VfL Wolfsburg:Erholung von den Nackenschlägen

Holstein Kiel - VfL Wolfsburg

Später Jubel: Wolfsburgs Trainer Bruno Labbadia feiert den Klassenerhalt.

(Foto: ddp images/Revierfoto)

Zwei nervenaufreibende Relegationsspiele gegen Holstein Kiel waren zum Klassenerhalt nötig. Nun hofft Trainer Bruno Labbadia, dass sein Team zu einer Einheit zusammenwächst.

Von Jörg Marwedel, Kiel

Der kommunikative Trainer Markus Anfang ist zuweilen womöglich etwas zu mitteilsam. Etwa wenn er als Vertreter eines krassen Außenseiters auftritt und am Spielfeld bissig wie ein Terrier agiert. Das war bei der 1:3-Niederlage von Holstein Kiel im ersten Relegationsduell in Wolfsburg so, und das wiederholte sich am Montagabend beim Rückspiel. Anfang erregte sich permanent, mal über Schiedsrichterpfiffe, mal über Fouls. Nach der finalen 0:1-Niederlage seines Zweitligateams gab er dem Wolfsburger Coach Bruno Labbadia zwar die Hand, hat dann aber unbescheiden erwähnt, seine unterlegenen Kieler hätten den Sieg verdient.

Neuer Trainer in Kiel wird wohl Tim Walter, zuletzt Coach des FC Bayern München II

Da war Labbadia schon so aufgebracht über den unbequemen Berufsgenossen, dass er ihn kurz am Nacken packte. Später forderte der 52-jährige Labbadia, der schon sechs Profiteams betreute, "Respekt vom jungen Kollegen" ein. Anfang ist 43, und Holstein ist seine erste Trainer-Station im bezahlten Fußball. Doch der Respekt vor den Wolfsburgern, die zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Monaten den Rettungsring zugeworfen bekamen, um über die Relegation noch den Verbleib in der 1. Liga zu sichern, hielt sich in Grenzen, zumindest beim Underdog.

Das Wort Rettungsring stammte vom Holstein-Profi Dominic Peitz, der nach dem Schlusspfiff eine Attacke gegen den siegreichen Gegner ritt. Wenn hier jemand gescheitert sei, resümierte der Mittelfeldspieler trotz der beiden Kieler Niederlagen, dann wohl der VfL. Er sei gescheitert, "ein bundesligataugliche Mannschaft zusammenzustellen". Wolfsburg habe "eine katastrophale Saison gespielt". Und Peitz war noch nicht fertig nach dem geplatzten Holsteiner Traum, er gab den vom Autobauer VW alimentierten Fußballern noch etwas mit: "Die bringen nur einmal Leistung im Jahr, ansonsten zählen sie ihr Geld." Nun ist Peitz ein doppelt Gebeutelter. Schon einmal, 2015, hat er in der Relegation gegen eine Mannschaft mit großen Namen den Kürzeren gezogen, nämlich mit dem Karlsruher SC gegen den HSV.

Doch als alle wieder ein Stück am Boden waren, hat sich der zum 1. FC Köln wechselnde Holstein-Coach Markus Anfang - der vom bisherigen U23-Coach des FC Bayern München, Tim Walter, 42, abgelöst wird, wie die Sport-Bild meldet - nicht nur bedankt für "zwei tolle Jahre" an der Ostsee. "Wolfsburg war eine Nummer zu groß für uns", bekannte er. Wenn auch mit kleiner Einschränkung: Hätte VfL-Torwart Koen Casteels kurz nach der Pause nicht einen fast unhaltbaren Ball von Aaron Seydel über die Latte gelenkt, wäre das Spiel wohl anders ausgegangen.

Anfangs Analyse deckte sich auch mit den Einschätzungen der Wolfsburger Maximilian Arnold und Robin Knoche (der in der 75. Minute nach Arnolds Eckball per Kopf das einzige Tor erzielte). Diesmal habe man es "souverän" gemacht, befanden beide. Besser jedenfalls als vor einem Jahr bei den beiden 1:0-Siegen gegen Eintracht Braunschweig. Zudem seien sie dankbar, dass die Wolfsburger Fans, die nach den Niederlagen gegen den HSV (1:3) und Leipzig (1:4) die Profis wüst beschimpft hatten, das Auswärtskontingent im mit 12 000 Zuschauern ausverkauften Holstein-Stadion ausgeschöpft hätten. "Obwohl wir sie ja nicht mit Gold überschüttet haben", wie Arnold selbstkritisch einräumte.

Dann begann die Aufarbeitung einer missratenen Saison. Ersatzkapitän Arnold empfahl, "mal ein bisschen kleiner zu denken" und nicht anzuschließen an die letzten anderthalb Jahre, in denen Wolfsburg fünf Trainer und zwei Sportchefs beschäftigte. Ob die Forderung nach mehr Kontinuität eingehalten wird, müsste man den neuen Sportchef Jörg Schmadtke fragen.

Am Montagabend war Labbadia, der erst seit drei Monaten beim VfL ist und somit den geringsten Anteil am Absturz und den größten als Retter hatte, noch nicht sicher, ob er seinen bis 2019 laufenden Vertrag erfüllen darf. Er bezeichnete die Aufgabe in Wolfsburg als seine bisher schwierigste - also noch komplizierter als die HSV-Rettung 2015. Er habe "sich das nicht angetan", um sein Werk als Architekt einer neuen Mannschaft jemand anderem zu überlassen, sagt er. Dann blickte er noch einmal kurz zurück. Vor einem Jahr hätten noch Topspieler im Team gestanden wie Mario Gomez und Luiz Gustavo; dann habe sich unter dem entlassenen Sportchef Olaf Rebbe ein großer Umbruch vollzogen. Und der sei noch erschwert worden, weil zuweilen acht bis zehn Spieler verletzt waren.

Bruno Labbadia, der Saboteur des Kieler Fußball-Märchens, hat seinen kleinen Erfolg ziemlich "nüchtern" gesehen, wie er sagte. Nur ein Glas Wein wollte er sich erlauben. Man habe ja "nicht den DFB-Pokal gewonnen", wie Arnold bemerkte. Labbadia hofft nun, wie im Vorjahr sein Vorvorgänger Andries Jonker, dass die Mannschaft nach diesem bescheidenen Erfolg doch noch zusammenwächst. Es sei jedenfalls "ein wunderbares Gefühl", wenn einem im Urlaub langsam klar werde, dass man wenigstens ein Ziel erreicht habe.

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