Videoschiedsrichter:Sehschwächen mit System

Hellmut Krug

Nicht mehr Chef des Projektes Videobeweis: Hellmut Krug.

(Foto: dpa)

Die Entlassung von Hellmut Krug als Videobeweis-Chef setzt das richtige Signal - und zeigt gleichzeitig, wie anfällig der Spitzenfußball für Manipulationen ist.

Kommentar von Thomas Kistner

Behaupte noch wer, der Videobeweis sei all den Aufwand nicht wert. Zugegeben: Bei der Beurteilung des Geschehens auf dem Rasen jagt ein Zweifel den nächsten. Ein steter Mix aus seltsamen bis grotesk falschen Urteilen hat das Publikum in Rage gebracht; es fragt sich zu Recht, wie optisch tendenziell eindeutige Vorgänge trotz Videohilfe so unterschiedlich betrachtet und bewertet werden können. Verdienstvoll daran ist aber wenigstens dies: dass der Videobeweis den Fokus so aufs Innenleben des deutschen Spitzenfußballs lenkt. Das hat nun zur unfreiwilligen Selbstentblößung der Kickerbranche geführt, die in einen heilsamen Prozess münden könnte. Erster Therapieerfolg: das Aus für den einflussreichsten Mann in der Schiedsrichter-Gilde, Hellmut Krug.

Der Videobeweis ist nicht nur zeitgemäß, sondern wichtig

Der Vorwurf könnte pikanter nicht sein, er grenzt an Spielmanipulation: Krug soll als Projektleiter in der Kölner Videozentrale Einfluss auf die Entscheidungen von Video-Assistenten genommen haben. Er bestreitet das. Aber den Spitzenleuten im Deutschen Fußball-Bund reichte die Verdachtslage offenbar aus.

Das ist ein Anfang. Und nur der Anfang, denn recherchiert werden muss bei einer solchen Verdachtslage nun umso intensiver, woher die Sehschwächen und Beißhemmungen rühren, die ein Teil der Schiedsrichter-Belegschaft seit Monaten offenbart. Bei schwerwiegenden Entscheidungen dürfte man ja kaum noch danebenliegen können, immerhin hat das Publikum Spiel für Spiel klare Bildbeweise zur Verfügung, die heute, anders als früher, zur Bewertung herangezogen werden. Dass auch mal etwas schiefgehen kann: geschenkt! Wenn aber trotz bester Sehhilfe der Irrtum zur Serienreife gelangt, drängen sich Fragen auf. Etwa die, ob ein Teil der deutschen Spitzenreferees nur so indoktriniert wirkt, wie er pfeift - oder ob er so indoktriniert ist. Dazu zählt auch ein still vorauseilender Gehorsam gegenüber den Mächtigen. Tendenziell sind im Ligabetrieb jedenfalls seit langer Zeit Profiklubs zu bestaunen, deren Akteure auf dem Feld ungestraft weit dominanter gegenüber den Spielleitern auftreten dürfen als andere, und in heiklen Szenen - oder in heiklen Spielen - auf konsequent großzügige Behandlung hoffen dürfen. Nicht immer. Aber viel zu oft.

Deshalb setzt die Causa Krug das richtige Signal. In einer so manipulationsanfälligen Milliardenwirtschaft wie dem Profifußball ist der Videobeweis nicht nur zeitgemäß, sondern von größter Bedeutung. Zumal die Ungereimtheiten rund um diesen Sport immer auffälliger werden, vom Fifa-Sumpf bis zu den Football-Leaks. Der Videobeweis aber, das zeigt sich gerade, ist halt nur dann einer, wenn er von systemunabhängigen Referees geführt werden kann. Es braucht endlich Juroren, die keine Klub- und Verbandsvertreter fürchten müssen - und keine im Fußball gefärbten Vorgesetzten. Wie Hellmut Krug aus Gelsenkirchen, der dem untergebenen Videoassistenten bei einer Partie des Gelsenkirchener Traditionsklubs Schalke 04 hineingefunkt haben soll.

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