VfL Wolfsburg:Ball für die Seele

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Beim Derbysieg in Hannover bieten die Wolfsburger Weltmeister André Schürrle und Julian Draxler eine kraftvolle Gegendarstellung zur bisher so mäßigen Saison.

Von Jörg Marwedel, Hannover

Beim Fußball-Talk Doppelpass wird gern über sportliche Krisen geredet. Zuletzt war Klaus Allofs vom VfL Wolfsburg zu Gast, er sollte über das Tief des Pokalsiegers und Tabellenzweiten der Vorsaison sprechen, der auf den achten Tabellenplatz abgerutscht ist. Der Geschäftsführer sagte dabei über den bisher im Dauertief steckenden Weltmeister André Schürrle, dieser werde seine Fähigkeiten schon noch zeigen und "uns auf Dauer helfen". André Schürrle sagte dazu am späten Dienstagabend, er sehe diese Sendung nie, habe aber mitbekommen, was zuletzt über ihn und das Team gesagt worden sei. Er hatte soeben, wie er fand, eine "deutliche Antwort" auf die Kritiker gegeben und seinen Chef Allofs in den Rang eines Weissagers gehoben. Schürrle, der zuvor in 33 Spielen ganze zwei Bundesliga-Tore für den VfL geschossen hatte, steuerte gleich drei zum 4:0-Erfolg bei Hannover 96 bei.

Im November, als er den 2:0-Sieg bei ZSKA Moskau in der Champions-League im Alleingang gesichert hatte, schmollte er noch und gab den Reportern keine Auskunft über das Seelenleben eines Mannes, dessen Ablöse beim Wechsel vom FC Chelsea zum VfL in Höhe von 32 Millionen Euro vielleicht doch belastend war. In Hannover sagte der Matchwinner, der sich nach jedem Treffer eine symbolischen Ohrfeige gegeben hatte (eine merkwürdige Form der Geißelung): "Das tut der Seele extrem gut." So habe er auch dem Bundestrainer Löw gezeigt, "dass ich noch da bin".

Den Spielball nahm Schürrle mit nach Hause, genau wie einst nach seinen Hattrick-Spielen mit der Nationalelf gegen Gibraltar und mit dem FC Chelsea gegen Fulham. Wer ihn bekommt? "Mal sehen, wer sich von den Freunden meldet." Auf jeden Fall, schloss er, sei der Fußball "komisch".

Komisch war zum Beispiel, dass ausgerechnet die beiden Weltmeister im VfL-Trikot, die im vergangenen Jahr kaum gute Phasen hatten, Hannover dem Abstieg wieder ein Stück näher brachten. Auch Julian Draxler (Ablöse: 35 Millionen Euro) hatte seinen Anteil am erstaunlich lockeren Sieg der bisher schwächsten Auswärtself der Saison im Niedersachsen-Derby. Der frühere Schalker bereitete in der 36. Minute das 1:0 vor, und als Schürrle in der 59. und 62. Minute nachgelegt hatte, spielte Draxler ihn kurz darauf so fantastisch an, dass jener eigentlich seinen vierten Treffer hätte erzielen müssen - diesmal vergab Schürrle schludrig. Also besorgte Draxler das 4:0 gegen eine entblößte Abwehr des Tabellenletzten Hannover selbst.

Die zuletzt angeschlagenen Wolfsburger fanden ihre "Ball- und Passsicherheit" wieder, wie Trainer Dieter Hecking zufrieden feststellte. Da störte auch die aus VfL-Sicht mäßige erste halbe Stunde nicht mehr, als die vom überraschenden 2:1- Sieg in Stuttgart zunächst noch beschwingten 96er mit Hilfe ihres Spielmachers Hiroshi Kiyotake sogar ein paar ansehnliche Kombinationen auf den tiefen Rasen zauberten. Doch viel mehr als ein paar kreative Einfälle des Japaners konnten die Hausherren nicht bieten. Sie liefen zwar, wie Coach Thomas Schaaf hervorhob, mit 126 Kilometern acht Kilometer mehr als der Gast. Aber sie liefen nicht so, wie es der Fußballlehrer gerne gehabt hätte - besonders die Offensiv-Kräfte Marius Wolf und Kenan Karaman nicht. Je näher sie dem gegnerischen Tor kamen, desto "kopfloser" wurden sie, desto mehr "kamen wieder die Zweifel", analysierte Schaaf.

Am Schluss kam wieder eine Vorstellung heraus, über die 96-Torwart Ron-Robert Zieler festhielt: "So darf man sich in der Bundesliga nicht präsentieren." Das sei "unterirdisch" gewesen. Der Anti-Abstiegs-Pädagoge Schaaf ("Es geht weiter") wollte das nicht so stehen lassen. Das sei direkt nach der Partie emotional aus Zieler herausgebrochen: "Fragen Sie ihn morgen noch einmal!" Das Zitat von Kapitän Christian Schulz, der das Auftreten in der zweiten Halbzeit als "vogelwild" bezeichnet hatte, war Schaaf noch nicht zu Ohren gekommen. Im Übrigen, schloss er seine Ausführungen, sei der Gegner ein Champions-League-Teilnehmer gewesen, da müsse man "die Kirche mal im Dorf lassen.".

Im Abstiegskampf reist Hannover nun am Samstag frisch lädiert zum direkten Duelle mit dem Nordrivalen Werder Bremen - dorthin, wo Schaaf fast sein ganzes Leben sportlich zu Hause war. Für große Emotionen sei im Moment aber kein Platz, sagt Schaaf nüchtern: "Ich bin Trainer von Hannover 96." Das Wiedersehen mit seinem langjährigen Werder-Partner Klaus Allofs ist gegen Wolfsburg für Schaaf jedenfalls schon mal sehr unerfreulich verlaufen.

© SZ vom 03.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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