VfL Wolfsburg:Strohhalme gesucht

v l Yannick Gerhardt VfL Wolfsburg Paul Seguin VfL Wolfsburg und Julian Draxler VfL Wolfsburg

Vielleicht hilft es dem VfL Wolfsburg, wenn bald Wölfi, das Maskottchen, mitkickt.

(Foto: Hübner/imago)

Die Mannschaft rutscht in der Tabelle immer tiefer, Stürmer Gomez trifft nicht, und die Fans rütteln am Stadiontor - dem VfL Wolfsburg fällt es schwer, sich auf den Kampf gegen den Abstieg umzustellen.

Von JAVIER CÁCERES, Wolfsburg

Es gibt im Moment so einige Millionäre, auf die man in Wolfsburg sauer sein könnte. Am Samstag zum Beispiel prangten auf den Titelseiten der örtlichen Presse die jüngsten Neuigkeiten aus dem Volkswagen-Konzern. Fünfstellig werde der Arbeitsplatzabbau bei VW nun werden, vor allem wegen der Abgas-Affäre, die die von VW abhängige Stadt in eine schwere Krise gestürzt hat - und die von fürstlich entlohnten Managern verursacht wurde. Es könnte deshalb sein, dass sich mancher in der Vorstandsetage jetzt über die oft umstrittene Förderung des Profifußballs freuen dürfte: Nie war dieser als Ventil für Zorn und Unmut so wertvoll wie heute. Denn nicht vor dem Werkstor, an dem das Vorstandsgebäude steht, rotten sich die Wolfsburger derzeit zusammen, um ihren Frust abzulassen, sondern vor dem Stadiontor der Tochtergesellschaft VfL Wolfsburg. Dort rufen sie: "Scheiß-Millionäre!"

Zu begutachten war dies nach dem Duell des VfL mit der fußballerischen Vertretung eines anderen Schwergewichts des deutschen Großkapitals, Bayer 04 Leverkusen. "Scheiß-Millionäre" riefen die Fans, als sich die VfL-Profis nach der 1:2-Niederlage zögerlich der Kurve näherten; "Scheiß-Millionäre" riefen sie, als sie sich vorm Stadiontor einfanden, um die Abreise der Fußballprofis zu sabotieren. Erst Diego Benaglio, der Torwart und Kapitän, beruhigte in einer zehnminütigen Debatte mit den Fans die Lage. Nur auf den Schweizer traf in den Augen der Hardcore-Fans zu, was Manager Klaus Allofs pauschal für alle Profis in Anspruch nahm: "Unsere Spieler sind keine Scheiß-Millionäre. Sie machen viele Dinge falsch, aber ich lasse es nicht zu, dass sie so betitelt werden."

Gleichwohl, an grundsätzlicher Kritik sparte Allofs nicht: "Wir funktionieren als Mannschaft nicht", gestand er, auch Selbstkritik ließ er erkennen. Der im Sommer angegangene Umbau des Kaders sei misslungen. Die Ziele der VW-Filiale, demnächst wieder im Europapokal mitzuspielen, sind längst einkassiert. Man sei mitten im Kampf gegen den Abstieg, bekannte Allofs: Der VfL steht mit sechs Punkten auf dem drittletzten Tabellenplatz.

Was das bedeutet? Zur Zeit vor allem Ratlosigkeit. Maximilian Arnold, der die 1:0-Führung erzielte (37.), die in der Folge von den Leverkusenern gedreht wurde, zuckte bei jeder "Was-nun?"-Frage heftiger mit den Schultern. Vielleicht hatte er sich auch nur ein Banner der VfL-Fans zu Herzen genommen: "Schluss jetzt mit Durchhalteparolen - Kämpfen jetzt!" Wie das aussehen könnte, dafür hat Arnold eine womöglich rettende Idee: "Wir müssen irgendwelche Strohhalme finden, an denen wir uns entlanghangeln müssen."

Mit dem Halm allein wäre es nicht getan. Denn das Problem, das zum achten Spiel ohne Sieg in Serie führte (Wolfsburg gelang nur zum Auftakt ein 2:0 in Augsburg), war nicht ein Mangel an Einsatz, sondern ein Mangel an Fußball. Angreifer Mario Gomez war nahe an der Wahrheit, als er die VfL-Leistung zwar "hervorragend" nannte, sogleich aber relativierte, dies gelte nur in Kenntnis der akuten Notlage.

Leverkusen spielte durchdachter, systematischer, moderner, aber lange auch viel zu adrett. Erst spät stellten Admir Mehmedi (79.) und Tin Jedvaj (83.) das verdiente 2:1 sicher. Es war die dritte Heimniederlage für den VfL - mehr, als in der gesamten Saison 2015/16 zu verdauen war. Und diese galt angesichts der Erwartungen schon als sportlich katastrophal.

Interimstrainer Ismaël wird in Freiburg wohl noch auf der Bank sitzen. Aber dann?

Es geht also noch schlimmer. Die Perspektive gehe nur noch "bis Platz 12 - dort stehen die Mannschaften, mit denen wir es diese Saison aufnehmen müssen", so Gomez. Eine schnelle Wende in der Rhetorik ist das, noch zu Arbeitsantritt im Sommer hatte der Nationalstürmer verkündet, nur dann länger als eine Saison bleiben zu wollen, wenn dem VfL die Europacup-Qualifikation gelinge. Das liegt fern jeder Vorstellungskraft, sodass man fast schon Gomez-Abschiedsbotschaften formulieren kann.

Die SOS-Situation dürfte die Suche nach einem neuen Chefcoach forcieren. Zwei Wochen nach der Entlassung von Dieter Hecking behauptet Interimstrainer Valérien Ismaël zwar, dass er auch am Samstag in Freiburg auf der Bank sitzen werde: "Es gibt eine klare Absprache mit Klaus Allofs." Doch der Manager beschränkt sich auf die Erklärung, dass Ismaël "eine gute Lösung" sei. Er sagt aber auch, dass weiterhin die Fahndung laufe: "Sollten es erfolgsversprechende Alternativen sein, wäre es fahrlässig, sie nicht in Betracht zu ziehen." Die Dringlichkeit wächst: "Der Druck wird mit jedem nicht gewonnenen Spiel größer", weiß Allofs.

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