Videobeweis bei der WM:War nix? War doch was!

Videobeweis bei der WM: Schiedsrichter Andres Cunha greift im Spiel Frankreich gegen Australien auf den Videobeweis zurück.

Schiedsrichter Andres Cunha greift im Spiel Frankreich gegen Australien auf den Videobeweis zurück.

(Foto: AP)
  • Der Videobeweis erlebt seine Premiere bei einer WM: Während er Frankreich hilft, hadert Australiens Nationalcoach Bert van Marwijk.
  • Bei der Fifa sind sie zufrieden mit der Anwendung der neuen Hilfstechnik.
  • Allerdings läuft in manchen Spielen nicht alles so, wie es laufen soll.

Von Benedikt Warmbrunn, Kasan

Bert van Marwijk zog immer wieder eine Augenbraue nach oben, er zerknitterte seine Stirn, entknitterte sie wieder, seine Hände drückten einander fest, mit beiden Händen trommelte er auf den Tisch vor sich. Müsste er, der selbsternannte Körpersprachendeuter, sich selbst analysieren, würde ihm ein einziger Blick genügen, um festhalten zu können: Er, Bert van Marwijk, 66 Jahre alt, der alles erlebt und überlebt hat im Weltfußball, sogar viereinhalb Monate beim Hamburger SV, war aufgebracht. Der Weltfußball hatte ihn mit einer Neuigkeit konfrontiert, auf die der Trainer der australischen Nationalmannschaft nicht vorbereitet war: Bert van Marwijk hatte den Videobeweis kennengelernt.

In der Bundesliga haben sich Spieler, Trainer und Zuschauer nach einem teilweise qualvollen Jahr an dieses technische Hilfsmittel gewöhnt, van Marwijk aber hat in diesem vergangenen Jahr erst Saudi-Arabien und nun eben Australien betreut, der Videobeweis ärgerte ihn dabei nicht, er erfreute ihn auch nicht, er war ihm ganz egal. Am Samstag, beim 1:2 seiner Mannschaft gegen Frankreich, musste sich jedoch auch van Marwijk mit dem Videobeweis vertraut machen, und mit ihm zusammen der gesamte Weltfußball.

Es lief die 54. Minute, Antoine Griezmann kam im Strafraum an den Ball, er wurde attackiert von Australiens Rechtsverteidiger Joshua Risdon, Griezmann fiel, der Ball rollte zu Australiens Torwart Mathew Ryan. Die Franzosen protestierten, aber Schiedsrichter Andrés Cunha signalisierte mit einer wedelnden Handbewegung: War nix! Und so lief das Spiel weiter, der Ball war längst nicht mehr am australischen Tor, als der Uruguayer Cunha zwei Minuten später aus dem Kontrollzentrum vom Argentinier Mauro Vigliano mitgeteilt bekam, er möge sich die Szene doch bitte noch einmal auf dem Monitor neben dem Spielfeld anschauen. Cunha lief zur Seitenlinie, er blickte auf den Bildschirm. Dann gab er bekannt: War doch was! Cunha deutete auf den Elfmeterpunkt.

"Von zehn Leuten sagen sieben, es war ein Elfmeter"

Als van Marwijk eine knappe Stunde nach diesem historischen ersten WM-Eingreifen des Videobeweises im Pressekonferenzsaal der Kasaner Arena saß, war er immer noch aufgewühlt von dieser technologischen Neuerung in diesem Spiel, das er seit fast einem halben Jahrhundert hauptberuflich verfolgt. Ob dies eine für das 21. Jahrhundert typische Niederlage sei, da ja auch noch beim 2:1 der Franzosen die Torlinientechnologie geholfen habe? "Wir müssen noch einiges über diese Systeme lernen", sagte van Marwijk. Er sprach dabei vor allem über: Bert van Marwijk.

Der Trainer gab zu, selbst noch keine Wiederholung der Szene gesehen zu haben. Er deutete zugleich an, dass es wohl doch eher eine richtige Entscheidung gewesen sei. "Von zehn Leuten sagen sieben, es war ein Elfmeter - drei werden sagen, es war kein Elfmeter." Die letzten drei Befragten dürften jedoch allesamt Bert van Marwijk gewesen sein. Sein Leben lang hat der Niederländer sich über Schiedsrichter aufregen dürfen, und dieses Privileg wollte er sich auch am Samstag nicht nehmen lassen. Bringe der Videobeweis also Gerechtigkeit? "Als ich ihn da stehen gesehen habe, hat mir seine Körpersprache gezeigt, dass er unsicher war. Ich habe gehofft, dass es vielleicht mal einen ehrlichen Referee gibt, in dem Moment, in dem er zum Bildschirm geht. Auf einmal sind 50 000 Menschen in seinem Rücken - und er muss eine Entscheidung treffen." Van Marwijks Körpersprache bei dieser Analyse: tieftraurige Augen, dass er diesen ehrlichen Schiedsrichter leider immer noch nicht kennenlernen durfte: "Er ist auch ein Mensch, jeder macht Fehler."

Es läuft nicht alles, wie es laufen soll

Anders als van Marwijk waren sie bei der Fifa zufrieden mit den Einsätzen des Videobeweises, wie ein Sprecher zur Deutschen Presseagentur (dpa) sagte: "Es ist so gelaufen, wie es laufen soll. Wir hoffen, dass es auf diesem Wege weitergeht." Auch in der Partie zwischen Dänemark und Peru hatte Schiedsrichter Papa Bakary Gassama einen Hinweis aus dem Kontrollzentrum erhalten, vom Deutschen Felix Zwayer; auch in diesem Fall gab der Referee nachträglich einen Elfmeter. Eine "korrekte Entscheidung", lobte Dänemarks Trainer Age Hareide, "es war gut". Er sagte es allerdings auch etwas leichter als van Marwijk, da Perus Christian Cueva den Elfmeter verschoss. Dennoch, fand Hareide: "Der Videobeweis macht das Leben für den Schiedsrichter leichter."

Es ist allerdings doch nicht alles so gelaufen, wie es laufen soll. So hätte Argentinien gegen Island ein weiterer Elfmeter zugesprochen werden können. Und Spaniens Diego Costa nutzte am Freitagabend vor seinem ersten Tor beim 3:3 gegen Portugal im Zweikampf mit Pepe den Ellenbogen, der Schiedsrichter bat das Kontrollzentrum um einen Blick auf die Bilder - doch dort wollten sie kein Vergehen erkennen.

Vor Australiens zwischenzeitlichem 1:1 legte Schiedsrichter Cunha auch den Finger an sein Headset, um sich mit dem Kontrollraum abzustimmen, ob Samuel Umtiti den Ball mit der Hand berührt hatte. Hatte er. Es blieb beim Elfmeter. Cunhas Körpersprache signalisierte auch in diesem Urteil leichte Unsicherheit, die er als ehrlicher Referee nicht versteckte. Aber mit solchen Hinweisen konnte der Körpersprachenexperte van Marwijk am Samstag wenig anfangen.

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