Vierschanzentournee:Abschied von den österreichischen Super-Adlern

Schlierenzauer of Austria reacts after the first competition jump of the third stage of the 64th four-hills ski jumping tournament in Innsbruck

Gregor Schlierenzauer. Lächeln in Zeiten der Niederlagen.

(Foto: REUTERS)
  • Nach sieben Siegen bei der Vierschanzentournee in Serie: Österreichs Skispringer haben den Anschluss verpasst.
  • Sollte keine wundersame Kehrtwende folgen, dann werden Fragen gestellt: Haben sie beim Material geschlafen?
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Von Volker Kreisl, Innsbruck

Das Wohnzimmer hat steil aufragende Wände und steht auf dem Bergisel hoch über Innsbruck. Gemütlich ist es darin; steht man ganz unten, bleibt die kalte Welt draußen. Rundherum wehen rot-weiß-rote Fahnen, und auf den Rängen lärmen Tausende Anhänger. In dieser guten Stube haben sich die Bewohner nach den Anstrengungen im Ausland schon oft erholt und neue Kräfte geschöpft für den Rest der Winterreise.

Österreichs Athleten nehmen das Skispringen auf der Bergisel-Schanze traditionell als Tankstopp für ihr Selbstbewusstsein. Wegen ihrer Nähe zum Skigymnasium in Stams kennt jeder Springer die Besonderheiten dieser Anlage bestens. Dort sicherten Michael Hayböck und Stefan Kraft vor einem Jahr ihren Tourneesieg vorzeitig ab, und dort holten sich im vergangenen Jahrzehnt Österreichs sogenannte Super-Adler die letzte Bestätigung für ihre Form und ihre Siegesserie bei der Vierschanzentournee.

Die deutschen Springer hätten im Prinzip ja Oberstdorf und Garmisch, aber sie haben so ihre Probleme mit den eigenen Schanzen. Im Gegensatz dazu steht auf dem Bergisel, der seit den Tiroler Befreiungskriegen vor 200 Jahren ohnehin ein Symbol für Widerstand ist, für Österreichs Skispringer eine echte Heimschanze. Und doch ist beim Tournee-Tankstopp 2016 der Optimismus derart gedämpft, dass auch der Bergisel nicht mehr viel hilft.

In Michael Hayböck und Stefan Kraft hat die Skisprung-Nation zwar weiterhin zwei Top-Ten-Springer, dahinter aber klafft neuerdings ein bedenkliches Loch. Der Abstand zum Dritten ist erstmals seit vielen Jahren derart groß, dass die Zeitungen die Tabellen mit Unterbrechungslücke drucken müssen, der Platz reicht sonst nicht. Im Tournee-Ranking steht Manuel Fettner, der nächstbeste Springer des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV), auf Platz 19, im Gesamtweltcup belegt er Position 18. Dahinter wird es diffus. Jenseits von Platz 20 landen mit wechselhaftem Erfolg mal Manuel Poppinger, 26, mal der ehemalige Vierschanzentournee-Sieger Andreas Kofler, 31, mal der einstige Ausnahme-Springer Gregor Schlierenzauer, 25.

Kofler und Poppinger verpassten in Innsbruck die Qualifikation, Schlierenzauer kam durch, aber nur mit Kopfschütteln. Er bleibt zwar auf nicht absehbare Zeit mit 53 Weltcupsiegen der Rekordhalter in seinem Gewerbe, er bleibt es vermutlich auch nach seinem Karriereende, aber in der Gegenwart hat er den Anschluss an die Moderne verpasst, vor allem an die neue Bindungstechnik. Seit zwei Wintern ist Schlierenzauer eher ein Symbol für den Abschied vom Super-Adler-Gedanken, vom Prinzip eines schlagkräftigen Teams.

Früher, glaubt Chef-Trainer Heinz Kuttin, habe sich dieses Team gewissermaßen von selbst wieder und wieder erneuert. "Extreme Talente wie Thomas Morgenstern oder Gregor Schlierenzauer agierten zur gleichen Zeit, viele andere konnten sich mit ihnen entwickeln", sagt Kuttin. "Leute wie der Thomas Diethart konnten dann die Tournee von null auf hundert gewinnen, weil sie den Druck nicht hatten." Doch dieses Null-auf-hundert-System hakt zurzeit, die Anschlussspringer erreichen keine plötzlichen Höchstweiten, es geht höchstens noch von null auf über 30. Noch alarmierender stellt sich die Lage in der Nationenwertung dar. Da liegen Österreichs Springer erstmals seit Jahrzehnten nur auf dem vierten Platz - hinter Deutschland, Norwegen und Slowenien. Und in der Tabelle des Continental-Cups, der zweitklassigen Ausbildungsserie, steht der beste Österreicher auch bloß auf Rang 13.

Das Abschneiden der Österreicher seit 2007

2006/2007 2. Gregor Schlierenzauer

2007/2008 2. Thomas Morgenstern

2008/2009 1. Wolfgang Loitzl, 3. Gregor Schlierenzauer

2009/2010 1. Andreas Kofler, 3. Wolfgang Loitzl

2010/2011 1. Thomas Morgenstern

2011/2012 1. Gregor Schlierenzauer, 2. Thomas Morgenstern, 3. Andreas Kofler

2012/2013 1. Gregor Schlierenzauer

2013/2014 1. Thomas Diethart, 2. Thomas Morgenstern

2014/2015 1. Stefan Kraft, 2. Michael Hayböck

Solche Durststrecken haben, wie Kuttin es andeutet, viel mit Eigendynamik und mit der komplizierten Psychologie des Skispringens zu tun. Und noch halten sich Österreichs Kritiker zurück in dieser kompakten Saison-Gipfelserie zwischen Tournee, Willingen und der Skiflug-Weltmeisterschaft, die in zehn Tagen am Kulm in Österreich stattfindet. Doch sollte die ÖSV-Skispringer in den kommenden zehn Tagen keine wundersame Kehrtwende erfassen, dann dürften die Gerüchte, laut denen im Materialsektor manches verschlafen wurde, offen diskutiert werden.

Kuttin ist entschlossen, seine gelassene Art zu bewahren. Er entscheide weiter mit "sachlicher und nüchterner Analyse", sagt er. Mit den Beobachtern sei es eben wie immer: "Einige werden's vielleicht verstehen, viele werden draufhauen, was natürlich nicht schön ist." Österreichische Skisprungdebatten können manchmal scharf werden, wie der Krach bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi zeigte, als sich die Super-Adler Morgenstern und Schlierenzauer mit dem Supertrainer Alexander Pointner ums Material stritten. Bergisel hilf.

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