Videobeweis:Alles richtig gemacht, Herr Schiedsrichter!

VfB Stuttgart v 1. FC Koeln - Bundesliga

Stand im Spiel zwischen VfB und Köln im Mittelpunkt: Schiedsrichter Benjamin Cortus.

(Foto: Matthias Hangst/Bongarts/Getty)

Drei Minuten und 43 Sekunden nimmt sich der Referee bei Stuttgart gegen Köln Zeit, um ein spielentscheidendes Urteil zu fällen. Für den Fußball ist das ein großes Glück.

Kommentar von Thomas Hummel

Für die Fußball-Stammtische im Land gibt es eine beruhigende Nachricht: Der Videobeweis hat die Debatten um Schiedsrichter-Entscheidungen nicht abgeschafft. Im Gegenteil: Fußball-Deutschland streitet fast noch mehr als früher. Die immer zahlreicher werdenden Kicker-Talkshows haben auch für dieses Wochenende schon ein Thema gefunden.

Schiedsrichter Benjamin Cortus hat sich erdreistet, drei Minuten und 43 Sekunden zu benötigen, um eine Entscheidung zu fällen. Nicht irgendeine Entscheidung. Sondern eine, die auf das Ergebnis im Spiel zwischen dem VfB Stuttgart und dem 1. FC Köln am Freitagabend gravierenden Einfluss nahm.

In der 89. Minute kam es beim Stand von 1:1 zu einem Kontakt zwischen dem Stuttgarter Dennis Aogo und dem Kölner Sehrou Guirassy, Cortus pfiff und zeigte auf den Elfmeterpunkt. Doch schnell war zu erkennen, dass sich Cortus nicht sicher war, also zog er den Kollegen am Fernseher zurate, den Videoschiedsrichter Harm Osmers und dessen Mitarbeiter in Köln. Trotz Wiederholungen und Zeitlupen schwankten auch diese, also lief Cortus selbst zu einem Bildschirm am Spielfeldrand. Um am Ende des Prozesses sein Urteil zu revidieren und den Stuttgartern per Schiedsrichterball die Kugel zu geben.

Zu allem Überfluss fiel praktisch im Gegenzug das 2:1 für die Gastgeber. Sekunden später war das Spiel aus. Die Kölner, ohnehin Tabellenletzter, verstanden die Fußball-Welt nicht mehr. Manager Jörg Schmadtke regte sich furchtbar auf, da er aber weder ausfällig noch beleidigend wurde, war das in Ordnung. Letztlich muss aber auch den Kölnern klar sein: Der Schiedsrichter hat völlig korrekt und im Sinne eines gerechten Spiels gehandelt und entschieden. Ihm gebührt Respekt.

Cortus' Zögern ist keine Führungsschwäche

Dass die Szene knifflig war, dafür konnte er nichts. Das Problem war hier nicht der Regelhüter, sondern es waren die Regeln selbst, wie so oft im Fußball. Es ereignen sich immer wieder Szenen, die gar nicht objektiv zu bewerten sind. Der Vorfall in Stuttgart kurz vor Schluss war eine typische Drittel-Entscheidung: Es gibt Argumente für ein Foul von Aogo an Guirassy, es gibt welche für ein Foul von Guirassy an Aogo. Und es gibt Gründe dafür, einfach weiterspielen zu lassen.

Der 35-jährige Benjamin Cortus schaffte in diesem kritischen Momenten vor fast 60000 Zuschauern etwas, was im Berufsleben nur wenigen gelingt: Er hinterfragte seine eigene Entscheidung, er ließ den Zweifel zu. Das wird oft als Führungsschwäche ausgelegt, ist aber in gewissen Augenblicken das genaue Gegenteil. In diesem Fall: Cortus erkannte die Tragweite seines Pfiffs und die Schwierigkeit herauszufinden, was zu tun sei. Dafür pfiffen ihn die Zuschauer aus und beschimpften ihn, Spieler redeten wild auf ihn ein und gestikulierten. Schwere Kritik von Vereinsvertreter und Experten war absehbar.

Cortus hat Stärke bewiesen. Die Sportwelt ist unterwandert von Korruption und Einflussnahme, auch das Problem Spielmanipulation ist im Fußball keineswegs gelöst. Gerade in der Bundesliga wird das bisweilen vergessen. Ein Schiedsrichter, der sich alle möglichen Hilfen holt, bevor er beim Stand von 1:1 in der letzten Minute einen Elfmeter pfeift, ist da ein großes Glück. Das nennt man Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen. Die drei Minuten und 43 Sekunden sind dafür mehr als angemessen.

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