VfB Stuttgart in der Europa League:Schwabe für Fortgeschrittene

Christian Gentner, VfB Stuttgart, Europa League, Lazio Rom

Was wollen die Kritiker eigentlich? Christian Gentner kann Tore schießen. Zuletzt in beiden Spielen gegen Genk und im DFB-Pokal gegen Bochum.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Dass der VfB Stuttgart im Achtelfinale der Europa League gegen Lazio Rom antreten darf, hat viel mit Christian Gentner zu tun. Er hat inzwischen auch jene Fans überzeugt, die ihn ständig ausgepfiffen haben.

Von Christof Kneer

Am Donnerstag wird Christian Gentner wahrscheinlich wieder ausgepfiffen. Das ist nicht schön, aber er hat sich inzwischen einen entspannten Umgang mit den Pfiffen angewöhnt. Sie machen ihm nichts mehr aus. Das einzige, was ihn immer noch nervös werden lässt, ist die Frage nach dem Zeitpunkt. Wann werden ihn Martin Harnik und Georg Niedermeier diesmal wohl auspfeifen - vor dem Spiel gegen Lazio Rom oder erst danach?

Christian Gentner, 27, hat es weit gebracht beim VfB. Er wird jetzt nur noch von Menschen ausgepfiffen, die er persönlich kennt. In der Spielerkabine machen sie sich manchmal noch einen Spaß daraus, es ist ein Spaß, über den sich der Ausgepfiffene am meisten amüsieren kann. Christian Gentner hat es jetzt ja hinter sich.

Dass der VfB Stuttgart am Donnerstag im Achtelfinal-Hinspiel der Europa League Lazio Rom empfängt, hat eine Menge mit Christian Gentner zu tun. In der Runde zuvor war er im Hinspiel gegen den KRC Genk bester Stuttgarter, beim 1:1 erzielte er das einzige Tor. Beim Rückspiel in Genk war er bester Stuttgarter, beim 2:0-Sieg ging das zweite VfB-Tor auf sein Konto. Und im DFB-Pokal, beim 2:0 gegen Bochum letztens, da war Gentner bester Stuttgarter. Ihm gelang das erlösende erste Tor.

Wenn Christian Gentner nicht aufpasst, wird am Ende noch ein Publikumsliebling aus ihm. Käme es so, wäre dies einer der bemerkenswertesten Imagetransfers seit Saulus und Paulus. Als Gentner im Juli 2010 aus Wolfsburg nach Stuttgart heimkehrte, war eine zentrale Position im Kader endlich besetzt: Es war endlich einer da, der schuld war. Beim VfB herrschte gerade ein rechtes Durcheinander, Manager Heldt war zu Schalke übergelaufen, Sami Khedira ließ sich von Real Madrid anwerben, Trainer Christian Gross war genervt, die Nationalspieler waren müde von der WM, und weil die Elf in der Vorbereitung all das ausstrahlte, kam dieser Gentner gerade recht. Was, der will Meister mit Wolfsburg gewesen sein? Der ist Nationalspieler? Und der will unseren Sami ersetzen?

Christian Gentner kam in eine Elf, die nicht funktionierte, und er kam in eine Stadt, die frustriert war, weil die Elf nicht funktionierte. Und die Fans pfiffen sicherheitshalber Christian Gentner aus.

"Das soll er hier auch mal zeigen!"

"Mein Plan war damals eigentlich, an der Seite von Sami Khedira in die Saison zu gehen", sagt Gentner, heute kann er milde schmunzeln über die Welle aus Missverständnissen und Unterstellungen, die ihm entgegen schlug. Es gibt Spieler, von denen sich Anhänger grundlos gekränkt fühlen, der Werder-Profi Aaron Hunt ist auch so ein Fall, ihm haben die Bremer lange übel genommen, dass er Aaron Hunt ist. Sie haben sich an einem behaupteten Phlegma abgearbeitet, so wie sich die VfB-Fans bei Gentner an. . . - ja, woran eigentlich abgearbeitet haben?

"Ich meine zu wissen, wie das alles entstanden ist", sagt Gentner, "die Leute wussten, dass ich 2007 als Ergänzungsspieler nach Wolfsburg gegangen war, sie haben mitbekommen, dass ich da eine Super-Entwicklung genommen habe, und vielleicht haben sie gedacht: Das soll er hier bitte auch mal zeigen." Er zeigte das aber nicht, weil er, der zentrale Mittelfeldspieler, mal als Innenverteidiger einspringen musste und mal als Linksaußen und weil er außerdem über einen Spielstil verfügt, in den jeder hineinlesen kann, was er gerade braucht. "Ich weiß, wie meine Spielweise auf manche wirkt", sagt Gentner, "vielleicht hat mein Bewegungsablauf damals nicht zum Abstiegskampf gepasst."

Dieser Gentner ist ein langer, schlaksiger Mensch, aber es stimmt nicht, dass er langsam ist (er zählt zu den Profis mit den besten Sprintwerten im Team). Es stimmt nicht, dass er lässig spielt (er zählt zu den Profis mit den meisten Laufkilometern). Es stimmt aber, dass er lange Haare hatte damals, und vielleicht hat das schon gereicht, um in Tateinheit mit seinem Laufstil beim rechtschaffenen schwäbischen Publikum den gefürchteten Bruddel-Reflex auszulösen. Gentner ist Schwabe, er kennt das Verb "bruddeln". Er weiß, dass es meckern, motzen, maulen bedeutet.

Christian Gentner ist gebürtiger VfBler, so wie Aaron Hunt nach zwölf Bremer Jahren längst als eingeborener Werderaner durchgeht. Beide sind genau das, wonach Fans sich sehnen, umso grotesker wirkt es, wenn die Fans gerade die Heimatkinder ihre enttäuschte Liebe spüren lassen. Gentners älterer Bruder Michael ist Jugendkoordinator beim VfB, und Christian Gentner selbst war noch keine sechs Jahre alt, als er zum ersten Mal beim VfB in der Kurve stand, er erinnert sich sogar noch an das Spiel, es war ein 7:0 gegen Dortmund. Bester Spieler war natürlich Karl Allgöwer, der Held aller VfB-Nostalgiker.

Noch ist Gentner eher ein Allgöwerle, aber er spürt, dass er die Leute überzeugt hat. "Ich glaube, dass ich inzwischen ziemlich anerkannt bin", sagt er. Gentner ist ein Schwabe für Fortgeschrittene, er hat einfach still vor sich hin geschafft. Er hat verlässlich seine Leistung gebracht, er hat sich reingehauen, Tore geschossen und nie gejammert. "Das war keine schöne Zeit damals, aber ich habe das öffentlich nie thematisiert", sagt er. Als sein Vertrag jetzt bis 2016 verlängert wurde, gab es Beifall.

Um Gentners Wert aber angemessen würdigen zu können, sollten die Fans vielleicht noch wissen, dass es bei der Klub-Weihnachtsfeier keine feste Sitzordnung gab. Jeder Gast musste am Eingang eine Tischnummer ziehen, und Christian Gentner erwischte den Tisch von Karl Allgöwer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: