Verpasste Chance:Festtag für Masochisten

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Fünf Minuten lang darf Ingolstadt träumen, den Anschluss zu Platz 16 herzustellen. Dann fällt das 1:1. Leverkusen, das erneut weit unter seinen Möglichkeiten bleibt, kann heilfroh über den Punkt sein.

Von Sebastian Fischer, Ingolstadt

Am Abend tranken sie einen Schnaps, zwei Abstiegskämpfer unter sich: Peter Jackwerth und Rudi Völler. Das Treffen zwischen dem Vorstandschef des FC Ingolstadt und dem Sportdirektor von Bayer 04 Leverkusen fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der Loge des Ingolstädter Stadions statt. Doch so gut gelaunt wie Völler davon berichtete - "Williams-Birne!" -, sollte es das Anstoßen auf einen gelungenen Nachmittag werden. So ein 1:1 in Ingolstadt, das ist für Bayer Leverkusen eben zurzeit ein Grund zum Zuprosten.

Im Segelflug: Torhüter Bernd Leno muss reagieren. Der Rest der Leverkusener Hintermannschaft schaut zu. (Foto: Strisch/imago)

Eigentlich sollte es ja um den FC Ingolstadt gehen am Samstag, das Duell sollte für den Vorletzten das Endspiel im Abstiegskampf werden, mit dieser Ansage hatten die Ingolstädter alle Karten ihres kleinen Stadions verkauft. Doch Entscheidungen mussten vertagt werden. Weder haben sich die Ingolstädter wieder so richtig eingemischt in den Kampf um Relegationsrang 16, noch sind sie so richtig raus. Der Rückstand betrug am Samstagabend - vor dem sonntäglichen Duell Hamburg gegen Mainz - drei Punkte. "Wir sind auf Kurs", sagte Trainer Maik Walpurgis. Zwar werden die Chancen für den FCI immer kleiner, doch seine Spieler müssten weiter an die verrückten Geschichten glauben, welche die Bundesliga ja immer wieder schreibe, erklärte er. Mehr dazu in einer Woche. Denn die Geschichte des Samstags war dann vor allem die einer Leverkusener Mannschaft, die sich ihren Abstiegsängsten stellte. 37 Punkte haben sie nun, "das könnte am Ende reichen", sagte Geschäftsführer Michael Schade sehr bescheiden.

Völler flucht und flüchtet in die Kabine

Bayer 04 war schon am Donnerstag nach Bayern gereist, hatte ein Kurztrainingslager abgehalten, um sich auf das Spiel einzustimmen. Denn nach dem 1:4 vor einer Woche gegen Schalke 04, den Bildern vom Sitzstreik der Fans auf dem Parkplatz vor der Leverkusener Arena und der plötzlichen Nähe zum Tabellenkeller, war der Auftritt in Ingolstadt ja zu einem wegweisenden erklärt worden. Und man sah den Spielern an, dass sie das eine oder andere Interview ihrer Chefs gelesen hatten.

Drin ist das Ding: Kai Havertz (29) jubelt bereits. Insgesamt legten seine Leverkusener jedoch einen eher fragwürdigen Auftritt hin. (Foto: Johannes Simon/Getty)

Die erste Halbzeit war ein Erlebnis für Fußball-Katastrophentouristen und -Masochisten. Die Leverkusener wirkten, als würden sie lieber zu wenig machen als irgendeinen Fehler. Sie standen tief in der eigenen Hälfte, spielten den Ball manchmal ohne Not ins Aus. Ingolstadt hatte die besseren Chancen und die bessere Spielanlage, griff vor allem über Rechtsverteidiger Florent Hadergjonaj gefährlich an. Trainer Tayfun Korkut sprang ständig von seiner Bank auf, klatschte und schrie, als wäre er eine amerikanische Soccer Mom. Rudi Völler lief nach ein paar Minuten von seinem Platz auf der Tribüne in die Kabine. Dort sah er das Spiel mit Physiotherapeuten im Fernseher, wie er später erzählte. Er wollte nicht, dass die Reservespieler auf der Tribüne hörten, wie er schimpfte. Völler sagte: "Ich fluche dann doch ein bisschen zu extrem."

Ein 17-Jähriger bewahrt den Werksklub vor Schlimmerem

Doch der Auftritt in Ingolstadt war nicht nur ein Abbild all der vielbeschriebenen Leverkusener Schwächen, die diese Saison zu einer "verfluchten" machen, wie Völler sagt. Kurz sah es tatsächlich nach der nächsten Niederlage und noch etwas mehr Dramatik im Abstiegskampf aus, als Sonny Kittel in der 73. Minute zur Ingolstädter Führung traf, eingeleitet durch einen Leverkusener Einwurf; einen "doofen Einwurf", sagte Kapitän Stefan Kießling. Da trennten die beiden Mannschaften plötzlich nur noch vier Punkte.

Sonny Kittel (links) erzielte den sehenswerten Führungstreffer. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Doch anstatt nun noch ängstlicher zu werden, brüllten sich die Leverkusener an - und schlugen fünf Minuten später zurück. "Man hat sofort das Gefühl gehabt, wir wollen noch mal", sagte Völler. Selten hat ein Manager erleichterter geklungen.

Es war die Pointe des Tages, dass sich die wahlweise fahrlässige oder mutige Entscheidung von Korkut auszahlte, seine jüngsten Spieler aufzustellen und erfahrene wie Nationalspieler Karim Bellarabi oder Chicharito auf der Bank zu lassen. Korkuts Jüngster, der 17-Jährige Kai Havertz, traf per Kopfball in der 78. Minute zum Ausgleich. Am Donnerstag hatte er noch seine Abiturprüfung in Geographie abgelegt. Kurz danach besaß Kevin Volland gar noch die Chance zum Siegtreffer: Nachdem er bereits Torwart Martin Hansen ausgedribbelt hatte, versuchte er es mit einem No-Look-Abschluss, Markus Suttner rettete für Ingolstadt artistisch kurz vor der Torlinie. Wenig später musste der Ingolstädter mit einer Bänderverletzung ausgewechselt werden und dürfte seinem Klub in den beiden letzten Partien fehlen.

Auf die Einwände, das ausgerechnet ein noch nicht volljähriger Fußballer aus der eigenen Jugend den teuersten Kader der Leverkusener Vereinsgeschichte vor dem puren Abstiegskampf bewahren musste, wollte niemand eingehen. Ein Interview mit dem Fernsehsender Sky, in dem ihn die Reporterin auf die zahlreichen Fehler dieser Saison und daraus folgenden Konsequenzen ansprach, hatte Völler schon vor dem Spiel wütend abgebrochen. Nicht so schlimm, sagte Völler hinterher, freute sich über den Punkt, lobte "das tolle Füßchen" von Havertz, "mit dem er den Ball streichelt" und sagte, angesprochen auf dessen Kopfballtor: "Das Näschen, das hat Kai auch." Dann ging er einen Schnaps trinken.

© SZ vom 07.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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