in ARD und ZDF zum Einsatz kommen. Es ist ein erster Schritt dahin, dass man versteht, warum Springer A wie ein Blatt im Herbstwind weit ins Tal weht, während B früh herunterfällt wie ein schwach geworfener Stein - und warum die Experten das alles schon beim Absprung ahnen.

Deren Erklärungen sind manchmal etwas bruchstückhaft, es ist ja auch nicht viel Zeit, denn im Schnitt muss pro Minute ein Springer herunter, sonst wird das Publikum im Stadion unruhig, weil die Spannung abfällt. Die Trainer sagen eher kurze Sätze wie, "er war am Schanzentisch zu spät", erklärt Hofer, aber was solle der Zuschauer damit anfangen? "Der fragt sich vielleicht, ist er oben zu spät losgefahren, oder was?"

Erst einmal nur zwei Werte für den Zuschauer

Natürlich nicht. Auf jedem Schanzentisch gibt es einen idealen Absprungpunkt, der wenige Zentimeter lang ist, wo der Druck für den Absprung optimal ist. Springt einer davor ab, ist er zu früh und taucht unter der idealen Flugkurve durch. Ist er zu spät dran, schafft er ebenfalls nicht genügend Höhe. Bislang wurden die Abweichungen grob geschätzt, jetzt montiert die Fis in Oberstdorf und Garmisch acht Kameras um den Schanzentisch herum, Hofer gerät ins Schwärmen: "Eine Kamera liefert 250 Bilder pro Sekunde, für eine Vier-Sekunden-Sequenz ergibt das 8000 Bilder!"

Damit kann man viel anfangen, vorerst will die Fis dem Zuschauer aber nur zwei neutrale Werte darreichen: Die zentimetergenaue Abweichung vom Absprungpunkt, die Absprungkraft in Meter pro Sekunde, und später vielleicht noch die Fluggeschwindigkeit zehn Meter nach dem Tisch. Damit wäre der Sprung schon recht exakt vermessen und sein Geheimnis offenbart: Wie einer den exakten Weg findet, damit er möglichst hoch hinauskommt, aber auch nicht zu hoch, weil er sonst zu viel von den 100 km/h verliert, und danach eher Stein statt Blatt ist.

Athleten leisten Widerstand gegen Aufklärung

Noch transparenter könnte es in sechs Wochen werden, bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang, Südkorea. Da plant die Fis die Einführung eines Chips, der in einem Plastikbehälter ("vergleichbar mit einer Schuhcremedose", sagt Hofer) klemmt und den Sportlern hinter die Bindungen geschraubt wird. Mit seinem Sender wird der Springer dann zum Satelliten, der durch ein Koordinatenfeld fliegt, womit theoretisch noch mehr Daten aus so einem Flug herauszuholen sind: die Tempo-Verläufe beim Anlauf, der Geschwindigkeitsabfall in der Luft, die Aufsprungkraft, und so weiter. Das hört sich paradiesisch an für Vermarkter und Verkäufer des Sports, aber so leicht ist es nicht. Denn Widerstand gegen allzu große Aufklärung leisten schon immer die Skispringer selbst.

Weil das zweite System, das mit dem Chip, viel mehr über den individuellen Sprungstil verrät, will Hofer jedem Trainer freistellen, ob seine Springer den Chip aufschrauben, ob sie die Daten freigeben oder nur selber verwenden. Dann wären sie natürlich auch von den Chipdaten der anderen abgeschnitten. Vermutlich sperren sich am ehesten die Topnationen Österreich und Deutschland, die ohnehin schon durch ihre Trainingswissenschaftler über reichlich Informationen verfügen. Die Deutschen führen im Weltcup gerade, und sie stellen in Richard Freitag und Andreas Wellinger zwei der Tourneefavoriten.

Alle rätseln über das Geheimnis dieses Erfolges. Es muss irgendwas mit den vier Sekunden beim Absprung zu tun haben.

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