VfL Wolfsburg: Stürmer Grafite:Sie nannten ihn Bleistift

Der Wolfsburger Grafite wechselt wohl nach Dubai und bestätigt einen Trend: Viele Torjäger halten es nicht lange in der Bundesliga aus, die Liga vertreibt ihre einst besten Schützen gar - ob nun Grafite, Miroslav Klose oder Theofanis Gekas.

Boris Herrmann

Als Edinaldo Batista Libanio aus São Paulo noch hauptberuflich Mülltüten verkaufte, nannten sie ihn Dina. Auch ein schöner Künstlername. Das schlanke "i", das die erste Silbe beschließt, suggeriert jene bedingungslose Geradlinigkeit, die ihn in seiner Nebentätigkeit als Stürmer schon damals auszeichnete.

VfL Wolfsburg - VfB Stuttgart

Bald in Dubai? Wolfsburgs Grafite.

(Foto: dpa)

Das lange nachklingende "a" wiederum verweist ganz am Ende auf den Anfang: Gläubigen Menschen zufolge trägt dieser Buchstabe etwas Göttliches in sich. Batista Libanio ist gewiss ein gläubiger Mensch. Vor dem Anpfiff pflegt er Psalm 91 zu beten, in dem es - frei ins Weltliche übersetzt - um den Schutz wertvoller Fußballerbeine geht: "Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest." Und jetzt soll noch einer sagen, dass Dina kein passender Name für Edinaldo Batista Libanio war.

Sein erster Profi-Trainer beim brasilianischen Klub Santa Cruz in Recife hat dann allerdings einen noch passenderen Namen gefunden. Und als der 1,89 Meter lange Dina im Jahre 2007 zum VfLWolfsburg kam, war er in Anlehnung an seinen Körperbau längst als die "Bleistiftmine" bekannt - auf Portugiesisch schreibt sich dieses Wort so: Grafite.

Die Schreibweise ist unumstritten. Die korrekte Aussprache gehört indes bis heute zu den spannendsten Rätseln der Bundesligageschichte. Die Puristen, die es angeblich schon immer gewusst haben, sagen unverdrossen "Grafid", obwohl die Fraktion der Kosmopoliten eines Tages mit "Grafitte" um die Ecke kam.

Die Traditionalisten halten sich lieber an die ursprüngliche Lautlehre der Sportschau, wonach dieser Mann nur "Grafidsch" heißen kann. Von den Anhängern der "Grafiteh"-Theorie war schon lange nichts mehr zu hören, während die Experimentalisten, zu denen auch ein gewisser Felix Magath gehört, zuletzt neuen Auftrieb fanden. Als Magath im Frühjahr nach Wolfsburg zurückkehrte, war plötzlich auch wieder von "Grafidschi" die Rede.

Das weckte Erinnerungen an 2009, als dieser Ego-Shooter seinen VfL mit 28 Toren in 25 Einsätzen zur Meisterschaft schoss. Grafidschi, der Zweite, hat dann allerdings nie wieder an den Ersten herangereicht. So viel Euphorie das Original versprühte, so viel Melancholie steckte in der Kopie. Seine Mitspieler nennen ihn inzwischen ganz schnöde "Graffa" - vielleicht sollte man sagen: seine ehemaligen Mitspieler.

Höchstwahrscheinlich wird der VfLWolfsburg in den kommenden Tagen verkünden, dass der Mann mit den sieben Namen zu Al-Ahli nach Dubai wechselt, um dort fürstlich vergütet seine Karriere austrudeln zu lassen. Ausgerechnet Magath, der Grafite 2007 für gut sieben Millionen Euro aus Le Mans geholt hatte, der an der Seite von Edin Dzeko zur gefährlichsten Sturmpaar-Hälfte der Liga machte, der ihm ein Vater war, ausgerechnet dieser Magath schickt ihn nun in die Wüste.

Gekas, Mintal, Dzeko

Der Trainermanager hatte schon vor einiger Zeit beschlossen, den im Juni 2012 auslaufenden Vertrag mit seinem ehemaligen Lieblingsschüler nicht mehr zu verlängern. Al-Ahli will dem Vernehmen nach nun immerhin noch drei Millionen für den 32-Jährigen überweisen. Und da Dzeko bereits im Winter (mit deutlich besserer Rendite) an Manchester City veräußert worden war, kann man nun endgültig und abschließend das Ende der Wolfsburger Meistermannschaft verkünden.

Darüber hinaus bestätigt sich mit dem Grafite-Transfer einer der großen Trends dieser Sommerpause: die Bundesliga verschleißt ihre Torschützenkönige. Ehe man sich so recht versah, sind alle Vorgänger von Mario Gomez aus der deutschen Eliteliga verschwunden. Der Frankfurter Theofanis Gekas, der die Torjägerkanone 2007 gewann, kickt nach Lage der Dinge künftig gegen den Neu-Rostocker Marek Mintal (2005) in der zweiten Liga. Miroslav Klose (2006) trifft demnächst in Italien häufiger mit dem schon etwas länger abstinenten Luca Toni (2008) zusammen.

Und wenn man dann noch Edin Dzeko (2010) dazu rechnet, dann sind der Bundesliga in kürzester Zeit sechs Männer abhanden gekommen, die sie in den vergangenen Jahren um 371 Tore bereichert haben. Gomez (2011) kann sich durchaus glücklich schätzen, dass er beim FC Bayern noch ein bisschen weitermachen darf.

Bayern ist im Übrigen ein gutes Stichwort, wenn es um die Frage geht, was von Grafite - neben einem hübschen Namensrätsel - zurückbleibt. Kritiker argumentieren, dass er nur einen Sommer lang getanzt habe. Wer sich allerdings der Tanzeinlage erinnert, mit der er im April 2009 die gesamte Münchner Problemkinder-Abteilung (Ottl, Lell, Breno, Rensing) düpierte, um dann per Hacke zum 5:1 zu vollenden, der muss einsehen, dass Wolfsburg von seinem graumäusigen Ruf noch nie und nie wieder so weit entfernt war wie in diesem Moment.

Das ist es, was von Grafidschi bleibt.Manch einer hat ihn damals eingedenk seiner Torquote mit Gerd Müller verglichen. Dazu darf man aber zum Abschied noch einmal in aller Deutlichkeit festhalten: Solche Tore hatte selbst Gerd Müller selten im Repertoire.

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