VfL Wolfsburg:Der letzte Libero

Klaus Augenthaler und die Last, im Abstiegskampf Trainer zu sein.

Christof Kneer

Manchmal, wenn man tief in die Archive hinuntersteigt, findet man noch ein paar vergrabene Schätze. "Am liebsten wäre ich mal drei Spieltage vor Schluss deutscher Meister, dann könnte ich beruhigt auf der Bank sitzen", heißt es in einem Eintrag vom 23. Mai 2005.

Klaus Augenthaler, AP

Darf sich nicht auf der Bank ausruhen: Klaus Augenthaler.

(Foto: Foto: AP)

Man findet noch ein anderes Zitat, es ist ein bisschen neuer, aber nicht weniger kostbar. "Wolfsburg ist ein Verein, bei dem man etwas bewegen kann", diesen Satz stöbert man unter dem 31. Dezember 2005 auf, und der Satz geht noch weiter: "Diese Elf gehört nicht auf Platz 13."

Archive können grausam sein. Es kann manchmal ziemlich weh tun, wenn man die ehemalige und die aktuelle Wirklichkeit gegeneinander schneidet. Es ist nämlich - erstens - wieder nicht so gekommen, dass der Trainer Klaus Augenthaler endlich einmal einen geruhsamen letzten Spieltag erleben kann.

Er muss jetzt wieder leiden, und es macht die Sache nicht besser, dass es diesmal nicht um die Qualifikation für den Uefa-Cup geht wie vor einem Jahr in Leverkusen. Es ist nämlich so, dass - zweitens - der VfL Wolfsburg in der Tat keine Elf hat, die auf Platz 13 gehört. Der VfL ist Fünfzehnter jetzt, und wenn er am Samstag gegen Kaiserslautern verliert, dann muss er absteigen.

Es ist keine gute Woche gewesen für Klaus Augenthaler. Zum Beispiel hat der Trainer Gerets gerade ein Interview gegeben, indem er sinngemäß sagt, dass es ihm aber ganz arg leid tue, was in Wolfsburg passiert. Für einen Trainer ist es womöglich die Höchststrafe, wenn ein Vor-Vorgänger Mitleid hat, und besonders schlimm ist das für einen wie Klaus Augenthaler.

Er hat nie Mitleid gebraucht in seiner Karriere, es sei denn, man wollte ihn bedauern für sieben Meisterschaften, drei DFB-Pokalsiege und einen Weltmeistertitel. "Mein Problem ist vielleicht, dass ich nicht verlieren kann, weil ich es nie gelernt habe", sagt er, "ich war als Spieler immer auf der Sonnenseite."

Geschrumpfte Endspiele

Es ist also weit gekommen mit Klaus Augenthaler, 48. Seine Endspiele sind mit der Zeit ziemlich geschrumpft. Zwar ist er schon einmal in ein Abstiegsfinale geraten, aber das hatte nichts mit ihm zu tun. In höchster Not hat er sich bitten lassen, damals, zwei Spieltage vor Saisonschluss im Mai 2003, und natürlich hat er die Leverkusener herausgepaukt.

Ein Jahr später hat er mit Leverkusen am letzten Spieltag die Qualifikation für die Champions League geschafft und im vorigen Jahr den Uefa-Cup. Jetzt steht er in einem Abstiegsfinale und muss all die Sachen sagen, die man als Trainer in einem Abstiegsfinale so sagt. "Es gibt einen fünften Satz, aber wir haben Aufschlag", sagt er, oder: "Dass Deutschland gegen uns ist, weil wir kein Traditionsklub sind, das lesen meine Spieler auch, für die Motivation ist das perfekt."

Klaus Augenthaler muss VfL-Wolfsburg-Sätze sagen, dabei gab es eine Zeit, da galt er als kommender Bayern-Trainer. Er hat dort eine Ära geprägt, er war ein außergewöhnlicher Mannschaftskapitän und schon als Spieler ein halber Trainer, und er hat sich für die große Aufgabe richtig schön warmtrainiert.

Er war Trainer in Graz, Nürnberg und Leverkusen, immer ist er eine Stufe hinaufgeklettert, aber ein Karriereplan kann das schon deshalb nicht gewesen sein, weil ein Karriereplaner den Standort Wolfsburg wohl großräumig umfahren würde. "Eine Trainerkarriere kann man eh' nicht planen", sagt er, "Trainer ist ein Tagesgeschäft, und man ist von Faktoren abhängig, die man nicht beeinflussen kann."

Verzweifelte Turnübungen

Abhängig sein, das ist es, was Augenthaler wahnsinnig macht. Man hat ihm nur zusehen und zuhören müssen in den letzten Wochen. Er hat auf seiner Trainerbank Übungen mit höchstem Schwierigkeitsgrad geturnt, er hat sich verzweifelt nach hinten fallen lassen, nebenher mit den Füßen gestampft und sich mit den Händen vor die Stirn geschlagen.

"Das Bitterste an diesem Job ist die Hilflosigkeit", sagt er. Der Spieler Augenthaler hat schwierige Situationen mit einem Befreiungsschlag erledigt oder zur Not auch mal mit einem Rempler. Der Trainer Augenthaler muss mit ansehen, wie seine Spieler den Stuttgarter Beck eine Flanke schlagen lassen, die beim Stuttgarter Gentner landet, der den Ball unbedrängt ins Tor schießt. Am Samstag war das, und hinterher hat Augenthaler bissig angemerkt, dass seine Spieler "sich dieses Endspiel redlich verdient haben".

Klaus Augenthaler ist immer noch Libero. Es tut ihm immer noch weh, wenn ein Mann nicht tut, was ein Mann tun muss, und so kommt es, dass er am Ende Spieler aufstellt wie Stefan Schnoor. Schnoors Talent ist überschaubar und wird nur von der Überschaubarkeit seines Tempos übertroffen, aber für Augenthaler ist er "ein wichtiger Mosaikstein". Er sucht halt verzweifelt einen, der wenigstens zum kleinen Augenthaler taugt.

"Der Stefan ist 35 und hat alles erlebt", sagt er, "bei ihm kann ich mich drauf verlassen, dass er dem Druck standhält."

Klaus Augenthaler ist ein anerkannter Trainer, er hat ein Auge für Spieler und eine Autorität, die sich aus seiner Sportlervita ableitet, aber möglicherweise hat ihn gerade sein ewiges Liberotum an einer größeren Trainerkarriere gehindert. Es ist nicht immer einfach, wenn man weiß, wie's besser geht, man flüchtet sich dann gern in Ironie.

Manchmal hat Augenthaler Sätze gesagt, die Spielern und Vorgesetzten nicht sehr gefallen haben, und womöglich hat ihn das den Job in Leverkusen gekostet. "Ich weiß doch schon als Sechsjähriger, wie der Ball springt", hat er etwa gestöhnt, als der Brasilianer Athirson sich mal wieder verschätzt hatte. Als er entlassen wurde, hieß es, man brauche "einen positiveren Trainer".

Vielleicht ist Klaus Augenthaler aber auch nur ein alter Romantiker, er würde am liebsten immer noch so arbeiten wie in Graz. "Heute ist die Fluktuation in den Teams doch viel zu groß, in Graz habe ich nur Spieler geholt, die ich wollte und langfristig eine Elf entwickeln können." Wolfsburg ist das Gegenteil von Graz, aber dazu kann Augenthaler natürlich nichts sagen. Er muss jetzt erst mal sein Endspiel spielen.

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