VfL Wolfsburg nach Malanda-Tod:Jenseits der Tränen

Werder Bremen v VfL Wolfsburg - Bundesliga

Vor dem schwersten Rückrundenstart, den man sich vorstellen kann: Wolfsburgs Coach Dieter Hecking.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Dieter Hecking steht vor einer schweren Aufgabe: Er muss eine Elf, die gerade einen Mitspieler verloren hat, in die Rückrunde führen. Der Wolfsburger Coach profitiert dabei von seiner Biografie.

Von Sebastian Fischer, Wolfsburg

Was bleiben wird, sind Bilder. Ein weißer Geländewagen am Rande der Autobahn, verschlammt und zertrümmert. Ein Meer roter Kerzen vor dem Wolfsburger Fußballstadion, tausend Fans, ihr Plakat: Ruhe in Frieden Junior. Grüne Trikots inmitten schwarzer Mäntel bei der Trauerfeier in Brüssel.

Was noch bleiben wird von diesen Tagen im Januar, in denen sie beim VfL Wolfsburg um Junior Malanda trauern, ist ein Moment, von dem es keine Bilder gibt. Die Fotografen hielten ihre Auslöser still, niemand sagte ein Wort, nur ein paar Kugelschreiber raschelten an jenem 11. Januar 2015, dem Tag nach Junior Malandas Unfall: als Dieter Hecking sprechen sollte. "Es fällt mir nicht leicht", sagte der Wolfsburger Trainer und schluckte.

Zwei Wochen später sitzt Hecking zwischen zwei Trainingseinheiten in der neuen VfL-Geschäftsstelle im Allerpark und erklärt, dass er versuchte, die Tränen zurückzuhalten, "doch es ging nicht". Und dann war es gut so. Denn es war ehrlich.

Dieter Hecking ist seit 15 Jahren Fußballtrainer, mittlerweile in seiner neunten Bundesligasaison. Er ist abgestiegen und aufgestiegen, er ist gefeiert, gelobt und kritisiert worden. Doch nun ist er für eine Gruppe junger Menschen verantwortlich, die um einen Freund trauert und für eine herausragend talentierte Fußballmannschaft zugleich, die beim Start der Rückrunde am kommenden Freitag gegen den FC Bayern weiterhin herausragenden Fußball spielen will, so wie in der Hinrunde, die auf Platz zwei endete. Dieter Hecking mag die Verantwortung, das gebe der Job vor, und diesen Job hat er sich ausgesucht, weil er den Fußball liebt. Doch diese Rückrunde erfolgreich zu bestreiten, die "Situation zu meistern", wie er sagt: Ist das vielleicht seine bislang schwierigste Aufgabe?

Er hat die Arme verschränkt, die Stirn in Falten gelegt, überlegt lange, als wollte er verneinen. Er sagt: "Ja. Aber ich habe Vertrauen in meine Mannschaft." Superlative mag er nicht, sie passen nicht zu Dieter Hecking, 50, aus Bad Nenndorf. Genau deshalb, so scheint es, entsteht beim VfL gerade etwas Großes. Er ist in Soest aufgewachsen, dorthin zog seine Familie aus Castrop-Rauxel, als er drei war. Er schwänzte auf der Grundschule einmal den Unterricht, seine Lehrerin rief zu Hause an.

Er erinnert sich daran, weil es für seine Eltern stets das Wichtigste war, dass er die Wahrheit sagte. "Ich bin geprägt durch die Erziehung meiner Eltern", sagt er. Im Wolfsburger Trainingslager in Südafrika hat Hecking viel mit dem Psychologen Andreas Marlovits gesprochen, der die Wolfsburger betreut und vor fünf Jahren schon mit Hannover 96 zusammenarbeitete, nach dem Freitod des Nationaltorwarts Robert Enke. Sie diskutierten darüber, wie es in dieser schwierigen Situation nun weitergehen soll.

Superlative ärgern Hecking

Wie geht es weiter? "Er ist noch ehrgeiziger als sonst, kritisiert uns mehr", sagt Mittelfeldspieler Maximilian Arnold. Hecking sagt:"Erfolg bleibt jetzt trotzdem wichtig." Das nächste halbe Jahr kann für ihn das erfolgreichste seiner Karriere werden. Er ist mit dem VfB Lübeck einst in die zweite Liga aufgestiegen, mit Alemannia Aachen in die erste, er hat beim 1.FC Nürnberg eine unter den dortigen Umständen ziemlich erstaunliche Mannschaft geformt. Aber jetzt kann er die Champions League erreichen. Dort tragen die Trainer Anzug und Krawatte, Hecking mag eigentlich lieber Jeans und Pulli. Doch natürlich will er sich mit den Besten messen, dafür zieht er sich auch gerne um.

Und trotzdem sind es Jeans und Pulli, die den Menschen Dieter Hecking, den Vater von fünf Kindern, der zu Beginn seiner Karriere als Bundesligaspieler und Zweitliga-Torjäger drei Jahre lang als Polizist arbeitete, treffender charakterisieren. Er mag es nicht, wenn ihn die Menschen zu etwas Besonderem machen, weil er ein guter Fußballtrainer ist, weil er erkennt, wenn der Gegner sein System umstellt und er darauf reagieren kann. "Ich muss nicht jeden Sieg glänzend dargestellt haben. Wenn ich das Gefühl habe, eine gute Arbeit geleistet zu haben, dann ist das viel wichtiger", sagt er. Es ärgert ihn, wenn bei normalen Dingen schnell zu Superlativen gegriffen wird, wenn nach Toren von Jahrhunderttoren die Rede ist. Er kritisiert die Fallhöhe, die damit für Fußballer entsteht, für junge Menschen, die das kaum realisieren würden, sondern nur funktionieren müssten; die immer schwieriger mit den Worten ihrer Trainer zu erreichen sind.

Ein Spielerberater hat belgischen Zeitungen vor ein paar Tagen gesagt, der VfL sei nicht streng genug gewesen mit dem belgischen Junioren-Nationalspieler Malanda, habe ihm ein zu schnelles Auto anvertraut; es war ein schwerer Vorwurf. Denn dessen Wagen, in dem er auf der Rückbank sitzend verunglückte, sei wiederholt mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt worden. Jeder Stein würde umgedreht, um irgendwas zu suchen, was eine Diskussion befeuern könnte, die gar nicht geführt werden sollte, sagt Hecking. Dass Malanda tatsächlich in Frieden ruhe, wie es ja immer heiße, das sei so nicht möglich.

Draußen rattern die Bagger. Das Trainingszentrum im Schatten des Stadions ist zwar seit November fertig, es riecht frisch gestrichen. Doch das neue Vereinsmuseum ist noch eine Baustelle. Es passt in die Zeit: Ein bedeutender Teil Vereinsgeschichte wird in diesen Tagen ja erst geschrieben. Es wäre nicht einfach nur ein sportlicher Erfolg, würde der VfL in der anstehenden Rückrunde an die Hinrunde anknüpfen. "Wir sind enger zusammengerückt", sagt Arnold. Und Hecking meint: "Wenn wir unsere sportlichen Ziele erreichen sollten, kann jeder etwas davon mitnehmen." Nicht einfach nur für den Karriereverlauf, nein: "für sein Leben".

Sportlich sind die Aussichten gut. Er habe noch nie solche Offensiv-Virtuosen trainiert, De Bruyne, Perisic, Olic, sagt Hecking. Mittelfeldspieler Aaron Hunt saß in der Hinrunde oft auf der Bank, kritisierte Hecking, wollte wechseln, so hieß es, durfte nicht. Hunt würde gut trainieren, lobt Hecking nun. Psychisch wird die Rückrunde natürlich eine hohe Belastung, darauf sind sie beim VfL vorbereitet: Sie haben einen Ort eingerichtet, in dem die Spieler an Malanda denken können, wenn sie möchten. Doch sie sollen nicht mehr ständig daran erinnert werden.

Später beim Training wird gefeixt und gelacht. "Wir haben wieder Spaß am Fußball", sagt Arnold, und dafür soll er sich nicht schämen. Er habe auch schon wieder gelacht, sagt Hecking. Das fordere er ja auch von seinen Spielern. Doch auf dem Platz hat er seine Mütze tief ins Gesicht gezogen, seine Hände im Parka vergraben, schaut mürrisch. "Rici, wie kann das sein?", ruft er. Es kann nämlich eigentlich gar nicht sein. Der Schweizer Nationalspieler Ricardo Rodriguez hat innerhalb von 45 Sekunden im Trainingsspiel zwei Gegentore verschuldet. Und Hecking kritisiert ihn dafür. Denn er weiß: Es ist jetzt Zeit, ehrlich zu sein.

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