Vettel in der Formel 1:"Im nächsten Moment hat es schon geknallt"

F1 Grand Prix of Singapore

Die verhängnisvolle Szene: Zwei Ferraris kollidieren, dahinter ist auch ein Red Bull verwickelt.

(Foto: Getty Images)

Von Philipp Schneider

Die Bordkamera von Sebastian Vettel zeigte ein verstörendes Bild. Einige Rennwagen waren zu sehen, die frontal auf ihn zu fuhren. Es sah ein bisschen so aus, als wäre Vettel als Geisterfahrer unterwegs. Das Bild täuschte aber, Vettel fuhr in dieselbe Richtung wie all die anderen, das war die gute Nachricht. Vettel rollte allerdings rückwärts in dieser ersten Runde in Singapur und das auch noch ohne Frontflügel und Nase an seinem Ferrari. Das war die schlechte Nachricht.

Ihre größten Dramen schreibt die Formel 1 gerne in den Startphasen, das weiß man natürlich. Aber es gab am Sonntag beim Rennen in Südostasien auch noch einige Dinge, die man vorher nicht wusste. Weil es dort zum ersten Mal regnete.

Viermal Vettel - Grand-Prix-Sieger in Singapur:

2008 Fernando Alonso (Spanien/Renault)

2009 Lewis Hamilton (Großbritannien/McLaren-Mercedes)

2010 Fernando Alonso (Ferrari)

2011 Sebastian Vettel (Deutschland/Red Bull-Renault)

2012 Sebastian Vettel (Red Bull-Renault)

2013 Sebastian Vettel (Red Bull-Renault)

2014 Lewis Hamilton (Mercedes)

2015 Sebastian Vettel (Ferrari)

2016 Nico Rosberg (Deutschland/Mercedes)

2017 Lewis Hamilton (Mercedes)

Wenn es regnet in Singapur während des Rennens, dann sehen die Fahrer die Wolken nicht. Sie fahren ja im Dunkeln, und wenn sie zum Himmel blicken, dann sehen sie dort nur die Tropfen, die an ihren Visieren abperlen und das gleißende Licht der 1485 Scheinwerfer, die drei Megawatt Strom benötigen und die Strecke viermal so hell erleuchten wie ein Fußballstadion. Seit zehn Jahren kreist die Formel 1 in Singapur, der Marina Bay Street Circuit ist auch ohne Regen die spektakulärste Strecke. Es gibt die meisten Kurven, die heftigsten Bodenwellen, die höchsten Temperaturen - die Piloten schwitzen in ihren Rennoveralls zwei Liter Flüssigkeit aus, so schwül ist es. Singapur ist ein Rennen, das Masochisten große Freude bereitet. Und neuerdings auch Lewis Hamilton. Er lag vor Daniel Ricciardo und Valtteri Bottas am Ende eines Grand Prix', der nach drei Safety-Car-Phasen wegen Überschreitung der zulässigen Renndauer beendet wurde. Und der nach der ersten Runde ohne die Beteiligung der zwei Ferraris ausgetragen wurde, vor allem: ohne Hamiltons WM-Konkurrenten Vettel, der ausgerechnet auf jener Strecke, die ihm und seinem Rennwagen am besten liegt, zum Opfer und auch zum Mit-Täter in einem kuriosen Start-Crash wurde.

Vettel hat nun 28 Punkte Rückstand

"Es geht weiter, es ist kein Weltuntergang, aber es hilft nicht", sagte Vettel. Dabei zog er allerdings ein trauriges Gesicht, das am Tag des jüngsten Gerichts durchaus angemessen wäre. Hamiltons Vorsprung in der Wertung ist sechs Rennen vor Schluss auf 28 Punkte angewachsen.

Seine erst dritte Pole Position in dieser Saison hatte Vettel noch mit einer Jubelarie gefeiert, wie man sie in diesem Jahr nicht einmal nach einem seiner Siege gehört hatte. Das lag nicht nur an seiner eigenen Parkposition. Das lag vor allem an der Parkposition von Hamilton. Nur als Fünfter ging der WM-Führende ins Rennen, die Red Bull von Max Verstappen und Daniel Ricciardo standen hinter Vettel, und auch der Ferrari von Kimi Räikkönen lag noch vor dem Briten. Singapur war noch nie gut zu Mercedes, selbst in den Jahren, in denen die Stuttgarter klar überlegen waren. Nico Rosberg verlor dort 2014 die Weltmeisterschaft, Hamilton schied ein Jahr später aus und Mercedes wurde vorgeführt. Von Vettel. Am Sonntag schenkte Singapur Mercedes und Hamilton möglicherweise den Titel. Singapur. Regen. Max Verstappen. Und wohl auch Sebastian Vettel.

Formula One - Singapore Grand Prix 2017

Sebastian Vettel in den Katakomben, nicht auf der Strecke.

(Foto: REUTERS)

Die Frage vor dem Start war nicht gewesen, ob die Attacke der Red Bulls auf Vettel kommen würde. Die Frage war nur, wann die Attacke kommen würde. Und natürlich, wie sie aussehen würde. Es ist grundsätzlich nicht angenehm, von Autos eingekeilt zu werden, deren Piloten nicht viel zu verlieren haben, weil sie eben nicht um den WM-Titel mitfahren. "Wenn die Lücke da ist, fahre ich rein", hatte Verstappen angekündigt. Das hatte man geahnt. Es gibt keine Lücke, in die der 19-Jährige nicht fahren würde, manchmal fährt Verstappen sogar in Lücken, die gar nicht da sind. Sebastian Vettel sorgte sich allerdings wenig. Er ging am Samstag noch davon aus, dass "keiner das Rennen in der ersten Runde beenden will". Da konnte er nicht wissen, dass er, Räikkönen und Verstappen das Rennen in der ersten Runde gemeinschaftlich beenden würden.

Und das ging so: Räikkönen startete am schnellsten, links zog er vorbei an Verstappen, der wiederum links von Vettel lag. Verstappen, das ist zu seiner Entschuldigung zu erwähnen, geriet also ins Sandwich der Ferraris. Vettel zog immer weiter nach links, weshalb Verstappen seinen Red Bull in Richtung Räikkönen steuerte, um nicht mit Vettel zu kollidieren. Mit dem linken Vorderrad touchierte er das rechte Hinterrad von Räikkönen. Daraufhin verloren beide Piloten die Kontrolle, Räikkönen drehte sich und rummste in den Seitenkasten von Vettel. In der folgenden Kurve räumten sich Verstappen und Räikkönen gegenseitig ab und nahmen dabei natürlich nicht Lewis Hamilton mit, sondern Fernando Alonso (der ja ansonsten ausnahmsweise mal ein erfreuliches Rennen erlebt hätte). Vettel wiederum drehte sich nach Kurve drei, knallte in die Mauer. Von da an fuhr er rückwärts. Ohne Frontflügel und Nase. Das Safety Car bog auf die Strecke und plötzlich führte Hamilton das Rennen an - vor Ricciardo und Nico Hülkenberg.

Wer hatte Schuld am Unfall?

Die Rennkommissare kamen zu dem Ergebnis, keiner der Fahrer trage "allein oder hauptsächlich" die Schuld an dem Unfall, der das Ergebnis einer "Kettenreaktion" sei, sie verhängten keinerlei Strafe. Vettel gab an, er habe Räikkönens Ferrari gar nicht gesehen, nur den Wagen von Verstappen. "Das kann sein, im Regen ist das möglich", sagte Verstappen: "Ich bin ein bisschen schneller gestartet als Sebastian, das hat er gemerkt. Deshalb ist er nach links gefahren, um zuzumachen." Vettel trage die Hauptschuld, denn "wenn man um die WM kämpft, sollte man ein solches Risiko nicht eingehen, jemanden so sehr einzuklemmen. Ich habe nur noch versucht, aus dieser Situation herauszukommen." So durfte man das sehen. Zumal sich auch Vettel indirekt die Schuld gab. Er habe "Max vor der Kurve ein bisschen die Linie zumachen" wollen. Dann erst habe er gesehen, "dass er schon neben mir war. Im nächsten Moment hat es schon geknallt".

Als das Rennen wieder gestartet wurde, funkte Hamiltons Renningenieur Pete Bonnington: "Sieh zu, dass du dein Auto in einem Stück ins Ziel bringst." Das wisse er auch, antwortete Hamilton, er gebe sein Bestes. Es ging für ihn tatsächlich nur noch darum, das Auto heil ins Ziel zu bringen.

Wenn es regnet in Singapur und die Strecke feucht ist, hat der in Führung liegende Fahrer einen weiteren Vorteil: Er ist der einzige, der die Strecke nicht durch einen Film von Spritzwasser erahnen muss, weil vor ihm niemand den Regen aufwirbelt. Seine (sehr geringe) Restspannung bezog das Rennen aus der Frage, wann welche Reifen aufzuziehen wären: Regenreifen, Intermediates - oder Slicks? Nach einem Unfall von Daniil Kwjat bog abermals das Safety Car auf die Strecke, und Ricciardo wechselte von Regenpneus auf Intermediates. Hamilton blieb draußen und funkte seine Sorge, Ricciardo könnte einen Vorteil haben mit seinen frischen Reifen.

Doch alle Sorgen Hamiltons in diesem Rennen, vielleicht sogar alle Sorgen im Titelkampf mit Vettel, lösten sich am Sonntag in Singapur in nichts auf.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: