VfB Stuttgart:Ein Prellbock will die Baustelle beim VfB aufräumen

VfB Stuttgart v SpVgg Greuther Fuerth - Second Bundesliga

Je nach Ergebnis erfindet sich der VfB Stuttgart wöchentlich neu. Nach dem 4:0-Sieg gegen Greuther Fürth war das nicht nötig.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Lügner, Spalter. Als Projektsprecher bei Stuttgart 21 provozierte Wolfgang Dietrich viel Zorn. Jetzt will er der nächste starke Präsident beim VfB werden - die Bedenken sind groß.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Es gibt zwei Baustellen in Stuttgart, für die man nicht unbedingt den Kopf hinhalten möchte. Da ist zum einen Stuttgart 21, der Tiefbahnhof, den viele in der Stadt für ein Milliardengrab halten. Und da ist zum anderen der VfB, der sich in der vergangenen Saison selbst tiefer gelegt hat, in die zweite Liga. Wolfgang Dietrich hat die eine Baustelle hinter und die andere vor sich. Baustellen sind seine Leidenschaft. Mit Tränen in den Augen gab er vor zwei Jahren seinen Abschied als Projektsprecher von S 21 bekannt. Am Sonntag nun will der schwäbische Unternehmer, groß geworden in der Software-Branche und über seine Finanzgeschäfte bestens vernetzt im Profifußball, zum Präsidenten des VfB gewählt werden. "Eine Herzensangelegenheit", "ein Glücksfall" seien beide Jobs aus seiner Sicht, sagt Dietrich.

Nun muss er bloß noch die VfB-Mitglieder überzeugen, dass er ein Glücksfall für sie ist. Es gibt da, gelinde ausgedrückt, ziemliche Bedenken.

Dietrich trinkt an diesem Vormittag die doppelten Espressi nacheinander weg wie Limonade. Ein drahtiger Mann von 68 Jahren, blaues Sakko, dunkles Polohemd. Er ist im "Kampfmodus", wie er das nennt. Gestern spätabends ein Fan-Termin, heute frühmorgens eine Lagebesprechung. Und zwischendurch hat er schlecht geschlafen. Aber bitte nicht missverstehen, sagt Dietrich und schaut sein Gegenüber grinsend an. Die Zeiten, da er wegen eines Termins mit Journalisten schlecht schlief, "die sind Gott sei Dank vorbei".

Die schlaflosen S-21-Jahre. Bahn-Chef Grube hatte ihn verpflichtet wegen seines Kommunikationstalents. In der Hitze des Gefechts prallte er aber mit den Journalisten manchmal mehr zusammen, als dass er mit ihnen kommunizierte. Im Herbst 2010, wenige Tage im Amt, musste er das Inferno im Schlossgarten kommentieren, den "Schwarzen Donnerstag". Dietrich erklärte damals, die Gewalt sei von den Demonstranten ausgegangen, nicht nur von der Polizei. Viele Stuttgarter tragen ihm das bis heute nach. Er habe eben den Polizeibericht zitiert, sagt er. Allen Beteiligten sei die Sache über den Kopf gewachsen.

Dietrich will nicht reden über diese Zeit, aber die Erinnerung lässt ihn nicht los. Noch so eine Episode: Anwohner hatten geklagt, auf der Baustelle würden entgegen den Zusagen Fahrzeuge ohne grüne Umweltplakette eingesetzt. Dietrich dementierte das, im Vertrauen auf seine Mitarbeiter, vor laufenden Kameras in der Baugrube. In dem Moment fuhr hinter ihm ein Lkw mit gelber Plakette vorbei. Kürzlich erreichte ihn ein Brief: Wie so ein "Lügner" Präsident des VfB werden könne?

VfB Stuttgart: Wolfgang Dietrich.

Wolfgang Dietrich.

(Foto: Bernd Weißrod/dpa)

Lügner, Spalter. Solche Vorwürfe bekommt er immer wieder zu hören, von den Ultrafans auch schlimmere Beleidigungen. Dietrich hält dagegen, die größte Herausforderung bei Stuttgart 21 sei ja nicht gewesen, Schönwetter zu machen bei den Kritikern. Vielmehr sei es darum gegangen, die Projektbefürworter unter einen Hut zu bekommen. Die Reihen schließen, das sei gelungen, das nennt er auch als oberstes Ziel für den VfB: "Homogenität und Konstanz herstellen" in einem Verein, der auf der Suche nach alter Größe zuletzt Scharen von Sportdirektoren, Trainern, Spielern verschlissen hat und auch einige Präsidenten. Wolfgang Dietrich wäre nach Gerd Mäuser (2011 - 2013) und Bernd Wahler (2013 - 2016) der dritte binnen fünf Jahren. Der Aufsichtsrat des VfB hat ihn gebeten, zu kandidieren. Er entsprach damit der im Verein weitverbreiteten Sehnsucht nach einem starken Mann. Einem wie Gerhard Mayer-Vorfelder, MV, die Klub-Ikone, Präsident von 1975 bis zum Jahr 2000.

Ein Verhaltenskodex für den VfB Stuttgart soll her

Entscheidungen rigoros umzusetzen, sei seine große Stärke, sagt Dietrich. Es müsse Schluss damit sein, dass sich der VfB Wochenende für Wochenende je nach Ergebnis neu erfinde. Die Jugendarbeit will er zur persönlichen Baustelle machen. Diktatorisch wie MV aber könne man keinen Verein mehr führen. Dietrich singt das Hohelied der demokratischen Entscheidungsfindung und kündigt an, alle im Klub auf einen Verhaltenskodex zu verpflichten. Im Archiv hat er sich heraussuchen lassen, wie der VfB damals seine Trainer Joachim Löw und Thomas Schneider, mittlerweile erfolgreiche DFB-Coaches, gefeuert hat. Unmöglich der Stil, findet er, so etwas dürfe nie mehr passieren. Dass er selbst, wie kolportiert wird, nach seiner Wahl alle möglichen Leute beim VfB rausschmeißen wolle, nennt er Quatsch.

Beim VfB bleiben dennoch viele misstrauisch, das hat auch mit Dietrichs Geschäften zu tun. Finanzierungs- und Marketingverträge mit Profiklubs haben ihn reich gemacht. Die von ihm gegründete Firma Quattrex versorgte auch die Stuttgarter Kickers mit Geld und nahm Einfluss auf die Vereinspolitik. Zu den Partnern von Quattrex gehören auch Zweitligisten, die Rede ist vom 1. FC Nürnberg, dem 1. FC Kaiserslautern und dem FC Heidenheim - Klubs, gegen die der VfB in dieser Saison antreten muss. Dietrich will sich zu Verträgen nicht äußern. Interessenkonflikte? Er hält die Vorstellung für hanebüchen, er könnte eine Niederlage eines anderen Vereins herbeimanipulieren, um dem VfB zu helfen. Dietrich hat dennoch die DFL um Prüfung gebeten, in der vergangenen Woche bekam er grünes Licht. Bei Quattrex halte er nur noch 14,16 Prozent der Anteile, sagt Dietrich. Das operative Geschäft leite längst sein Sohn Christoph. Sein zweiter Sohn Matthias hat sich übrigens als Schauspieler einen Namen gemacht.

Eine Fan-Gruppierung will den ganzen Aufsichtsrat loswerden

Wolfgang Dietrich ist dem VfB verbunden, seitdem er mit seinem Vater 1963 erstmals das Neckarstadion besucht hat. Das erste Bundesliga-Heimspiel überhaupt, 2:0 gegen Berlin. Er hat die Mitgliedsnummer 836. Das Präsidentenamt will er ehrenamtlich führen, genau wie am Anfang das Sprecheramt bei S 21. Dietrich wird, obwohl einziger Kandidat, kämpfen müssen am Sonntag. Eine Fan-Gruppierung will nicht nur ihn, sondern den ganzen Aufsichtsrat loswerden. Dass ihm die Herzen zufliegen, erwartet Dietrich nicht, letztlich zählt das Ergebnis. 50 Prozent der Stimmen. Und, falls er Präsident wird, der Wiederaufstieg.

"Die Kraft des Vereins", sagt Dietrich, sei jedenfalls ungebrochen. Nach dem Abstieg zählte man 1500 neue Mitglieder, 47 000 sind es jetzt. Das Stadion ist auch in der zweiten Liga rappelvoll, fast 40 000 sahen zuletzt das 4:0 gegen Fürth. Auf den jungen Trainer Hannes Wolf hält Dietrich große Stücke: umgänglicher Mensch, hohe Sozialkompetenz. Dem Sportvorstand Jan Schindelmeiser bescheinigt er eine Tipptopp-Arbeit. Schon macht sich wieder Euphorie breit in Stuttgart, doch Wolfgang Dietrich weiß, dass die Stimmung schnell ins Unterirdische kippen kann in dieser Stadt. Dann ist der Präsident gefragt: "als Prellbock", wie er sagt. Die Rolle spielt Wolfgang Dietrich für sein Leben gern.

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