Verwundbarer Sieger:Außerirdischer wird Normalmensch

Nach sechs Jahren ohne Titel ist der Österreicher Hermann Maier Weltmeister im Riesenslalom. Was er tat, war: schneller zu sein als Benjamin Raich und standhafter als Bode Miller, der im ersten Durchgang ausschied.

Von Wolfgang Gärner

Bormio - Hermann Maier, 32, hat schon allerhand gewonnen: Zwei WM-Titel, zweimal Olympiagold. Aber dann lange nichts mehr, sechs Jahre ohne großen Sieg.

Gestern im Riesenslalom von Bormio ist die Wartezeit zu Ende gewesen und der Österreicher von sich selbst überrascht: "Es ist schwer zu glauben", bekundete er, "ich kann nicht begreifen, was ich getan habe."

Was er tat, war: schneller zu sein als Benjamin Raich und Daron Rahlves, standhafter als Bode Miller, der im ersten Durchgang ausschied.

Wenn es bei der Streckenbesichtigung auf der Piste heftiger wimmelt als beim Touristen-Skifahren, dann ist bei den Weltmeisterschaften Riesenslalom-Tag: Die Disziplin für alle, auch jene, denen der Slalom zu schwierig ist und denen man den Start in der Abfahrt um ihrer eigenen Sicherheit willen verwehrt.

Mal wieder Lehrgeld gezahlt

Dann fährt die ganze Welt, 154 machten gestern mit, auch Mazedonier und Kirgisen schöpften das volle Vier-Mann-Kontingent aus, selbstverständlich mit von der Partie war der blaublütige Hobbyrennfahrer Hubertus von Hohenlohe (Weltranglistenplatz 6453), und sogar Deutschland hatte zwei Athleten gemeldet: Andreas Ertl und Felix Neureuther, weil es nicht angehe, dass man in einer weiteren Disziplin (nach der Kombination) nicht antrete, wie Cheftrainer Werner Margreiter begründete.

"Da müssen sie durch", lautete seine Maßgabe, die haben sie aber nicht ganz erfüllt, Ertl fuhr nur 18 Sekunden, Neureuther immerhin eine Minute, bis er ausschied. Da haben sie wieder mal Lehrgeld gezahlt.

Verlierer - "bis jetzt"

Dieses Rennen ist aber nicht nur eine Lehrstunde und Breitensportveranstaltung gewesen, sondern hauptsächlich eine hochsportliche Verantwortung auf einem der schwierigsten Kurse, die den Matadoren in diesem Winter zugemutet wurden. Die tragenden Rollen in diesem Spektakel sind den Herren Miller, USA, und Maier, Österreich, zugedacht gewesen.

Zwischendurch hatte sich ein Dritter in die Hauptrolle gedrängt: Millers Landsmann Daron Rahlves. Aber das ist nur ein Intermezzo gewesen, am Ende stand der über allen, der vor ein paar Tagen schon mal bekundet hatte, er sei der Verlierer dieser WM - "bis jetzt".

Nur bis zum Riesenslalom, danach war Hermann Maier zurück auf dem Platz, den er schon seit sechs Jahren bei einem derartigen Ereignis nicht mehr eingenommen hatte: Erster, Goldmedaillengewinner, wie zuletzt in Vail, Riesenslalomsieger, wie bei Olympia 1998. 2001 in St. Anton hatte er sich mit Silber (Abfahrt) und Bronze (Super-G) begnügen müssen, danach warf ihn ein schwerer Motorradunfall für 18 Monate aus dem Rennen.

Außerirdischer wird Normalmensch

Als er im Winter nach dem Comeback zum dritten Mal den Gesamt-Weltcup gewonnen hatte, auch wieder Abfahrten und Super-Gs, versteifte er sich unbeirrbar auf ein neues Ziel: auch im Riesenslalom wieder zum Siegfahrer zu werden, in der Disziplin, in der er durch den Unfall am meisten zurückgeworfen worden war.

Aufwändiger Schuhwechsel

Dazu waren umfangreiche Materialabstimmungen notwendig inklusive Schuhwechsel, worüber schier die ganze erste Hälfte des Winters verging und die Wartezeit auf den ersten Saisonsieg lang wurde: Der ereignete sich erst vor zwei Wochen im Super-G von Kitzbühel.

Genau zur rechten Zeit, vermutete seine Entourage - nun könnte es bei der WM so weiter gehen, wurde gemutmaßt. Ging es aber nicht, im Super-G von Bormio wurde Maier Vierter, in der Abfahrt 17., was für ihn persönlich aufs Gleiche hinauskam, "denn für mich zählt hier nur ein Sieg."

Mit den Prognosen für sein drittes Rennen hat er sich auf die Konkurrenz beschränkt: "Ich bin sicher, dass Lasse Kjus eine Medaille gewinnt." Er irrte: Der Norweger, in dieser Disziplin Weltmeister von 1999 und Anfang der Saison Sieger in Beaver Creek, fuhr nicht mal zehn Sekunden.

Alles vorhanden, was es braucht

Und Sie selbst, Herr Maier? "Alles ist möglich. Im Riesenslalom ist bei mir eigentlich alles vorhanden, was man braucht." Er brauchte zur Selbstbestätigung keinen Sieg aus dem Vorfeld, war immerhin drei Mal auf dem Podest (Zweiter von Beaver Creek, Dritter in Val d'Isere und Alta Badia). Alles vorhanden, was es braucht - und wie: üppig.

Die Sonne erschien über dem Berggrat am Donnerstag morgen, und im gleichen Moment fräste Maier die Piste herunter. Im Ziel breitete er die Arme aus, schüttelte den Kopf: Wie habe ich das gemacht? Bestzeit, aber von Daron Rahlves unterboten um sechs Zehntel: doch noch ein Länderkampf USA - Österreich.

Mit Schwächen, aber wieder Sieger

Dieser Kampf entwickelte sich nach der Halbzeit anders als erwartet: Zuerst legte Kombinationsweltmeister Benjamin Raich eine fundamentale Bestzeit hin, dann nahm Maier dem Kontrahenten Rahlves 1,28 Sekunden ab und schwärmte: "Von all meinen Titeln zählt der am meisten - weil er so hart erkämpft werden musste.

Das ist meine wertvollste Goldmedaille - denn bei den Olympiasiegen von Nagano war ich in Überform." Der Außerirdische von damals ist längst Normalmensch geworden, mit Schwächen, verwundbar. Aber wieder Sieger, dennoch.

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