VfB Stuttgart:Meister im Chancenvergeben

VfB Stuttgart - FC Schalke 04

Schon wieder vorbei: Stuttgarts Christian Gentner.

(Foto: dpa)

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Als Alexander Zorniger am Sonntagabend zwei Stunden nach Spielende zu seinem Auto schlenderte, drehte er sich kurz um und blickte hoch hinauf auf das Dach der Stuttgarter Arena. Auf den Querverbindungen hatten sich Hunderte von Staren versammelt, die sich für die Reise gen Süden vorbereiteten. Sie flogen schönste Formationen, Pirouetten. Zorniger verweilte für einen kurzen Moment und erfreute sich an der kunstvollen Darbietung der Zugvögel. Und ja: Auch das Spiel des VfB Stuttgart gegen den FC Schalke 04 war ein Spektakel gewesen.

Zornigers Mannschaft spielte schnell, direkt und überforderte mit ihrem wuchtigen, teilweise sogar fantasievollen Pressing-Spiel die Schalker. "Wegen dieser Spielweise kommen die Zuschauer doch ins Stadion", hatte Zorniger kundgetan: "Diese Spielweise ist für uns alternativlos, um erfolgreich zu sein." Das Blöde im Fußball aber ist, dass am Ende nicht Schönheit zählt, sondern Punkte.

Zwölf sogenannte Großchancen

In dieser Spielzeit haben die Stuttgarter noch keinen einzigen Zähler geholt, alle fünf Spiele gingen verloren. Nie zuvor in seiner Historie hat eine Saison missratener für den VfB begonnen. Es wohnt schon eine besondere Tragik inne, wenn sich eine Mannschaft eine Vielzahl von Tormöglichkeiten erspielt und dennoch jedes Mal als Verlierer den Platz verlässt. Zwölf sogenannte Großchancen hatten die Stuttgarter gegen Schalke - entweder hauten die Spieler aus zwei Metern über den Ball, schossen Gäste-Torhüter Ralf Fährmann an oder scheiterten an dessen Reflexen, die an die Auftritte von Manuel Neuer bei der WM erinnerten.

VfB-Mittelfeldspieler Alexandru Maxim, der diesmal für den leicht angeschlagenen Daniel Didavi begann, fasste die Geschehnisse am trefflichsten zusammen. "Es war am Ende ein Tag, an dem du machen kannst, was du willst, der Ball geht einfach nicht über die Linie", stellte der Rumäne ernüchtert fest.

Neu in Stuttgart war nach Spielende allerdings, dass die sonst so kritischen Zuschauer nach dem 0:1 gegen Schalke, dass sogar S04-Trainer André Breitenreiter als "total unverdient" einordnete, klatschten anstatt zu pfeifen oder lautstark zu bruddeln, wie im Schwäbischen das Granteln heißt. Gelegenheit hätten sie dazu gehabt, die Spieler versammelten sich nach Spielende vor der Cannstatter Kurve und bildeten einen Kreis, ohne den Trainer. Nur Kapitän Christian Gentner sprach. Was er sagte? "Ich habe der Mannschaft mitgeteilt, dass bisher trotz allem nicht alles schlecht war."

Zorniger schützt sich selbst

Auch Sportvorstand Robin Dutt fand das Fingerspitzengefühl der Fans erstaunlich, "weil sie nicht notorisch ihre Wut über das Ergebnis herausgelassen, sondern die Leistung anerkannt haben". Wie das Publikum konnte Dutt nichts Negatives an dem Auftritt finden, außer natürlich die Chancenverwertung. Das ist das Thema, "das einzige", wie er anmerkte, um spitz hinzufügen: "Man kann das trainieren. Aber selbst ohne Training sollte man in der Lage sein, eine von diesen Chancen zu machen."

Es ist wirklich zum Verzweifeln. Ein Heimsieg des VfB wäre das logische Ergebnis gewesen. Da sah jeder im Stadion so, auch die Schalker. "Wir konnten uns zwischendurch das Lachen auf der Bank nicht verkneifen", gab Breitenreiter zu. Er sagte das ohne Schadenfreude. Auch ihm war die fast schon erschreckende Unterlegenheit seiner Mannschaft nicht entgangen. Deshalb hatte sein Kollege das Stadion unmittelbar nach dem Schlusspfiff auch verlassen. Aus Selbstschutz, wie Zorniger erklärte.

Am Mittwoch gegen Hannover

Der 47-Jährige hätte wohl einen noch ehrlicheren Einblick in sein Seelenleben gewährt als ohnehin schon, als er vor ein paar Tagen erklärt hatte, dass die Situation "kacke" ist. Nach ein paar Minuten im selbst gewählten Exil tauchte er wieder auf und lief zur Mannschaft, die noch auf dem Rasen stand, die Spieler formierten sich zum zweiten Mal - diesmal um den Trainer. Nur Zorniger redete. "Wir müssen den Kopf ganz schnell wieder hochnehmen", sagte er.

Schon am Mittwoch steht das nächste Spiel in Hannover an, das auch nicht viel besser dasteht. Die englische Woche kommt den Stuttgartern ganz gelegen. Es bleibt so nicht viel Zeit über das verlorene Spiel gegen Schalke nachzudenken. Doch eines erzürnte Zorniger dann doch noch: wie brutal bisweilen der Sport sein kann. Er wollte eigentlich nichts mehr erklären, das Spiel spreche für sich, sagte er. Doch dann tat er es doch. "Wenn wir schon, sechs, sieben Punkte auf dem Konto hätten, würden jeder sagen, dass wir dermaßen auf dem richtigen Weg sind. Lasst sie noch ein Jahr so weiterarbeiten, dann ist das es eine richtig gute Truppe, mit einer ganz klaren Handschrift."

Es beschäftigt ihn, dass seine Arbeit keine Anerkennung in Form von Punkten und Siegen erfährt. Da haben es die Stare sehr viel einfacher. Ihre Formationen sind keiner kritischen Betrachtung ausgesetzt.

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