Vettel bei Ferrari:Der Zorn des roten Capitano

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Nicht gut drauf: Sebastian Vettel. (Foto: Actionpress)

Ausgerechnet vor dem Italien-Grand-Prix scheinen Ferrari und Sebastian Vettel kaum wettbewerbsfähig. Der Deutsche wirkt schwer genervt.

Von Elmar Brümmer, Monza

Sebastian Vettel benötigt keine Statistiken, um Ferrari und die gemeinsame Misere in der Formel 1 einzuordnen. Und der interessierte Beobachter benötigt nicht den Blick auf den Monitor mit den Rundenzeiten, um die aktuelle Stimmungslage zu identifizieren. Vettels Resultate lassen sich direkt aus seiner Mimik ablesen - auch in diesem Punkt gibt es eine frappierende Ähnlichkeit mit Michael Schumacher: Die Laune ist zwingend an den sportlichen Erfolg geknüpft.

Eigentlich hatte sich Vettel ja längst emanzipiert vom Rekordweltmeister, er ist mit vier WM-Titeln seine eigene Qualitätsmarke. Allerdings wurden diese zwischen 2010 und 2013 errungen, alle noch mit dem Red-Bull-Team. Nun aber sitzt Vettel bereits im zweiten Jahr im berühmten roten Auto - und eine Rennfahrer-Beziehung zur Scuderia ist halt etwas sehr Spezielles. Gerade für einen Deutschen, steht doch das italienisch-germanische Doppel Ferrari/Schumacher für die erfolgreichste Ära, die je ein Rennstall in der Königsklasse des Motorsports hatte, mit fünf Weltmeisterschaften von 2000 bis 2004. Diese Ära ist der Maßstab für jede Erwartungshaltung, völlig egal, wie verschieden die Bedingungen von damals zu heute auch sein mögen.

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Von Elmar Brümmer

Vor zehn Jahren gab Schumacher im Autodromo Nazionale von Monza seinen Rücktritt bei Ferrari bekannt, er krönte den denkwürdigen Tag mit einem Sieg. An diesem Sonntag, Startzeit 14 Uhr, gastiert die Formel 1 wieder zum Grand Prix von Italien im Königlichen Park, aber Sebastian Vettel startet nicht als Favorit, sein erster Saisonsieg wäre fast schon eine Sensation. "Ein Traum würde wahr werden, wenn ich hier in einem roten Rennanzug gewinnen könnte", sagt Vettel. 2008 holte der Heppenheimer im Höchstgeschwindigkeitstempel von Monza seinen ersten Formel-1-Sieg - allerdings noch im Team von Toro Rosso.

Sind die Pläne zu ehrgeizig?

Nun steht er mitten in seiner zweiten Saison bei Ferrari, in der laut Drei-Jahres-Plan regelmäßig Spitzenplätze eingefahren werden sollten, bestenfalls bereits der Titelgewinn. Doch jetzt scheinen jene Recht zu bekommen, die die Pläne von Sergio Marchionne, dem Chef des Ferrari-Mutterkonzerns Fiat, als zu ehrgeizig empfinden. Die darauf hinweisen, dass der Turnaround einer Rennmannschaft nicht so plangemäß und linear verlaufen kann wie der Umbau einer Motorenfabrik. 18 Monate reichen dazu nicht.

Weil der letzte Fahrertitel, den Ferrari feiern konnte, aus dem Jahr 2007 stammt (Weltmeister wurde Kimi Räikkönen), hatte Manager Marchionne seinem Spitznamen "Bulldozer" im Jahr 2014 alle Ehre gemacht. Er engagierte Maurizio Arrivabene als neuen Teamchef und Vettel als neuen Kapitän. Vettel war sofort wechselbereit im Herbst 2014, weil er sich nach seinen vier WM-Titeln mit Red Bull Racing in der ersten tiefen technisch-sportlichen Krise unverstanden und ungeliebt gefühlt hatte. Ähnlich ist der Frust, der ihn jetzt an neuer Wirkungsstätte ereilt. Gerade weil es dort eigentlich an nichts fehlt - außer am gemeinsamen Erfolg.

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Herauszuhören ist das aus Vettels Tiraden. Besonders über zu langsame Konkurrenten auf der Piste, die nicht sofort den Weg frei räumen, weshalb sich der Frust jetzt sogar in den Fakten verfestigt. Im September 2015 stand Vettel letztmals auf dem Siegerpodest ganz oben - in Singapur. Inzwischen ist Ferrari von der zweiten Kraft hinter Branchenführer Mercedes sogar auf Platz drei zurückgefallen, ausgerechnet überholt von Vettels einstigem Red-Bull-Team. Die vergangenen fünf Rennen schaffte es der Deutsche nicht aufs Podium. In den 13 von 21 Läufen gab es drei zweite Plätze - allerdings ebenso viele Ausfälle. Der Rückstand auf WM-Tabellenführer Lewis Hamilton ist auf mehr als 100 Punkte angewachsen, was bedeutet: Bei 25 Punkten für jeden Triumph würden sogar vier Siege in Serie nicht genügen, um den Briten noch zu überholen, sollte dieser ständig ausfallen. Selbst Deutschlands Formel-1-Haussender RTL meldete jüngst mit besorgtem Blick auf die Resultate: "Vettels Thron bröckelt."

Zu dieser nahe liegenden Interpretation hat auch beigetragen, dass Vettel zu den deutschen Fernsehreporten, aber auch den italienischen Journalisten in jüngster Zeit ein angespanntes Verhältnis pflegt. Die Gazzetta dello Sport will erkannt haben, dass der im Vorjahr noch als Messias und Schumacher-Wiedergänger gefeierte Pilot vor einer Woche beim Großen Preis von Belgien in Spa "nervös und ungenau" gefahren sei. In der Startkurve kollidierte er mit seinem Teamkollegen Räikkönen, am Ende kam er fast 47 Sekunden hinter dem siegreichen Mercedes-Piloten Nico Rosberg als Sechster ins Ziel. In der Bewertung nach Schulnoten durch die Gazzetta-Kritiker gab es eine glatte Fünf - "insufficiente". La Stampa hingegen wartet weiterhin "auf den wahren Vettel". Momentan rätselt die Zeitung über dessen zwiespältiges Verhalten auf der Piste: Unter Druck verbreite Vettel entweder Hektik und mache deshalb Fehler, oder er sei zu nachsichtig und deshalb zu langsam.

Allerdings ist der Deutsche noch die einzige Konstante im Ferrari-Hauptquartier in Maranello. Teamchef Arrivabene steht ständig in der Kritik. Zudem hat Oberbefehlshaber Marchionne erst jüngst wieder seinen Spitznamen "Bulldozer" bestätigt, indem er mitteilte, dass kein Maranello-Job sicher sei. James Allison, der englische Technikdirektor, hat Ferrari deshalb im Juli nicht nur wegen eines privaten Schicksalsschlags verlassen müssen.

Nicht schnell genug sei das Auto, nicht wettbewerbsfähig, stellte Vettel mehrmals fest - er liefert damit die zentralen Gründe dafür, dass Ferrari direkt nach dem Prestige-Heimspiel in Monza eine radikale Kehrtwende vollziehen wird. Die Weiterentwicklung des momentanen Rennwagens wird eingestellt, die Ingenieure konzentrieren ihre Kräfte bereits auf das neue Modell für die Rennserie 2017. Ideologisch gedeckt ist dieser Schritt durch eine Maxime des 1988 verstorbenen Firmengründers Enzo Ferrari: "Das beste und erfolgreichste Rennauto ist immer das nächste, das gebaut wird."

Parallel dazu forscht Vettel nach den Gründen für seine konstante Missstimmung, die er inzwischen besser deuten kann als die Malaisen seines roten Boliden. "Wenn du mehr Punkte holst, wirst du nettere Sachen gefragt", hat der Genervte festgestellt: "Es langweilt einfach, wenn man immer das Gleiche gefragt wird." Und dann keine befriedigenden Antworten parat hat. Die Rolle des Capitano, so gerne er sie ausfüllt, strengt Vettel sichtlich an.

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"Es werden wieder bessere Tage kommen"

Auch deshalb kommt der Gran Premio d'Italia nicht zur falschen, "sondern genau zur richtigen Zeit. Wir können den Schub und die Unterstützung gebrauchen". Trotz der Pleite von Spa behauptet Vettel: "Seit dem letzten Rennen stimmt auch das Tempo unseres Autos wieder, wir haben den Anschluss nach oben geschafft."

So ganz mit dieser Interpretation davonkommen lassen wollten ihn die Frager bei der ersten Podiumsrunde in Monza nicht. Wie viel Zeit er denn noch habe? "Ich fühle mich nicht alt", entgegnete der 29-Jährige, "also habe ich wohl noch etwas Zeit. Es werden wieder bessere Tage kommen. Es klingt alles so negativ, dabei gibt es positive Aspekte. Wir können hier ums Podium kämpfen, vielleicht sogar um mehr."

Für die Scuderia geht es ganz sicher um mehr. Ob man sich auf eine ähnlich lange Anlaufphase bis zum ersten gemeinsamen WM-Titel einstellen müsse wie in der Schumacher-Ära (fünf Jahre), wollte jüngst der Corriere della Sera wissen. Das, sagte Vettel, sei eine sehr schwierige Frage: "Wenn ich die Chance hätte, auch nur die Hälfte der Trophäen zu gewinnen, die Michael mit Ferrari geholt hat, würde sich das Warten lohnen." Dann fügte er an: "Aber die Formel 1 ist kein Sport für Geduld."

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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