VfL Wolfsburg:Weinen erlaubt

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Anfang vom Ende des Glücks: Alexandra Popp (rechts) wird kurz nach Wolfsburgs 1:0 des Feldes verwiesen. Danach ging’s abwärts mit dem VfL. (Foto: David Ramos/Getty Images)

Wolfsburgs Fußballerinnen sehen sich auf Augenhöhe mit Champions-League-Sieger Lyon. Das ist ein Trost nach dem verlorenen Finale von Kiew.

Von Javier Cáceres, Kiew

Manchmal sind im Frauenfußball doch ein paar Dinge anders. Zum Beispiel: in der Stunde der Niederlage. Dass die Frauen des VfL Wolfsburg nachgerade körperlichen Schmerz verspürten, weil sie im Valeri-Lobanowski-Stadion zu Kiew lediglich Silber- und nicht die ersehnten Goldmedaillen entgegennehmen durften, das war unverkennbar. Und doch schafften sie es, der Etikette Genüge zu tun.

Sie stellten sich in zwei Reihen auf, bildeten ein Spalier und geleiteten die Siegerinnen des Champions-League-Finals, die Spielerinnen von Olympique Lyon, zu der Bühne, auf der sie zum dritten Mal in Serie den europäischen Königsklassenpokal in die Luft stemmen durften, unter einem Regen aus Konfetti und zu den Klängen des unvermeidlichen "We Are The Champions" von Queen. Niemand war auszumachen, der sich die Medaille vom Hals gerissen hätte, nach dieser brutalen 1:4-Finalniederlage gegen Olympique Lyon.

Brutalität? Oh ja. Wolfsburg war in der dritten Minute der Verlängerung in Führung gegangen, Pernille Harder hatte einen Konter mit einem Linksschuss aus mehr als 20 Metern abgeschlossen. Gleich mehrere Spielerinnen des VfL sanken auf die Knie und verbargen ihr Gesicht hinter ihren Händen, weil sie das Glück des zweiten Triple-Siegs nach 2013 (Wolfsburg hat die deutsche Meisterschaft und den Pokal bereits gewonnen) so nah wähnten.

Dann aber leistete sich Alexandra Popp ein Foul in der Lyoner Hälfte, sah zu recht Gelb und damit Gelb-Rot (94.). Und führte damit herbei, was wie der Versuch der Französinnen anmutete, den Wolfsburgerinnen die Kehle zuzudrücken, als sie den Torschrei noch im Rachen hatten: Amandine Henry (98.) und Eugénie Le Sommer (99.) versetzten den Wolfsburgerinnen Schläge, von denen sie sich nicht erholten; Ada Hegerberg (102.) und Camille Abily (116.) gaben dem VfL den Rest. Das 1:4 spiegelte zwar nicht wider, was auf dem Rasen geschehen war. Doch was machte das schon? Das Finale war verloren, und die Debatten kreisten um Alexandra Popp.

"Das hat das ganze Spiel verändert", haderte Torhüterin Almuth Schult. An der Berechtigung der Verwarnung war nicht zu deuteln, "ich hätte sie wahrscheinlich auch gegeben", sagte Schult. Popp hatte in der gegnerischen Hälfte eine Lyonerin mit einer Grätsche abgeräumt. Womöglich sei Popp übermotiviert gewesen, schon das Foul, das zur ersten Verwarnung führte, sei "ein bisschen dumm" gewesen, urteilte Schult. "Ich will sie gar nicht anklagen", beteuerte sie, solche Dinge passierten halt. Popp selbst wusste, was sie getan hatte, ihre Stimme stand immer wieder kurz davor, zu brechen, als sie zu den Journalisten sprach. "Ich muss mich beim Team entschuldigen", sagte sie.

Ihr Platzverweis wog auch deshalb so schwer, weil der VfL zur Halbzeit bereits Sara Gunnarsdottir auswechseln musste; nach dem Platzverweis für Popp stand der VfL damit ohne Abräumerin im Mittelfeld da. Das war vor allem nach dem strapaziösen Pokalfinale vom vorangegangenen Wochenende gegen den FC Bayern, als Wolfsburg erst im Elfmeterschießen gewann, zu viel. Die eingewechselte Shanice van den Sanden nahm die Wolfsburgerinnen auf der rechten Flanke mit ihrer brutalen Schnelligkeit schier auseinander. Sie war an allen vier Treffern beteiligt. "Heute dürfen wir weinen", sagte Schult, an der es am allerwenigsten gelegen hatte, dass Lyon gewann.

Allerdings war Teil der Wahrheit auch, dass Olympique überlegen gewesen war - und schon in der regulären Spielzeit in Führung hätte gehen müssen. In der 69. Minute klärte VfL-Defensivkraft Noelle Maritz einen Kopfball der Lyonerinnen erst hinter der Linie, die Schiedsrichterin übersah es. Die Szene wurde kurz vor Ende der 90 Minuten auf der Videoleinwand des Stadions gezeigt; bei den Männerspielen wird so etwas unterlassen, um Krawalle zu vermeiden. Weit befremdlicher war das Frauenbild, dass die Organisatoren aus Anlass des Finales förderten: In der Halbzeit spielte Miss Ukraine 2017 im patriotisch-gelb-blauen Kleidchen Losfee, um zehn Tickets fürs Männerfinale unter die mehr als 14000 Zuschauer zu bringen.

Davon bekamen die Spielerinnen freilich nichts mit, sie waren in der Kabine. Als alles vorbei war, konnten sie sich nur damit trösten, dass sie gegen Lyon, das seit Jahren den Standard im europäischen Frauenfußball setzt, "komplett auf Augenhöhe" gewesen waren, zumindest "im Vergleich zu den letzten Duellen", wie Schult präzisierte. Derlei kann man nicht im Wort-, sondern nur im übertragenen Sinne ergreifen. Deshalb sehnen sie den 3. Juni herbei, an dem sie die Meisterschale bekommen. "Dann hat man etwas in den Händen, um zu realisieren, dass die Saison doch ganz gut war", sagte Schult.

© SZ vom 26.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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