Fußball-Bundesliga:Kramny lehrt den VfB Stuttgart das dreckige Spiel

VfB Stuttgart v Hertha BSC - Bundesliga

Jürgen Kramny (2. v. r.) umarmt seinen von Zweiämpfen gezeichneten Spieler Filip Kostic (r.).

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der VfB Stuttgart gewinnt 2:0 gegen Hertha BSC. Die Schwaben beweisen bei dem Sieg, dass sie auch dreckig gewinnen können.
  • Selbst die Abwehr-Löcher aus der Zorniger-Ära sind gestopft. Für VfB-Trainer Jürgen Kramny kann die Entwicklung deshalb ruhig so weitergehen.
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Von Frieder Pfeiffer, Stuttgart

Was hatten die Berichterstatter in der Nation in den vergangenen Wochen über diesen VfB Stuttgart geschwärmt. Über das Offensivpotenzial, das unter Trainer Jürgen Kramny bei den drei Siegen zum Jahresauftakt wie ein gehäuteter Schmetterling zum leichten Flug gefunden hatte.

Um 17.12 Uhr an diesem Februarsamstag erhob sich das Stadion dann aber in lautem Getöse für einen Mann, dessen Spiel mit schwerelos so unpassend beschrieben ist, wie es nur eben geht. Serey Dié trabte in dieser 86. Minute schweren Schrittes zur Auslinie.

Es war sein Arbeitsende nach einer Partie, die dem Mittelfeldpflüger wie auf den Leib geschrieben schien. Der Sechser von der Elfenbeinküste war beim hart erkämpften 2:0-Sieg der Stuttgarter gegen von Platz drei angereiste Berliner die Kühlerfigur des kraftvollen Allrads VfB, nicht nur aufgrund seines spielentscheidenden Tores zum 1:0.

"Willensleistung pur": So oft schießt Dié ja keine Tore

"Er bringt Spaß, Ehrgeiz und Leidenschaft ins unser Team", sagte Christian Gentner. "Absolut überragend" fand Kramny seinen besten Mann, dessen Treffer eine "Willensleistung pur" gewesen sei. "So oft schießt er ja keine Tore."

Zumal der Trainer Dié zu Beginn des Jahres als alleinigen Sechser zwischen den zwei Viererketten installiert hatte, um ihm Klarheit im Spiel zu geben und ihn damit mehr an die Defensive band. Wieder einmal sorgte der Solist Dié so für zuvorderst die Stuttgarter Stabilität, die die Mannschaft der Stunde nach fünf Siegen in Serie immerhin auf Rang zehn in der Tabelle hievte - ein Rang, den der VfB in den vergangenen drei Jahren nicht mehr erreicht hatte.

Entscheidend sei an diesem Tag die "Mentalität" gewesen, sagte Sportvorstand Robin Dutt. Und vielleicht war dieser Einsatz nach dem Ausfall von Spielmacher Daniel Didavi aufgrund einer Gelb-Rot-Sperre auch nötig. Das kreative Defizit machte sich im Spiel durchaus bemerkbar, auch wenn Filip Kostic bereits nach 100 Sekunden den Ball aussichtsreich über das Tor jagte und in der Anfangsphase gefühlt dutzende Flanken in den Berliner Strafraum segelten. "Das haben wir überlebt", sagte Hertha-Trainer Pal Dardai, was vor allem daran lag, dass das hohe Spiel in der Liste der schwäbischen Spezialitäten deutlich hinter den Qualitäten im schnellen Konterspiel notiert ist.

Die Löcher aus der Zorniger-Zeit sind gestopft

Doch der anspruchsvolle Untergrund nach grundsätzlich feuchter Großwetterlage in Stuttgart und dem Pokalspiel gegen Dortmund am vergangenen Dienstag gepaart mit einer tief stehenden Hertha forderte eine eigene Prioritätenliste - und auf der stand hoch vor flach. Das führte zu einem Spiel, in dem der VfB gegen das dichte 4-4-2 der Berliner nicht den Raum fand, der sein schnelles Spiel beatmet und die Hertha ihrerseits merkte, dass die Stuttgarter in der Defensive die Löcher aus der Zorniger-Zeit gestopft haben.

Die Liste der weiteren Höhepunkte präsentierte sich bis zu Diés Auftritt kurz: Timo Werner traf in der 27. Minute mit dem Kopf knapp über das Tor, Herthas erster Versuch ließ sich bis zur 36. Minute Zeit: Marvin Plattenhardts Freistoß war dann doch deutlich zu hoch. Ein wenig besser machte es eine Minute später Vedad Ibisevic, der dann jedoch frei stehend vor Przemyslaw Tyton am bejubelten Stuttgarter Torhüter scheiterte. Der Stimmungszenit in einer ansonsten ruhig vor sich hin schleichenden ersten Halbzeit - aufgrund fußballhistorischer Brisanz: Ein Treffer des vor der Saison ausgeliehenen Stürmers Ibisevic wäre aus Sicht der Stuttgarter eine heftige Watschn gewesen.

Stuttgart kann auch unter Kramny dreckig

Die Watschn verteilte nach der Pause Diés Außenrist. Der Ivorer lenkte den Ball mit einem Strahl aus 14 Metern zur Führung ins lange Eck (51.) - der wohl entscheidende Moment. Und einer, in dem die Partie ihre Abgeklärtheit verlor. Es wurde nicht unbedingt hochklassiger, dafür furioser. Nach einer Stunde traf Herthas Verteidiger John Anthony Brooks den Außenpfosten, drei Minuten später rettete Sebastian Langkamp vor dem eigenen Tor mit dem Kopf, in der 66. Minute scheiterte Kostic aus der Distanz um Zentimeter. Dazwischen: Fouls, Fouls, Fouls. Der Spielfluss war in Stuttgart an diesem Tag schwerer zu finden als unbeschädigter Rasen in der Mercedes-Benz-Arena.

Doch Stuttgart kann unter Kramny auch dreckig - und fand mit ablaufender Spielzeit immer mehr Räume für Konter. Viele ließen sie gewohnt fahrlässig ungenutzt, einen aber verwandelte der wieder sehr agile Kostic in der 84. Minute zur endgültigen Entscheidung.

"Wir genießen jetzt mal die Gegenwart"

Wieder ein VfB-Sieg im noch jungen Jahr, laut Kramny diesmal einer des Einsatzes. "Wir sind keinen Schritt zu wenig gegangen", fand auch Dutt. "Und wo soll das nun alles hinführen?", wurde Kramny noch gefragt. "Es könnte ja so weitergehen", sagte Kramny, der ruhig seinen Weg fortsetzen will. Nein, er wolle nun keine neuen Ziele ausgeben, Europa ist näher als der Abstieg, doch in Stuttgart haben sie zuletzt eben "genug Scheiße erlebt", wie Verteidiger Daniel Schwaab anmerkte. Und Dutt freute sich am Jetzt: "Wir genießen jetzt mal die Gegenwart."

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