Videobeweis:Verwirrung im Viereck

Portugal v Mexico: Group A - FIFA Confederations Cup Russia 2017

Schiedsrichter ans Telefon! Nestor Pitana hört über einen Knopf im Ohr, dass er Pepes Tor für Portugal nicht anerkennen soll.

(Foto: Ian Walton/Getty Images)

Beim Confed Cup bewahrt der neue Videobeweis die Schiedsrichter vor Fehlern - doch es gibt Aufregung über die schlechte Kommunikation.

Von Johannes Aumüller, Moskau

Arturo Vidal war nicht mehr einzukriegen. Er schimpfte und schimpfte, und in diesem Gemütszustand begleitete er den slowakischen Schiedsrichter Damir Skomina auch noch in Richtung Kabine. Demonstrativ geäußerter Unmut eines Fußballers über die Entscheidung eines Unparteiischen ist keine Seltenheit, aber diesmal waren die Umstände besonders.

Das System könne "eine Menge Atemnot" hervorrufen, sagt Chiles Trainer Pizzi

Denn Vidals Chilenen hatten kurz vor der Pause gegen Kamerun ein Tor erzielt und auch schon gejubelt, als Skomina mit seinen Händen ein Viereck in die Luft malte. Das ist ein Zeichen, an das sich die Fußballwelt gewöhnen muss: Denn auf diese Weise zeigt der Schiedsrichter an, dass ihn bei seiner Entscheidung der Video-Assistent unterstützte. Das Viereck steht also für einen Bildschirm, und in diesem Fall bedeutete das Viereck konkret: kein Tor, weil minimales Abseits, wie sich später zeigte.

Dieser Confed Cup ist aus sportpolitischen Gründen ein besonderes Turnier, nun fällt er auch noch fußballfachlich auf. Denn bei den beiden Spielen am Sonntagabend kam erstmals der so lange vom Weltverband verschmähte Videobeweis auf der großen Bühne zum Einsatz - und das gleich vier Mal. Rein inhaltlich liest sich die Bilanz so: In gleich drei Fällen verhinderte der Videobeweis eine Fehlentscheidung. Und doch setzte nachher eine heftige Diskussion über die Umsetzung des Systems und über die Kommunikation der Unparteiischen ein, weil das Vorgehen teils unverständlich erschien und teils sehr lange dauerte. "Es ist wahr: Dieses System kann eine Menge Atemnot hervorrufen", sagte Chiles Trainer Juan Antonio Pizzi. Und Lukas Brud, Geschäftsführer des für Regeln zuständigen International Football Association Boards (IFAB), gab sich zwar "zu 100 Prozent zufrieden", räumte aber ein: "Es gibt noch Bedarf bei der Kommunikation."

Die vier Szenen am Sonntagabend waren die folgenden: Beim Spiel zwischen Portugal und Mexiko (2:2) zählte ein Tor des Portugiesen Nani nicht, weil Mitspieler Pepe ausweislich der Kamera bei einem Abspiel zuvor im Abseits stand. Und gegen Ende der Partie bestätigte der Video-Assistent beim zwischenzeitlichen 2:1 durch Cedric Soares, dass alles korrekt war. Beim 2:0 zwischen Chile und Kamerun annullierte der Schiedsrichter in der ersten Hälfte das Tor des Chilenen Eduardo Vargas, der nach der vom Video-Assistenten gezogenen virtuellen Linie bei Vidals Pass minimal im Abseits stand. Und in der Nachspielzeit wurde der normale Assistent an der Linie per Video-Mithilfe in seiner Auffassung überstimmt, Vargas habe bei seinem Tor im Abseits gestanden.

Jahrelang hatte der Weltverband die Einführung technischer Hilfsmittel verhindert - und so Dutzende Fehlentscheidungen in Kauf genommen. Seit 2014 ist immerhin die Torlinientechnik erlaubt, die signalisiert, ob der Ball hinter der Linie ist. Und seit 2016 gibt es nun eine Pilotphase für einen umfangreichen Videobeweis, an der sich verschiedene Verbände beteiligen. Die Niederlande, Brasilien und Italien gehören dazu, ebenso der Weltverband selbst, während Europas Fußball-Union (Uefa) sich dem System noch verweigert. Auch der deutsche Fußball beteiligt sich. Schon in der vorigen Saison gab es in der Bundesliga "Offline-Tests"; in der neuen Spielzeit soll der Videobeweis im Supercup und in allen 306 Spielen der ersten Bundesliga tatsächlich zum Einsatz kommen.

Nur 15 Sekunden bis zur Entscheidung? Dieses Ziel wurde bei weitem nicht erreicht

Inhaltlich kann der Videobeweis nur in vier Situationen angewendet werden: bei Toren, bei strittigen Elfmeterszenen, bei roten Karten - oder wenn der Schiedsrichter bei einer gelben oder roten Karte den Spieler verwechselt. Wie lange bei Treffern zurückgespult wird, um mögliche Vergehen zu bewerten, ist nicht explizit festgehalten, das ist Ermessenssache. Es ist sowohl möglich, dass der Video-Assistent via Funk über einen möglichen Fehler informiert als auch, dass der Schiedsrichter von sich aus um Unterstützung bittet, was er durch einen Griff ans Ohr signalisiert. Die Video-Assistenten sitzen entweder im Stadion (beim Confed Cup) oder an einem zentralen Ort (so wird es bei der Bundesliga sein, die alle Video-Assistenten in Köln versammelt und ihnen dort noch einen Supervisor an die Seite stellt). Der Videoassistent schaut sich mit Hilfe eines sogenannten Operators die Bilder an. Entweder ist alles gut und das Spiel läuft einfach weiter - oder es kommt eben das in die Luft gemalte Viereck. Gemäß Regularien ist auch möglich, dass der Schiedsrichter selbst in eine spezielle Zone am Spielfeldrand läuft, um sich dort die Szene noch einmal am Monitor anzuschauen. Doch das dürfte eher selten passieren.

Bei den Spielen am Sonntag haperte es vor allem an der Umsetzung. Allerdings waren die von der Fifa eingesetzten Schiedsrichter offenbar auch nicht ausführlich geschult. 56, 129, 68 bzw. 65 Sekunden dauerte es in den jeweiligen Szenen, bis die Entscheidung des Schiedsrichters fiel. Das ist weit entfernt vom ursprünglichen Ziel, innerhalb von 15 Sekunden zu einem Entscheid zu kommen. Außerdem herrschte bei Spielern und Zuschauern eine gewisse Ungewissheit: Beim ersten Mal jubelten die Chilenen schon eine Weile, ehe sie erfuhren, dass es kein Tor war. Beim zweiten Mal hatten sie sich schon mit dem Abseits-Entscheid abgefunden, ehe Skomina ihnen offenbarte, dass sie gerade das 2:0 geschossen hatten.

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