Verpatzter Saisonstart des Hamburger SV:Mit großen Zweifeln ins Zitterjahr

"Der Kader ist gut, wir können es viel besser": So langsam scheint das realitätsferne Selbstverständnis beim HSV problematische Züge anzunehmen. Ein Klub, der erfahrene Profis wie Paolo Guerrero, Mladen Petric und David Jarolim beinahe ersatzlos verliert, muss sich nicht wundern, wenn er am Ende zum ersten Mal in der Historie absteigt.

Jörg Marwedel

Thorsten Fink ist ein offensiver Verkäufer seiner Politik. Was auf den ersten Blick ein Vorteil ist in einer Millionenstadt wie Hamburg. Anderseits hat das den Nachteil, dass er sehr schnell überführt werden kann, wenn ihm nicht das gelingt, was er sich vorstellt. Als er im Herbst vom Schweizer Meister FC Basel zum Bundesliga-Tabellenletzten Hamburger SV kam, hat er sehr schnell viel höhere Ziele als den Abstiegskampf ausgegeben. Stattdessen erreichte er gerade einmal knapp das Minimalziel: Klassenerhalt.

Hamburger SV - 1. FC Nuernberg

Er glaubt an ein Team, dem es an Qualität fehlt: HSV-Trainer Torsten Fink. 

(Foto: dapd)

Vor einer Woche hat er im großen Mannschaftskreis vor der Pokalpartie beim Drittligisten Karlsruher SC getönt: "Das wird unser Jahr!" Gestartet wurde ins Zitterjahr mit dem 2:4 beim KSC und nun der Bundesliga-Niederlage gegen einen geordneten, aber auch nicht gerade furchteinflößenden 1. FC Nürnberg. Und als Fink dann sagte, er werde "nicht müde, an meine Mannschaft zu glauben", wuchsen die nächsten Zweifel.

Man könnte nun sagen, Fink tritt offen für seine Vorsätze ein. Man könnte aber auch sagen, hier leidet ein Trainer - zusammen mit dem Sportchef Frank Arnesen - an sportivem Realitätsverlust. Ein Klub, der erfahrene Profis wie Paolo Guerrero, Mladen Petric und David Jarolim verliert, ohne adäquat Ersatz zu besorgen, kann nur schwer davon ausgehen, dass es besser wird. Da nützen weder Überlebenscamps in Schweden noch die von beiden stets wiederholte Erklärung, "der Kader sei gut, und: Wir können es viel besser". So hat sich Arnesen am Samstag wieder vernehmen lassen.

Die Einkaufspolitik wird wohl darüber entscheiden, ob auch Arnesen und Fink nur eine Episode beim HSV bleiben werden. Es ist jedenfalls kurios, dass man etwa auf den labilen Spanier Jurado von Schalke als Spielmacher setzen wollte. Und dass man freiwillig auf einen (wenn auch etwas altertümlich spielenden) David Jarolim verzichtet, der einem Team im Abstiegskampf gut tut, wie er vergangene Saison bewies.

Auch dass der Vorstand den HSV-Freund und Milliardär Klaus-Michael Kühne nicht bremst, wenn er permanent seinen Lieblingsprofi Raffael van der Vaart als vermeintlichen Retter durch die Medien galoppieren lässt, trübt die Perspektive auf den Klub. Und wieso hat nicht Chelsea-Intimus Arnesen, sondern sein Bremer Kollege Klaus Allofs den Belgier Kevin de Bruyne, ein erstaunliches Talent, gerade beim FC Chelsea ausgeliehen?

Die Jubiläumsfeiern im 125. Jahr des Klubs könnten jedenfalls eine andere Note bekommen als gedacht. Zum Beispiel jene, dass das 50. Bundesligajahr des HSV vorerst das letzte sein könnte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: