Vierschanzentournee:Das fliegende Doppelzimmer

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"Sauber!" Michael Hayböck (rechts) gratuliert Kumpel Stefan Kraft zum Sieg in Oberstdorf. (Foto: AP)

"Wir sind richtig gute Freunde": Die Österreicher Stefan Kraft und Michael Hayböck belegen zum Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf überraschend Platz eins und zwei. Der Konkurrenz geben die Zimmerkollegen wenig Anlass zur Hoffnung.

Von Lisa Sonnabend

In einem Doppelzimmer im Hotel Oberstdorf ging es in der vergangenen Nacht mit Sicherheit laut zu. Zwei Hotelgäste aus Österreich hatten etwas zu feiern: die größten Erfolge ihrer Karriere als Skispringer. Stefan Kraft hatte am Montagabend überraschend das Auftaktspringen der Vierschanzentournee gewonnen, es war sein erster Weltcup-Sieg überhaupt. Sein Zimmerkollege Michael Hayböck wurde Zweiter - auch er war nie zuvor so gut platziert gewesen. "Wir sind richtig gute Freunde, deswegen werden wir jetzt gemeinsam anstoßen", kündigte Kraft nach dem Wettkampf an. Sein Grinsen war breit, seine buschigen dunklen Augenbrauen hüpften munter auf und ab.

136,5 und 129 Meter sprang Kraft an diesem Abend, es war ein deutlicher Sieg. ( Hier geht es zu den Ergebnissen aus Oberstdorf.) Als er nach seinem zweiten Satz gelandet war, jubelte er wie ein Fußballer, der eben ein Tor geschossen hat. Er lehnte sich weit auf den Skiern zurück, reckte beide Arme in die Luft, ballte die Fäuste und brüllte laut. Hayböck gratulierte natürlich als Erster. Er rannte zu Kraft in den Auslaufbereich der Schanze, er umarmte den 21-Jährigen und lobte: "Sauber!" Dass ihm Kraft eben den Sieg weggeschnappt hatte, schien ihm egal zu sein. "Von meiner Warte aus ist es der allerschönste zweite Platz", sagte Hayböck wenige Minuten später. "Vor allem, wenn der Zimmerkollege gewinnt."

Viele Springer waren vor dem Beginn der Vierschanzentournee als Favoriten gehandelt worden - der Name Kraft stand auf dieser Liste eher weiter unten. Jetzt sagte er: "Es war ein Sieg, den du nicht erwarten kannst."

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Im Vorjahr war Kraft noch mit gesenktem Kopf aus dem Oberstdorfer Stadion gestapft. Er hatte den 50. Platz belegt - Letzter. Doch seitdem verläuft die Karriere des jungen Springers immer vielversprechender. Siebenmal war Kraft bereits auf dem Podest im Weltcup gestanden, in dieser Saison wurde er einmal Zweiter, einmal Dritter. Nur ein Sieg fehlte noch.

Als Kraft zehn Jahre alt war, stand er erstmals auf einer Sprungschanze, er hatte allerdings Alpinskier angeschnallt. Bald ging der Junge aus dem Pongau im Salzburger Land die Sache ernster an. Mittlerweile trainiert er am Olympia-Stützpunkt in Salzburg-Rif - wie auch sein Kumpel Hayböck. Fast täglich sehen die beiden sich, sie verbringen ihre Freizeit gemeinsam, sogar in den Urlaub reisten sie schon zusammen. Nur beim Thema Fußball verstehen sie sich nicht: Kraft ist Bayern-Fan, Hayböck mag den FC Barcelona.

Ehe Kraft am Montag das zweite Mal die Oberstdorfer Schanze hinunterfuhr, saß er oben auf dem Balken. Er blickte nach hinten links, um die Bindung zu kontrollieren, dann schaute er nach hinten rechts. Er atmete tief durch. Er wirkte überhaupt nicht nervös. In seinem Gesicht war sogar ein Lächeln zu erahnen. Dann stieß er sich ab, glitt den Schanzentisch hinunter. Der Absprung war kräftig, in der Luft lag er ganz ruhig, er flog weit und landete im Telemark. Kraft wusste in diesem Moment bereits, dass es gereicht hatte.

"Ich habe es runtergezogen, echt genial", gluckste Kraft danach. "Darüber bin ich schon stolz." Auch der neue österreichische Bundestrainer Heinz Kuttin war erleichtert: "Ich haben den Buben vertraut, mich freut es, dass sie zugeschlagen haben."

In den vergangenen sechs Jahren kam der Tournee-Gesamtsieger immer aus Österreich. Es gewannen Wolfgang Loitzl, Andreas Kofler, Thomas Morgenstern, zweimal Gregor Schlierenzauer und zuletzt überraschend Thomas Diethart. Ob die Serie weitergeht? Kraft meinte am Montag selbstbewusst: "Es kommen noch drei Schanzen, die ich sehr gern mag." Zimmerkollege Hayböck prophezeite: "Wir werden uns sicher gegenseitig mitziehen. Ich glaube, dass wir uns dadurch einen Vorteil holen können."

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Falls Hayböck ihn im Laufe der Tour noch zu nahe kommen sollte, hat Kraft sich bereits einen Plan zurechtgelegt. Er sagte vergnügt: "Ich kann ihm ja nachts im Hotelzimmer einfach einen Kick verabreichen."

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