Videobeweis beim Confed Cup:Bei Abseits lahmt der Videobeweis

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Zu früh gefreut: Chiles Fußballer feiern ein Tor, das wieder aberkannt wurde (Foto: AFP)
  • Gleich vier Tore wurden am zweiten Tag des Confed Cups per Videobeweis überprüft - und das dauerte meist lange.
  • Das wird auch erst mal so bleiben. Doch eine langsame Entscheidung ist für die Akzeptanz des Video-Schiedsrichters weniger fatal als eine falsche.

Von Martin Schneider, Sotschi

Eine Choreografie hatten sich die Chilenen ausgedacht, jedenfalls so etwas in der Art. Arturo Vidal spielte den feinsten Pass seiner jüngsten Vergangenheit. Daruafhin traf Eduardo Vargas, Bundesliga-Kennern noch als Ex-Stürmer der TSG Hoffenheim in Erinnerung, zum 1:0. Er zeigte ein Herz ins Publikum und fünf Chilenen setzten sich mit ihm danach auf ihre Hintern in einen Kreis und taten so, als hielten sie in ihren Händen Videospiel-Controller - oder Karten, so gut waren die pantomimischen Fähigkeiten dann doch nicht. Alle waren schon auf dem Weg zum Anstoßpunkt, als Schiedsrichter Damir Skomina nach einer Minute und acht Sekunden anzeigte: Kein Tor nach Rücksprache mit dem Videoschiedsrichter. Abseits. Und weil er danach zur Halbzeit pfiff, gab ihm Vidal noch ein paar Sätze mit auf den Weg, die wahrscheinlich keine differenzierte Betrachtung zum Thema technische Hilfsmittel im Fußball waren.

Vier Mal hat beim Confed Cup der Video-Schiedsrichter an einem Tag über die Frage Tor oder kein Tor entschieden. Im Spiel Portugal gegen Mexiko pfiff Schiedsrichter Néstor Pitana einen Treffer von Nani zurück, weil Pepe vorher im Abseits stand, später überprüfte er mehr als zwei Minuten lang den Treffer zum 2:1 von Cedric - ohne dass klar wurde, worauf. Im Spiel der Chilenen gegen Kamerun nahm Skomina dann Sekunden vor Schluss noch eine Abseitsentscheidung seines Assistenten zurück, sodass Vargas doch noch zu seinem Treffer kam und den Konsolen-oder-Karten-Jubel nachholen konnte.

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Drei Entscheidungen waren korrekt, eine Entscheidung - die Aberkennung des Tores von Vargas - war wahrscheinlich korrekt. Als Beobachter sah man im internationalen Bild zunächst eine unbrauchbare Zeitlupe, weil die Kamera nicht auf Ballhöhe war. Erst sehr spät wurde die Fifa-Grafik mit virtuellen Linien eingeblendet. Wenn man davon ausgeht, dass das Computer-Programm die Linien korrekt im rechten Winkel zur Außenlinie gelegt hat und korrekt auf das immer noch leicht verzerrte Fernsehbild umgelegt hat - dann muss man sagen: Vargas stand Millimeter im Abseits.

An diesem Confed-Cup-Tag zeigten sich in aller Deutlichkeit zwei Schwächen des Video-Beweises. Erstens: die Zeit. Und zweitens: die Abseits-Regel. Ex-Schiedsrichter Hellmut Krug, der in Deutschland für die Umsetzung verantwortlich ist, sagte vor acht Monaten, 15 bis 20 Sekunden solle die Überprüfung dauern, den Zeitrahmen peile man an. Das klappte beim Confed Cup eindeutig nicht. Alle Entscheidungen dauerten deutlich länger. Das Tor von Cedric, bei dem man nicht weiß, was genau überprüft wurde, wurde mehr als zwei Minuten lang gecheckt. Das Tor von Vargas knapp über eine Minute.

Krug begründete damals die vergleichsweise kurze Zeit mit einer der Bedingungen für den Videoschiedsrichter: Er darf nur klare Fehlentscheidungen korrigieren. Wenn eine Überprüfung länger als 20 Sekunden dauere, so Krugs Logik damals, liege keine klare Fehlentscheidung vor und es müsse weitergehen. Was Krug offenbar nicht bedacht hat, dass der Video-Beweis so bei der Abseitsregel an seine Grenzen stößt.

Das Problem ist: Jede falsche Abseits-Entscheidung ist eine klare Fehlentscheidung - egal, wie knapp sie ist. Es gibt Fouls, die können einen Freistoß nach sich ziehen, müssen aber nicht. Es gibt eine Grauzone. Abseits ist aber wie schwanger sein - ein bisschen geht nicht. Entweder Abseits oder kein Abseits. Schon damals wies Krug auf die Probleme des Video-Schiedsrichters bei Abseits-Positionen hin. Entgegen der allgemeinen Meinung, sagte er, sei es gar nicht so einfach, Abseits am Bildschirm zu erkennen. Die Linie, die im Fernsehen eingeblendet wird, ist laut Krug oft fehlerhaft. Im Moment gebe es kein technisches System, dass eine saubere Abseits-Messtechnik biete. Die Fifa hat sich beim Confed Cup für die Systeme der Firma Hawk-Eye entschieden, immerhin ein System, das auch erkennen kann, ob ein 200-km/h-Aufschlag im Tennis im Aus ist.

Darüber hinaus ergibt sich ein anderes Problem: Schiedsrichter-Assistenten könnten durch das System dazu gedrängt werden, bei knappen Entscheidungen kein Abseits mehr anzuzeigen. Ein falsch angezeigtes Abseits und ein Pfiff des Schiedsrichters würde das Spiel unterbrechen und könnte nicht mehr nachträglich korrigiert werden. Ein unterlassener Pfiff jedoch schon durch die Aberkennung des Tores. Das Protokoll der Fifa legt zwar eindeutig fest, dass der Schiedsrichter eine Entscheidung treffen muss, unabhängig vom Video-Schiedsrichter. Aber kann man sich davon wirklich frei machen? Auf die speziellen Eigenarten der Abseits-Regel geht das Fifa-Protokoll aber mit keinem Wort ein.

Genauigkeit sei wichtiger als Geschwindigkeit

Ebenso widerspricht sich die Fifa in ihren Vorgaben. Sie sagt eindeutig, dass es keinen Zeitdruck gebe und Genauigkeit wichtiger sei als Geschwindigkeit. Das hat bei den vier Entscheidungen geklappt. Sie sagt aber auch, der Leitsatz sei: "Minimales Eingreifen, maximaler Nutzen." Bei einer Überprüfungszeit von mehr als zwei Minuten ist der Eingriff in den Fußball aber nicht mehr minimal. Trotzdem wird das erst mal so bleiben. Eine langsame Entscheidung ist für die Akzeptanz des Video-Schiedsrichters weniger fatal als eine falsche.

Javier Hernández, mexikanischer Stürmer, sagte nach dem Spiel, es sei schwer, sich daran zu gewöhnen. Chiles Trainer Juan Antonio Pizzi sagte nach dem 2:0-Sieg gegen Kamerun: "Ich denke, dieses System braucht Zeit. Die Fifa wird es genau evaluieren müssen." Am Ende werde diese Technologie aber wahrscheinlich mehr Gerechtigkeit in das Spiel bringen.

Noch befindet sich der Videobeweis in der Testphase. Ob er in einem Jahr auch bei der Weltmeisterschaft in Russland eingesetzt wird, ist noch nicht entschieden - allerdings laufen auch in den großen europäischen Ligen die Testläufe. In Deutschland wird in Köln eine aufwendige Zentrale eingerichtet, Fifa-Präsident Gianni Infantino gilt als großer Unterstützer der Technik. Es müsste also realistisch betrachtet schon viel passieren, damit der Videobeweis doch wieder in der Mottenkiste des Fußballs verschwindet. Man sollte sich also besser daran gewöhnen, dass in Zukunft im Sinne der Gerechtigkeit noch mehr Tore umsonst bejubelt werden.

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